Hamburg. Großer Andrang im neu eröffneten Kosher Market in Rotherbaum. Was es hier gibt und welche Pläne Landesrabbiner Shlomo Bistritzky hat.
Es gibt weder Wegweiser noch ein Ladenschild. Trotzdem geht an diesem Aprilvormittag die Eingangstür des kleinen Supermarkts in einem Hinterhof an der Rothenbaumchaussee immer wieder auf. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass so viele Kunden kommen“, sagt Manfred Lücke.
Der Geschäftsführer des neu eröffneten Kosher Markets zeigt auf einige Regale, in denen Lücken klaffen. Immerhin konnte er gerade einige der wichtigsten Artikel nachbestellen. „Gefilte Fish und Mazzenmehl sind am Morgen geliefert worden“, sagt Lücke und rückt auf einem Bord Keksverpackungen zurecht.
Seit Ende März gibt es wieder ein Geschäft in Hamburg, das ausschließlich koschere Lebensmittel führt. Es gibt Mazzen (koscheres Brot), Gemüsekonserven, Marmelade und bunte Süßigkeiten. Vieles wurde in Israel hergestellt und ist mit hebräischer Schrift gekennzeichnet.
Kosher Market: Das Sortiment umfasst rund 1000 Produkte
In einer Ecke stehen Weine aus unterschiedlichen Anbaugebieten, auch ein Weißwein von einem Winzer aus Unterfranken ist dabei. In einem Kühlregal an der Wand lagern Milch, Käse, Joghurt und Butter. Streng getrennt davon brummt eine Tiefkühltruhe mit Fleisch, Pizza und Pasta. Insgesamt umfasst das Sortiment etwa 1000 Produkte. Das Besondere: Alle Waren haben ein Siegel, das die Herstellung nach den jüdischen Riten garantiert.
Jüdisches Leben: Koschere Lebensmittel in Hamburg Mangelware
Die Idee für den Kosher Market war schon vor einiger Zeit entstanden. „Es gab mehrere Versuche, wieder einen koscheren Laden in Hamburg zu eröffnen. Bislang konnte sich keiner halten“, sagt Landesrabbiner Shlomo Bistritzky. Jetzt hat das Oberhaupt der jüdischen Gemeinde selbst die Initiative ergriffen, um die Lücke im Lebensmittelangebot der Hansestadt zu schließen.
Denn anders als etwa in Berlin oder Frankfurt gab es in Hamburg bislang kaum Möglichkeiten, koschere Lebensmittel zu kaufen. Wer sich an die jüdischen Speisegesetze halten wollte, musste entweder in Onlineshops bestellen oder auf vieles verzichten.
„Aber gerade für junge Familien jüdischen Glaubens, die in Deutschland bleiben wollen, ist es wichtig, dass es eine Infrastruktur gibt. Und dazu gehört neben Kindergarten und Schule auch die Möglichkeit, koschere Lebensmittel einzukaufen“, sagt der Rabbi. „Wir hoffen, dass der neue Laden ein Schritt ist, Hamburg attraktiv zu machen.“ Dabei hilft, dass Shlomo Bistritzky ausgewiesener Kaschrut-Experte ist, selbst koschere Produkte zertifiziert und auf ein weltweites Netzwerk an Lieferanten zurückgreifen kann.
Landesrabbiner hatte die Idee für den Kosher Market
„Wir wollten, dass es ein angenehmer Ort wird, an dem die Menschen sich wohlfühlen“, sagt der Rabbiner. Über mehrere Jahre hat der Umbau und die Sanierung der Flächen im Untergeschoss des jüdischen Bildungszentrums in dem Gründerzeitbau an der Rothenbaumchaussee 19 gedauert. „Hier waren die Garagen“, sagt Bistritzky. Um überhaupt anfangen zu können mit dem Bau, brauchte es diverse Genehmigungen. Fundamente mussten verstärkt, eine neue Dämmung verbaut werden.
Entstanden ist ein schöner Verkaufsraum mit sorgfältig restaurierten Decken und einem Fußboden mit hellblauen und weißen Fliesen. „Der Vorteil ist, dass die Räumlichkeiten zu unserem Bildungszentrum Chabad gehören und deshalb keine Mietkosten anfallen“, sagt Bistritzky. Natürlich müsse sich das Geschäft auf die Dauer tragen, aber – auch das ist anders als bei früheren Eröffnungen – es muss keine Gewinne erwirtschaften. Als Zielgruppe haben der Landesrabbiner und sein Team sowohl die knapp 3000 Mitglieder seiner Gemeinde im Visier als auch Besucher und Touristen.
Kosher Market: wichtig für das jüdische Leben
Obwohl der Kosher Market erst wenige Tage geöffnet ist, hat sich das neue Angebot schnell herumgesprochen. Carmen Schwarz kommt schon zum zweiten Mal zum Einkaufen. „Ich habe so einen Laden vermisst“, sagt die 46-Jährige, die mit ihrer Familie an der Sternschanze wohnt und vor allem frische Produkte wie Joghurt, aber auch Süßigkeiten für die Kinder kauft.
Auch Arje Josef Krawczyk ist schon mehrfach im Kosher Market gewesen. Jetzt steht er an der Kasse und hat Speiseöl, Frischkäse, Thunfisch, eingelegte Gurken und passierte Tomaten auf den Tresen gestellt. „Es ist praktischer und günstiger als der Onlineversand“, sagt der Spezialist für hebräische Handschriften, der 2019 mit seiner Familie aus Warschau nach Hamburg gekommen war und hier das Rabbiner-Seminar besucht.
Kosher Market führt auch Zubehör für besondere jüdische Feste
Aber das ist nicht alles. „Der Laden ist wichtig für das jüdische Leben in Hamburg. Es bietet eine neue Möglichkeit, sich zu treffen“, sagt der 41-Jährige, der sich als orthodox bezeichnet.
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Neben Lebensmitteln führt der Supermarkt, der regulär von Montag bis Freitagnachmittag geöffnet ist, auch Zubehör für besondere jüdische Feste. In den kommenden Wochen soll ein kleiner Café-Bereich entstehen. Dabei geht es auch darum, Hamburger nichtjüdischen Glaubens mit koscheren Lebensmitteln vertraut zu machen. „Es gibt inzwischen immer mehr Nahrungsmittelhersteller, die ihre Produkte als koscher zertifizieren lassen“, sagt der Kaschrut-Experte. Darunter auch Hamburger Unternehmen, wie etwa der Kaffeeröster Darboven, aber nicht alle würden die Siegel auf dem deutschen Markt verwenden.
Gin Sul hat Koscher-Siegel
Dabei könnten bestimmte Vorgaben der jüdischen Speisegesetze auch für Menschen interessant sein, die an einer Laktose-Intoleranz oder Gluten-Unverträglichkeit litten. Ein anderes Hamburger Produkt, das der Rabbiner sogar selbst zertifiziert hat, ist Gin Sul. „Dem Gründer war es wichtig, dass das Siegel auch auf der Flasche ist“, sagt Bistritzky.
Koscher heißt: Nicht nur Schwein und Wild, auch Meeresfrüchte sind tabu
Koscher bedeutet übersetzt: tauglich. So werden Lebensmittel bezeichnet, die den jüdischen Speisegesetzen, den sogenannten Kaschrut-Regeln, entsprechen. Erlaubt ist danach nur Fleisch von wiederkäuenden Paarhufern (Ziegen, Kühe und Schafe), Schweine- und Wildfleisch hingegen nicht. Geflügel wie Huhn, Ente und Gans sind koscher. Fisch nur, wenn er Flossen und Schuppen hat. Aal, Meeresfrüchte und Hummer sind tabu.
Ebenso wie Muslimen ist es auch Juden streng verboten, Blut zu essen. Daher müssen die zum Verzehr gedachten Tiere auf eine rituelle Art geschlachtet werden, was man „schächten“ nennt. Außerdem wichtig: Die Unterscheidung zwischen „fleischigen“, „milchigen“ und „neutralen“ Lebensmitteln. Milch- und Fleischgerichte müssen streng voneinander getrennt sein und dürfen weder miteinander gegessen werden noch miteinander in Berührung kommen.