Hamburg. Exklusive Umfrage: Viele Häuser kommen mit viel zu hohen Preisen in den Markt und werden zu Ladenhütern. Was Käufer wissen sollten.

Maklerin Nicole Reise hatte nicht damit gerechnet, dass ihre Prognose so schnell Wirklichkeit wird. Als das Abendblatt vor einigen Monaten mit ihr über die Preisentwicklung bei Immobilien in Hamburg sprach, wagte sie die Vorhersage: „Reihenhäuser wird es mittelfristig in Hamburg auch wieder unter 300.000 Euro geben.“ Jetzt wird sie in wenigen Tagen ein solches Objekt in die Online-Verkaufsportale stellen: für 279.000 Euro.

„Wenn die Preise die aktuellen Entwicklungen berücksichtigen, kommen auch wieder Abschlüsse zustande. Das haben wir im März deutlich gespürt, nachdem die Lage in den Monaten davor sehr schlecht war“, sagt die Geschäftsführende Gesellschafterin von Frank Hoffmann Immobilien. „Doch bei vielen Verkäufern sind die Preisvorstellungen noch zu hoch.“

Mit den „aktuellen Entwicklungen“ meint die Maklerin all das, was gegenwärtig Käufe und Verkäufe von Wohneigentum bremst: gestiegene Zinsen für Immobiliendarlehen, hohe Inflation und gestiegene Energiepreise sowie staatliche Vorgaben, die Immobilienbesitzern hohe zusätzliche Investitionen im fünf- bis sechsstelligen Bereich abverlangen. Das reicht vom Heizungsgesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), das jetzt eine weitere Hürde im Bundeskabinett genommen hat, bis zu den Plänen der EU für die Dämmpflicht von Gebäuden, um eine bessere Energieeffizienzklasse zu erreichen.

Immobilien Hamburg: 60 Prozent der Makler sehen starken Nachfragerückgang

All das belastet den Immobilienmarkt, wie eine Umfrage des Immobilienverbandes IVD Nord unter rund 1500 Mitgliedern in Norddeutschland zeigt, die dem Abendblatt exklusiv vorliegt. Die Lage am Immobilienmarkt hat sich in den vergangenen sechs Monaten weiter verschlechtert. Das zeigen die Ergebnisse der Umfrage wie auch Gespräche mit Hamburger Maklern. „Wir wissen auch von den Notaren, dass sie kaum noch Grundstücksgeschäfte beurkunden“, sagt Andreas Sonnek von Sonnek Immobilien in Billstedt.

So beurteilen norddeutsche Makler den Immobilienmarkt.
So beurteilen norddeutsche Makler den Immobilienmarkt. © HA Infografik | Frank Hasse

Deutlich weniger Nachfrage von Kaufinteressenten, Preisrückgänge und eine deutlich geringere Zahl von Kaufabschlüssen bestimmen das Bild bei den Maklern, auch in Hamburg. Rund 91 Prozent registrieren einen Rückgang der Nachfrage nach selbst genutzten Immobilien, 60 Prozent schätzen diesen als „stark“ ein. 80 Prozent der Makler berichten von weniger Abschlüssen bei den notariellen Kaufverträgen. Dieser Wert ist gegenüber einer ähnlichen Umfrage des IVD Nord im September 2022 (siehe Grafik) noch einmal um sechs Prozentpunkte gestiegen.

Makler beobachten Preisrückgänge von mehr als 20 Prozent

Die deutlichsten Veränderungen zeigen sich beim Preisverfall der Wohnimmobilien. 87 Prozent der Makler bestätigen grundsätzlich einen Preisrückgang und deutlich mehr Makler als im September 2022 verzeichnen einen Preisrückgang von mehr als zehn Prozent. Mehr als jeder zweite (58 Prozent) sieht den in der Größenordnung von zehn bis 20 Prozent. 27 Prozent der Makler berichten sogar von Preisrückgängen von mehr als 20 Prozent. Gegenüber dem Herbst hat sich dieser Anteil fast verdoppelt.

Die Käufer wissen das und reagieren mit entsprechend niedrigen Preisangeboten. „Wenn ein Haus für 650.000 Euro angeboten wird, dann bekommt man ein Angebot für 420.000 Euro“, berichtet Reise. Ein Schock für Verkäufer. Ist das unverschämt? „Nicht, wenn man berücksichtigt, was in die Häuser noch alles investiert werden muss“, sagt die Maklerin. Der Fahrplan dazu wird aber nicht mehr von den eigenen finanziellen Möglichkeiten bestimmt, sondern zunehmend von staatlichen Vorgaben. „Es ist für die Immobilieneigentümer schon ein harter Eingriff in das Eigentum“, sagt Sonnek.

Maklerchefin warnt vor Ladenhütern wegen überhöhter Preise

Doch viele Eigentümer träumen noch von den Preisen der Vergangenheit. „Die verkaufswilligen Eigentümer haben zwar registriert, dass sich bei den Preisen etwas getan hat, aber das ganze Ausmaß haben sie noch nicht erfasst“, sagt Sonnek. Das müsse man ihnen vorsichtig beibringen. Einen Anteil daran hätten auch die Immobilienportale. „Die Angebotspreise dort zeigen noch nicht die tatsächliche Entwicklung“, sagt Carsten Bellingrodt von Flachsbarth & Kullick, „die Verkäufer orientieren sich aber daran.“

Aktuell gelingt der Immobilienverkauf fast nur noch, wenn die Verkäufer zu deutlichen Preisabschlägen bereit sind. „Wenn eine Immobilie gleich ,richtig‘ im Preis eingeschätzt ist, findet sich innerhalb einiger Wochen ein Käufer. Ist die Preisvorstellung kaum niedriger als im letzten Jahr üblich, werden die Angebote zu Ladenhütern“, sagt Anika Schönfeldt-Schulz, Vorsitzende des IVD Nord.

Überhöhte Immobilienpreise: Verkäufer zahlen viel Lehrgeld

Ein Makler, der nicht genannt werden will, schildert an einem Beispiel, wie das in der Praxis aussieht. Ein älteres Einfamilienhaus aus dem Umland sollte noch im Januar 2023 für rund 700.000 Euro verkauft werden – so die Preisvorstellung des Verkäufers. Zu unrealistisch, der Makler lehnte ab. Ein anderer Makler versuchte es mit 599.000 Euro, scheiterte und gab den Auftrag zurück. Jetzt kehrte der Verkäufer zum ersten Makler zurück.

„Wir gehen jetzt mit gut 500.000 Euro an den Start, auch weil die potenziellen Käufer von vornherein von einem Verhandlungsspielraum ausgehen“, sagt der Makler. Verkauft wird das Haus dann wahrscheinlich in einer Spanne zwischen 499.000 und 470.000 Euro. Das sind bis zu 33 Prozent weniger als die ursprüngliche Vorstellung des Käufers.

Auch der Verkauf von Eigentumswohnungen läuft schlecht. „Vermietete Objekte mit einer Miete von 9 Euro bis 10 Euro pro Quadratmeter sind fast gar nicht mehr zu vermarkten“, sagt Bellingrodt. „Für die Vermieter sind die geforderten Kaufpreise viel zu hoch.“ Bei Selbstnutzung sehe es noch etwas anders aus, weil da nicht so sehr auf Rendite geachtet werde. Aber auch in diesem Segment läuft der Verkauf schleppend.

Immobilien Hamburg: Mieten steigen – Immobilienpreise fallen

IVD-Chefin Schönfeldt-Schulz erwartet, dass sich die Lage bei Eigentumswohnungen verbessern wird. „Wir gehen davon aus, dass sich aufgrund der Zuspitzung der Mietnachfrage in den gefragten Lagen auch wieder mehr Eigennutzer für den Kauf einer Eigentumswohnung interessieren werden.“ Denn die Umfrage des Verbandes zeigt einen deutlichen Anstieg der Nachfrage nach Mietwohnungen. 51 Prozent der Makler – fast doppelt so viele wie im Herbst 2022 – stimmen dieser Aussage zu. Rückläufig ist dagegen der Anteil derer, die eine unveränderte Nachfrage registrieren. Ihr Anteil sank von 63 auf 44 Prozent.

Während die Immobilienpreise fallen, steigen die Mieten immer weiter. Den neuesten Daten des Beratungsunternehmens Empirica zufolge stiegen die Mieten für Bestandswohnungen in Hamburg vom ersten Quartal 2022 bis zum ersten Quartal 2023 um 4,5 Prozent auf durchschnittlich 11,82 Euro je Quadratmeter. Im Umland fiel der Anstieg in den Kreisen Pinneberg und Herzogtum-Lauenburg mit einem Plus von fünf Prozent noch etwas höher aus. Dennoch sind die Mieten hier bis zu 20 Prozent günstiger als in der Metropole.

Banken sind knauserig bei der Finanzierung

Zurück zu den Immobilienverkäufen: Bei vielen Objekten sind die Makler froh, wenn sie nach den Besichtigungen einen ernsthaften Interessenten haben. Doch damit ist der Verkauf noch nicht perfekt. Zunehmend bereiten die Kredit gebenden Banken Probleme. Sie finanzieren zwar noch den Kaufpreis, aber nicht weitere Mittel, die für die Sanierung des Objekts erforderlich sind, bestätigen Makler. „Und Käufer mit viel Eigenkapital gibt es immer weniger“, sagt Sonnek.

Immobilien Hamburg: Fast jeder zweite Makler hat wirtschaftliche Probleme

Die Makler müssen der Umfrage zufolge in einen höheren Beratungsbedarf investieren – bei gleichzeitig sinkenden Umsätzen. Denn die Courtage richtet sich nach den Verkaufspreisen. 63 Prozent der Makler sehen einen höheren Beratungsbedarf. Fast jeder zweite Makler (46 Prozent) sieht die Lage seines Unternehmens kritisch oder gar existenzbedrohend.

Jeder sechste Makler hat sich inzwischen an die neuen Rahmenbedingungen angepasst und bewertet seine Geschäftslage als gut, ein deutlicher Zuwachs gegenüber dem September 2022 (neun Prozent). So wie Maklerin Reise. Sie möchte zu ihren 30 festen Mitarbeitern noch weitere Makler einstellen. „Wir sehen eine Trendwende, das Geschäft kommt langsam wieder in Gang“, sagt Reise. „Aber wir nehmen nur Objekte in die Vermarktung, wo die Preisvorstellungen der Verkäufer in das veränderte Marktumfeld passen.“