Hamburg. Die Wirtschaftsförderer von Hamburg Invest kümmern sich auch um Lupenbrillen von einer dänischen Insel und Fischfleisch aus dem Labor.
Als die neue Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) und Hamburgs Chef-Wirtschaftsförderer Rolf Strittmatter am Dienstag die Jahresbilanz 2022 von Hamburg Invest präsentierten, klang es immer mal wieder so wie beim Rückblick eines Unternehmens auf das jüngst abgelaufene Jahr: Viel war von Herausforderungen durch die allgemein hohen Preissteigerungen, gestiegene Energie- und Baukosten und die seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine komplizierte geostrategische Lage die Rede, die es insgesamt schwierig machten, so erfolgreich zu arbeiten, wie man es gerne getan hätte.
Letztlich war man dann aber doch recht zufrieden mit dem Gang der Dinge – und sich selbst. Die Senatorin lobte die „guten Ergebnisse“ und einen „tollen Erfolg“ der Wirtschaftsförderer. Hamburg Invest-Chef Strittmatter sagte: „2022 war angesichts der Umstände ein sehr, sehr gutes Jahr.“
Wirtschaftsförderung: Unternehmen investieren so viel wie nie zuvor
Die harten Fakten belegen das nur bedingt. 52 Unternehmen wurden von den Wirtschaftsförderern neu in die Stadt geholt, 39 seien von Hamburg Invest bei der Expansion innerhalb der Stadt unterstützt worden, hieß es. Dadurch seien insgesamt knapp 7400 Arbeitsplätze entweder neu geschaffen (2421 Jobs) oder abgesichert (4977) worden. Was die Zahl der Unternehmen angeht, waren das nur wenig mehr als im zweiten Coronajahr, die Zahl der neuen und abgesicherten Arbeitsplätze, die Hamburg Invest sich gutschreibt, hatte 2021 noch bei gut 9150 gelegen. Einen Superlativ aber verkündete Strittmatter dann doch: Die angesiedelten und expandierenden Unternehmen investieren in der Hansestadt insgesamt 828 Millionen Euro. „Ein Höchstwert“, hieß es. Im vergangenen Jahr waren es gut 750 Millionen Euro gewesen.
Die neuen Unternehmen in der Stadt kommen je zur Hälfte aus Deutschland und aus dem Ausland. Dazu zählen zum Beispiel das dänische Medizintechnik-Unternehmen ExamVision, das auf der Ferieninsel Samsö Lupenbrillen für Zahnärzte und Chirurgen fertigt. In Hamburg ist ExamVision nun mit einem Büro und einem Showroom vertreten und zählt mit vier Beschäftigten zu den eher kleineren Neuansiedlungen. Ganz anders die Airbus-Tochter Satair, die sich mit gut 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einem neuen Logistikobjekt in Wilhelmsburg ansiedelte und dort gut zehn Millionen Euro investierte.
Künstliches Fischfleisch aus der Marzipanfabrik
Ebenfalls neu in der Stadt ist das Berliner Biotech-Start-up Bluu Seafood, das in der ehemaligen Marzipanfabrik in Bahrenfeld gerade eine Produktion künstlichen Fischmuskelfleisches aufbaut. Der norwegische Kabelverleger BraCom hat jetzt ebenso einen Standort in der Hansestadt wie die Aries Solutions GmbH aus Dubai, die Ingenieurdienstleistungen für die maritime Wirtschaft anbietet und „von Hamburg aus den europäischen Markt bearbeiten“ wolle, so Strittmatter.
In ihre Erfolgsbilanz des vergangenen Jahres schreiben sich die Wirtschaftsförderer zudem die Entscheidung von Shell Deutschland, in Hamburg zu bleiben und im kommenden Jahr mit etwa 400 Beschäftigten in die HafenCity umzuziehen. „Hamburg Invest unterstützte Shell über einen längeren Zeitraum bei der langfristigen Standortsicherung“, heißt es nun. Als Erfolg für sich verbuchen die Wirtschaftsförderer zudem, dass das Wirkstoffforschungsunternehmen Evotec 2022 den Grundstein für eine Erweiterung seiner Firmenzentrale am Essener Bogen in Ochsenzoll legte. Bei einem komplexen Genehmigungsprozess mit vielen Beteiligten habe man vermitteln können und so die Schaffung von 160 hochspezialisierten Arbeitsplätzen unterstützen können, heiß es in der Jahresbilanz.
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Wirtschaftsförderung: Stadt will mehr Steuereinnahmen
„Hamburg ist weiterhin sehr attraktiv und gefragt“, betonten Leonhard und Strittmatter. Neben Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen gehe es natürlich auch darum, die Steuereinnahmen zu steigern. Laut einer von Hamburg Invest selbst in Auftrag gegebenen Studie wurden durch die Arbeit der Wirtschaftsförderer 2022 Wertschöpfungseffekte in Höhe von 1,6 Milliarden Euro angestoßen. Die Studienautoren errechneten zudem fiskalische Effekte – also Steuereinnahmen – in Höhe von 160 Millionen Euro.
Das wohl wichtigste Steuerungsinstrument der Wirtschaftsförderer für Ansiedlungen und Expansionen sind die freien Gewerbegrundstücke in der Stadt. Insgesamt 12,2 Hektar, Flächen in der Größenordnung von etwa 17 Fußballplätzen, wurden 2022 an Firmen vermittelt. Es waren sowohl städtische wie private Grundstücke. In diesem Jahr könnten voraussichtlich die ersten Flächen im riesigen Gewerbegebiet Neuland 23 an der A1-Anschlussstelle Harburg vergeben werden. Die mehr als 23 Hektar waren vor Jahren schon an die Deutsche Post gegangen. Doch weil sich die Pläne des Konzerns änderten und er doch nicht die von der Stadt gewünschte Zahl von Arbeitsplätzen schaffen wollte, trennten sich die Vertragspartner wieder. Nun soll Neuland 23 absehbar ab Sommer womöglich in Einzelflächen vergeben werden – und die Jahresbilanz 2023 aufhübschen.
Die Aussagekraft dieser Bilanzen ist ohnehin eingeschränkt, weil wichtige Daten fehlen. Die Wirtschaftsförderer erfassen nicht, wie viele Unternehmen mit wie vielen Arbeitsplätzen Hamburg binnen eines Jahres verlassen.