Hamburg/Kattendorf. Frische Produkte vom Kattendorfer Hof bei Kaltenkirchen landen nur in eigenen Läden. Doch immer mehr Kunden kaufen im Supermarkt ein.

„Am einfachsten ist, Sie sehen sich das an“, sagt Lukas Fröhlich und marschiert in seinen langen Gummistiefeln schon mal los. Vorbei an den Ställen für Kühe und Schweine geht es auf einem holprigen Weg quer über den Kattendorfer Hof. Fröhlichs Ziel sind die Folientunnel auf der anderen Seite des Geländes. „Hier ziehen wir Salat und Kräuter“, sagt der Gemüsebauer und schiebt mit geübtem Griff eine Tür auf. In schnurgeraden Reihen wächst hellgrüner Eichblattsalat in den Beeten, Petersilie und Koriander. Noch ist auslaufendes Wintergeschäft, aber der Frühling kommt. „Spätestens Ende März beginnt die Aussaat auf dem Feld“, sagt der Zwei-Meter-Mann. Und so wie er über die kleinen Pflänzchen spricht, die bald aus der Erde sprießen, merkt man, wie sehr er sich darauf freut.

Lukas Fröhlich gehört als Leiter des Bereichs Feldgemüse zum Führungsteam auf dem Biohof 35 Kilometer nördlich von Hamburg. Er hat eine landwirtschaftliche Ausbildung und einen Bachelorabschluss in Ökolandbau. Gemeinsam mit Frau und zwei Kindern lebt er auf dem zweiten Standort des Betriebs, auf Gut Neverstaven – und steht für den Generationswechsel bei dem Biopionier. „Wir wollen nicht nur Lebensmittel bereitstellen, sondern möglichst auch eine Verbindung zur Landwirtschaft herstellen“, sagt der 32-Jährige, der auch als Gesellschafter in die GmbH&Co. KG eingestiegen ist.

Kattendorfer Biohof: Betrieb wirtschaftet nach Demeter-Standards

450 Hektar Land gehören zu der 1995 gegründeten Biobetriebsgemeinschaft, die von 80 Beschäftigten beackert werden. Für die meisten mehr als ein Job. Wenn die Zeit es zulässt, stehen sie morgens vor Arbeitsbeginn auf dem großen Hofplatz und beginnen den Tag mit einem Lied. Auf den Feldern wachsen Dinkel, Weizen, Roggen, Kartoffeln und das Futter fürs Vieh. In der Gärtnerei werden 50 verschiedene Gemüsesorten angebaut, von feinem Fenchel bis winterhartem Sellerie.

In den Stallanlagen ist Platz für 200 Schwarzbunte Niederungsrinder und 200 Angler Sattelschweine, beides alte Rassen. Es gibt eine Käserei, in der aus der eigenen Milch Käse, Butter, Joghurt und Quark produziert wird. Das Fleisch wird von einem Landschlachter in der Umgebung verarbeitet. Das Brot, das aus dem Getreide des Kattendorfer Hofs gebacken wird, kommt aus der Hofbäckerei Wittmaack in Bargteheide. Alles gemäß strengen Demeter-Standards.

Mutterkühe und Kälber bleiben hier länger zusammenm

Ein Blick in den Kuhstall zeigt, wie das funktioniert. Hinter einem Metallgatter zupfen Walburga, Whisky und Xanthippe gelassen an ihrem Heustreu, während ein gutes Dutzend schwarzbunter Kälber auf wackligen Beinen um sie herumspringt. Mittendrin steht Juliane Tantau und verteilt mit zwei Mitarbeiterinnen frisches Stroh auf dem Stallboden. „Wir trennen Mütter und Neugeborene nicht direkt nach der Geburt“, erklärt die Managerin der Rinderherde. Normalerweise würden die Tiere oft schon ab dem zweiten Lebenstag getrennt.

„Aber so, wie wir es machen, ist es viel schöner für den Nachwuchs. Sie lernen voneinander, haben ausreichend Platz und gedeihen besser“, erklärt die 31-Jährige. Ammenhaltung lautet der Spezialbegriff, auf dem Kattendorfer Hof nennen sie es Kälber-Kita. Spätestens im April sind dann alle auf den Weiden.

Alle Produkte gibt es nur im eigenen Hofladen

So weit, so öko. Was den Biobetrieb bei Kaltenkirchen von vielen anderen unterscheidet: Nichts von den Erzeugnissen gibt es im Supermarkt zu kaufen, sondern nur in eigenen Hofläden und bei knapp einem Dutzend Food-Coops. Solidarische Landwirtschaft heißt das Konzept. „Der Grundgedanke ist, dass Menschen bereit sind, über ihren Ernteanteil den Hof mitzutragen“, sagt Mathias von Mirbach, der den Kattendorfer Hof vor knapp 30 Jahren gegründet hat und bis heute die Geschäfte führt.

Inzwischen ist der Hof einer der größten in dem Netzwerk von 200 Betrieben bundesweit, die nach diesem Wirtschaftsmodell arbeiten. Eine Erfolgsgeschichte. Und ziemlich nah daran, wie man sich nachhaltige Landwirtschaft und gerechte Ernährung in einer besseren Welt vorstellt. Nicht nur das: Als nach dem Bioboom in der ersten Corona-Zeit die Nachfrage nach Ökoprodukten plötzlich absackte, hat das Mitgliedermodell den Kattendorfer Hof gerettet.

Einen halben Ernteanteil ohne Fleisch gibt es für 100 Euro im Monat

Ortswechsel: Kattendorfer Hof steht über dem kleinen Laden in einer Geschäftszeile im Hamburger Pergolenviertel. Drau­ßen vor der Tür stehen Möhren, Bunte Beete, Petersilienwurzeln, Sellerie, Feldsalat in Kisten, was die auslaufende Wintersaison noch so hergibt. Ann-Britt Varwig hat schon einiges in ihren Korb gepackt, als sie das Geschäft betritt. Jetzt nimmt die 33-Jährige Joghurt und Quark aus dem Kühlregal, sucht Käse an der kleine Theke aus und lässt ihn einpacken.

Zur Kasse muss sie nicht. Ann-Britt Varwig ist Mitglied. „Ich habe einen halben Ernteanteil ohne Fleisch, damit komme ich gut zurecht“, sagt die Städteplanerin, die dafür etwa 100 Euro im Monat bezahlt. Zum Vergleich: 250 Euro kostet nach der letzten Preisanhebung ein ganzer Ernteanteil mit Fleisch samt Servicepauschale. Nach den Berechnungen der Erzeuger reicht das für den Grundbedarf einer kleinen Familie, die sich auch außer Haus verpflegt.

„Für mich ist wichtig, dass die Lebensmittel frisch, saisonal und regional ohne Zwischenstation direkt vom Erzeuger kommen“, sagt Varwig. Die wöchentlichen Mengen – in ihrem Fall für Gemüse, Kartoffeln und Milchprodukte – sind exakt festgelegt. Was sie mitnimmt, notiert Ladenbetreiberin Ulrike Groß auf einer grünen Karteikarte. „Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist in Ordnung“, sagt Varwig und meint damit, was sie im Vergleich zu anderen Biohändlern für ihr Geld bekommt. Produkte, die nicht auf dem Hof erzeugt werden, werden von Partnerbetrieben zugekauft, etwa Eier und Äpfel, aber auch Orangen und Olivenöl – und müssen extra bezahlt werden.

Viele Mitglieder kaufen mit der Monatspauschale ein

Der Hofladen in dem Neubaugebiet im Norden von Hamburg wurde im Juni 2022 eröffnet und ist der jüngste von inzwischen sieben Standorten im Stadtgebiet plus einem Stand auf dem Ökowochenmarkt in Ottensen. Überall können nicht nur Mitglieder, sondern auch alle anderen einkaufen. Neben den eigenen Erzeugnissen gehört ein kleines Angebot an Naturkostwaren zum Sortiment. Die Idee: „Wir haben gemerkt, dass wir zu den Menschen kommen müssen“, sagt Bernhard Weßling, seit 16 Jahren Gesellschafter des Kattendorfer Hofs und in der Geschäftsführung des Biobetriebs.

Das Konzept hat sich bewährt. Aber: „Nach erfreulichen Wachstumsjahren registrieren wir seit Sommer 2021 Rückgänge“, so der promovierte Chemiker und Buchautor. Gradmesser für den Betrieb mit einem Jahresumsatz von insgesamt gut drei Millionen Euro ist die Zahl der Ernteanteile. Zu besten Zeiten waren es 670, zwischendurch waren es gerade mal noch 615. Dahinter stehen etwa 1000 Mitglieder. Auch der Umsatz in den Hofläden ist zurückgegangen. Im Vergleich zu 2019 um bis zu 15 Prozent. Der neue Laden im Pergolenviertel hat deshalb inzwischen die Öffnungszeiten deutlich reduziert.

Viele Biokunden kaufen jetzt öfter im Supermarkt

Auch den Kattendorfer Hof hat die Krise in der Ökobranche voll erwischt. Nachdem sich die Geschäfte mit Bio&Co in Deutschland in den vergangenen Jahren mit immer neuen Bestmarken rasant entwickelt hatten, hat sich das mittlerweile Bild gedreht: 2022 ist der Ökomarkt zum ersten Mal geschrumpft, ergab der Marktbericht des Deutschen Bauernverbands. Die hohe Inflation, steigende Kosten und die spürbare Kaufzurückhaltung der Konsumenten haben dem Positivtrend einen Dämpfer versetzt. Laut Bund Ökologischer Landwirtschaft sanken die Umsätze im Vergleich zu 2021 um 3,5 Prozent auf 15,3 Milliarden Euro.

Supermärkte und Discounter mit ihren wachsenden Biosortimenten kommen dabei besser weg. Mit gut zehn Milliarden Euro gingen Zwei Drittel der Brancheneinnahmen in ihre Kassen – ein Plus von 3,2 Prozent. Dagegen geht es den Pionieren an den Kragen: Naturkostläden und Biosupermärkte erlitten laut den Marktforschern von Biovista „historisch einmalige“ Einbußen. Aktuellen Auswertungen zufolge brach 2022 der durchschnittliche Umsatz pro Laden um 12,5 Prozent ein und pendelte sich etwa auf dem Niveau von 2019 ein. Der Bundesverband Naturkost Naturwaren, hinter dem 2200 Bioläden und Biosupermärkte stehen, meldete für vergangenes Jahr einen Umsatzrückgang von 12,3 Prozent. Das hat Folgen für die Erzeuger.

Derzeit gibt es viel zu wenige Kunden für die Ernte

Auch der Kattendorfer Hof ächzt unter der Entwicklung. „Wir sitzen noch auf vollen Dinkellagern von der letzten Ernte, weil wir zu wenig Abnehmer finden“, sagt Geschäftsführer Mathias von Mirbach. Einige mit dem Getreide angesäte Felder werden jetzt umgebrochen. Stattdessen sollen dort in diesem Jahr Ackerbohnen wachsen – als Futter für die Tiere. Die wirtschaftliche Lage hat dem Hof zuletzt massiv zugesetzt. „Ohne unser Betriebsmodell würde es uns nicht mehr geben“, sagt der 64-Jährige.

Inzwischen sehen der Ökolandwirt und sein Team wieder optimistischer in die Zukunft. Die Zahl der Ernteanteile steigt ganz langsam wieder und liegt aktuell bei 630. Möglich wären aus dem Stand 700. Aber während neue Mitglieder früher einfach so kamen und teilweise sogar auf Wartelisten standen, ist die Vermarktung und Mitgliedergewinnung inzwischen harte Arbeit. Dabei geht der Kattendorfer Hof neue Wege und ist jetzt bei Instagram und Facebook zu finden. Auch neu: der Online-Shop für Rindfleisch als zusätzlicher Verkaufsweg, denn viele Mitglieder sparen sich inzwischen die Fleischbestellungen. Für die Hofgemeinschaft ein neues Thema: „Ohne die Tiere funktioniert unsere Kreislaufwirtschaft nicht“, sagt Gemüsebauer Fröhlich. Und macht klar, was er erwartet. „Die Politik ist gefordert, allein können wir den Wandel in der Landwirtschaft nicht erreichen.“