Hamburg. Der neue Lieferdienst bringt Lebensmittel gebührenfrei an die Haustür. Das Unternehmen hat mit Edeka einen starken Partner.
Was war denn das? Mit leisem Surren kurvt der kleine weiße Elektrolieferwagen um die Ecke. Fahrerin Jamie Lee Schaare rangiert geschickt in die enge Parklücke auf dem Gewerbehof im Stadtteil Billbrook. Gut zwei Dutzend Wagen stehen hier in langer Reihe.
In den nächsten Tagen wird man die ungewöhnlichen Mini-Transporter häufiger in der Stadt sehen. Der Online-Supermarkt Picnic startet am Donnerstag in Hamburg. Bislang ist das niederländische Unternehmen mit Edeka-Beteiligung in Deutschland in 70 Städten in Nordrhein-Westfalen unterwegs. Mit dem Lieferbeginn in Hamburg leitet Picnic die bundesweite Expansion ein.
Lieferdienste in Hamburg: Der Markt kannibalisiert sich teilweise selbst
Schon jetzt können Hamburger zwischen unterschiedlichen Anbietern wählen, wenn sie sich Lebensmittel nach Hause bringen lassen wollen, statt selbst in den Supermarkt zu gehen. Am längsten bietet Rewe den Service flächendeckend an. In den vergangenen Jahren sind – beflügelt durch die Pandemie – neue Onlineportale wie Flink, Wolt, Gorillas, Getir und Bringoo dazu gekommen, die vor allem in urbanen Quartieren mit Express-Lieferungen werben.
Zuletzt hatten Lieferando und Flaschenpost ihr Lieferangebot auf Lebensmittel ausgeweitet. Inzwischen hat kaum noch jemand den Überblick im Liefer-Dschungel, der Markt kannibalisiert sich teilweise. Wo ist da noch eine Lücke?
Picnic: Der moderne Milchmann
„Wir bringen alle Lebensmittel zum günstigsten Preis gratis nach Haus“, verspricht Deutschlandchef Frederic Knaudt, der wenige Tage vor dem Hamburg-Start aus der Zentrale in Düsseldorf angereist ist. Im Angebot sind ähnlich wie in einem gut sortierten Supermarkt etwa 10.000 Artikel – vom Apfel bis zum Toilettenpapier. Im Blick hat Picnic anders als die Konkurrenz dabei vor allem Familien, die den gesamten Wocheneinkauf über den Online-Supermarkt nach Hause liefern lassen.
In Hamburg beginnt Picnic deshalb auch nicht zuerst in innerstädtischen Stadtteilen wie Eppendorf, Winterhude oder Ottensen, sondern beliefert von den drei sogenannten City-Hubs in Billbrook, Langenhorn und Rellingen die Bezirke Nord, Wandsbek sowie Teile von Eimsbüttel und Bergedorf. „Wir haben uns angeschaut, wo die meisten Familien leben“, erklärt Knaudt. In den nächsten Monaten soll das Liefergebiet südlich der Elbe erweitert werden.
Dabei gibt es noch eine weitere Besonderheit. „Picnic ist die moderne Form des Milchmanns“, bringt Knaudt das Prinzip auf eine griffige Formel. Die Fahrer, sogenannte Runner, fahren auf festgelegten Touren durch die Stadt. So wie früher der Wagen des Milchmanns kommt auch der Picnic-Transporter einmal am Tag in jede Straße und bringt den Einkauf. Nach der Bestellung bis 22 Uhr in der Picnic-App können die Kunden eines der verfügbaren Zeitfenster auf der Route für ihr Liefergebiet wählen, dass auch bei weiteren Bestellungen beibehalten werden kann. Zum Vergleich: Während andere Dienste ähnlich wie ein Taxi auf Anforderung kommen, funktioniert Picnic nach dem Prinzip einer Buslinie.
Picnic bietet Lebensmittel zum günstigsten Preis an
„Das ist effektiver, weil es Wegzeit spart und ist auch nachhaltiger“, sagt Knaudt, der 2018 zu den Gründern von Picnic Deutschland gehörte. Die Touren sind auf jeweils zwei Stunden ausgelegt. Bis zu zehn Haushalte pro Stunde, so die Vorgabe, sollen in dem Zeitraum beliefert werden – deutlich mehr als bei anderen Bringdiensten. „Das ist das Geheimnis, warum wir die Waren zum gleichen Preis wie im Discounter oder im Supermarkt anbieten können“, sagt Deutschlandchef Knaudt.
Bei wöchentlichen Vergleichen mit anderen Lebensmittelhändlern wie Lidl, Rewe & Co. wird der jeweils günstigste Preis für ein Produkt ermittelt, der dann bei Picnic gilt – Sonderangebote ausgenommen. Im Sortiment sind zudem die Produkte der Edeka-Eigenmarke „Gut&Günstig“. Weiterer wichtiger Pluspunkt: Es gibt keine Liefergebühren.
Ausgangspunkt für das Picnic-System in Hamburg ist das Zentrallager in Wilhelmsburg. Dorthin wird in der Nacht von Hauptlieferant Edeka Nord sowie regionalen Partnern gebracht, was bis zum Abend vorher bestellt wurde. „Auch Brot wird erst gebacken, wenn es Abnehmer gibt“, sagt Picnic-Chef Knaudt. Unterstützt wird das „Just in Time“-Konzept durch ein Warenwirtschaftssystem, das mit künstlicher Intelligenz arbeitet.
Lagermitarbeiter laden Einkäufe in die E-Transporter
Morgens um 6 Uhr fangen die Lagermitarbeiter – sogenannte Shopper – an, die Bestellungen zu packen. Für jeden Kunden gibt es eigene Kisten, jeweils für trockene Produkte und Kühlwaren. Diese werden dann in speziellen Rollregalen zu den drei Picnic-Stützpunkten gebracht und dort in die E-Transporter geladen.
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Im City-Hub in Billbrook laufen seit Tagen die Vorbereitungen. Jamie Lee Schaare steht in Picnic-Uniform, grau-roter Schürze, weißes Hemd, blaue Jeans und ganz wichtig – Arbeitsschuhe, vor einem der Transporter. Zusammen mit Daryl Buchhorn und anderen Kollegen ist die erfahrene Picnic-Fahrerin am Stützpunkt in Oberhausen für die Einführungsphase nach Hamburg gekommen. Mit geübtem Handgriff schiebt die 31-Jährige jetzt den Rollladen auf der Ladefläche des eigens für den Lieferdienst entwickelten Mini-Transporters hoch und zieht eine Kiste aus dem Regal im Inneren. Der besondere Kniff: Die Ladefläche ist von beiden Seiten von außen zu bedienen. Das spart Zeit und Kraft.
Bestellungen werden in Tüten aus Bio-Plastik geliefert
Über einen Code sind die Bestellungen den Kunden zugeordnet. Die gesamte Steuerung läuft voll elektronisch. Per Tablet werden die Fahrer zur Auslieferungsadresse navigiert, dann müssen sie die Kisten nur noch ausladen und dem Kunden an die Haustür bringen. Die Lebensmittel sind in Plastiktüten verpackt, die die Picnic-Mitarbeiter ebenso wie Pfandflaschen oder leere Batterien beim nächsten Liefertermin wieder mitnehmen. Wenige Minuten später geht es weiter zum Nächsten. „Mir macht die Arbeit Spaß“, sagt Fahrerin Schaare, die neben ihrem Sozialpädagogik-Studium bei Picnic jobbt und sich für den Start des Lieferdienstes in Hamburg sogar ein Urlaubssemester genommen hat.
Der Online-Lebensmittelhandel in Deutschland wächst, spielt aber mit einem Marktanteil von etwa zwei Prozent eine sehr kleine Rolle. Experten erwarten aber, dass die Zahlen in den nächsten Jahren ähnlich wie im europäischen Ausland deutlich steigen könnten. Picnic, mit einem jährlichen Umsatz von insgesamt einer Milliarde Euro in 200 Städten in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland, setzt in diesem Jahr zum Angriff auf den bisherigen Platzhirsch Rewe an. Im Sommer startet der Lieferdienst in Berlin, danach soll es noch in 2023 in der Rhein-Main-Gegend losgehen.
Edeka ist mit 25 Prozent an Picnic beteiligt
Hinter den Investitionen stehen Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka, der inzwischen 25 Prozent an dem Unternehmen hält. „Der Markt für Lebensmittel-Lieferdienste entwickelt sich sehr dynamisch. Picnic ist für uns der perfekte Partner, um diesen Markt zu erschließen. Die positive Resonanz der Kundinnen und Kunden zeigt, dass das Milchmann-Prinzip funktioniert“, sagt Edeka-Chef Markus Mosa. Auch die Bill & Melinda-Gates-Stiftung hatte sich zuletzt an einer 600-Millionen-Euro-Finanzierungsrunde beteiligt.
Da, wo Picnic liefert, wächst die Zahl der Kunden nach eigenen Angaben schnell. In Nordrhein-Westfalen hat das Unternehmen inzwischen 600.000 Kunden und ist nach eigenen Angaben der größte Online-Supermarkt. „Unsere Standorte sind nach 12 bis 18 Monaten profitabel“, sagt Deutschlandchef Frederic Knaudt. Insgesamt schreibt Picnic angesichts des Expansionskurses allerdings rote Zahlen. „Unser Ziel ist es, eine Abdeckung von 50 Prozent in Deutschland zu erreichen“, sagt Knaudt.
In Hamburg können die Kunden von diesem Dienstag an bei Picnic bestellen. „Es haben sich 23.000 Haushalte auf der Warteliste registriert“, sagt Frederic Knaudt. Zum Start sind 60 Picnic-Transporter im Stadtgebiet im Einsatz. In den nächsten Monaten soll die Zahl auf 200 steigen, auch in Schleswig-Holstein sind Stützpunkte geplant. Derzeit sucht das Unternehmen vor allem Fahrer in Festanstellung. Picnic zahlt den Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde. Insgesamt sollen in Hamburg 1000 Männer und Frauen für den Lieferdienst arbeiten, davon 200 im Zentrallager in Wilhelmsburg. Frederic Knaudt ist optimistisch, dass das klappt. Im deutschen Picnic-Stammland Nordrhein-Westfalen gehörten die weißen Mini-Transporter längst zum Stadtbild. „Und in der Karnevalszeit verkleiden sich die Kinder als Picnic-Fahrer“, erzählt er.