Bergedorf. Oliver Weinmann, ist Präsident des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellenverbands. Was er über die Energien der Zukunft sagt.
Seit Jahren wird geforscht und entwickelt, immer wieder ist von Studien und Pilotprojekten die Rede. Aber so richtig vorwärts scheint es in Deutschland bislang nicht zu gehen: Wenn es um das Thema Wasserstoff geht, drehen sich die Mühlen doch recht langsam. Aber das beklagen ja auch die Betreiber von Offshore-Windparks, die bis zu sieben Jahre warten müssen, bis die Anlagen installiert sind, die Flügel sich endlich drehen können.
Da dürfen sie neidisch auf die Betreiber des Wilhelmshavener Flüssiggas-Terminals (LNG) sein, der nach nur zehn Monaten von Bundeskanzler Olaf Scholz eingeweiht wurde: In Rekordzeit also werden gerade Stempel und Genehmigungen vergeben, damit Deutschland gut und warm über den Winter kommt – notfalls eben auch ohne Russlands Gas. Und am liebsten langfristig auch unabhängig von fossilen Energieträgern: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die Produktion von grünem Wasserstoff bis zum Jahr 2030 von geplanten fünf auf zehn Gigawatt erhöhen.
Die aktuelle Aufbruchstimmung spielt dem Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellenverband (DWV) hervorragend in die Karten: „Wasserstoff entwickelt sich in einem rasanten Tempo von einer Nische zu einer wesentlichen Komponente unseres Energiesystems. Das wird inzwischen auch von der Bundesregierung so gesehen“, meint dessen Präsident Dr. Oliver Weinmann, der in Bergedorf wohnt. Wir stellten dem 62-Jährigen einige Fragen zur neuen Technologie, denn er ist davon überzeugt, dass die erneuerbaren Energien nicht ohne Wasserstoff auskommen werden.
Ist Deutschlands Industrie noch immer verhalten mit dem Aufbau von Wasserstoff-Anlagen?
Dr. Weinmann: Nein, alle scharren mit den Füßen und verstehen das Erdgas bloß als Zwischenschritt bis zum Wasserstoff. Die Stahl- und die Chemie-Industrie wollen möglichst schnell bezahlbaren, grünen Wasserstoff haben. In Hamburg wird auch Dank des sehr aufgeschlossenen Hamburger Senats gerade mit der Hamburger Wasserstoff Allianz eins der größten deutschen Wasserstoffprojekte im Hafen mit wesentlicher Beteiligung der Industrie angeschoben.
Wenn technologisch alles machbar ist: Woran hapert es bei der Umsetzung?
An der schwerfälligen Bürokratie mit viel Klein-Klein. Und an den endlosen Streitereien in der EU-Kommission, die eine zu detaillierte Regulatorik diskutiert und damit auf der Bremse steht. Dabei könnte die Bundesregierung auch alleine handeln, versteckt sich aber hinter der europäischen Diskussion um die Kriterien für grünen Wasserstoff. Es gibt leider eine starke ideologische Fraktion, die versucht mit unrealistisch hohen Anforderungen (zum Beispiel soll grüner Wasserstoff nur mit neuen erneuerbare Energieanlagen akzeptiert werden) Investitionen in die Zukunftstechnologie zu verhindern.
Das würde natürlich wieder viel Zeit kosten...
So jedenfalls kriegen wir den Markthochlauf nicht schnell genug hin um den Klimawandel zu bekämpfen und unsere Abhängigkeit von Erdgas zu minimieren. Die Investoren brauchen Planungssicherheit, haben sie schließlich doch schon Projekte in der Pipeline, die mit Wasserstoff vier bis fünf Gigawatt umsetzen könnten. Wir brauchen mehr politischen Konsens, das auch zu wollen. Das industrielle Potenzial ist mit notwendigen Investitionen im Maßstab von mehreren 100 Milliarden Euro gewaltig. Und wir müssen schnell sein, um diesen Zukunftsmarkt nicht zu verpassen.
Aber die Infrastruktur zieht auch nicht immer rechtzeitig mit, oder?
Ja, leider. In den norddeutschen Ländern werden Windkraftanlagen zeitweise abgeschaltet, weil die Netze den Strom nicht aufnehmen können. So werden die eigentlich verfügbaren erneuerbaren Energieträger nicht komplett ausgeschöpft: Von 8700 Stunden im Jahr werden Anlagen an etwa 2000 Stunden runtergefahren: diese eigentlich verfügbare aber ungenutzte Energie könnte man gut für die Wasserstoff-Herstellung einsetzen. Volkswirtschaftlich ist das ziemlicher Unsinn; die Anlagen runterzufahren, es wird einfach Geld zum Fenster herausgeworfen.
Also haben wir grundsätzlich aber doch genügend Wind und Sonne?
Heute werden knapp 50 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien produziert. Wir können noch weitere große Strommengen aus erneuerbaren Energien produzieren – auch für die Herstellung von grünem Wasserstoff. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 immerhin 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen, das entspricht einer installierten Leistung von Wind und Sonne in der Größenordnung von 250 bis 300 Gigawatt. Allerdings weht der Wind nicht immer dann, wenn wie Strom brauchen oder die Sonne scheint nicht. Wir werden den Wasserstoff als speicherbaren Energieträger auch brauchen, um die Phasen zu überbrücken, in denen Wind noch Sonne nicht ausreichend zur Verfügung stehen, also im Winter und auch nachts.
Es heißt doch stets, Deutschland habe nicht ausreichend Flächen für erneuerbare Energien...
Richtig, es reicht nicht. Deutschland benötigt große Mengen an Energie, die wir heute mit Erdöl, Erdgas und Kohle importieren. Auch wenn heute schon fast die Hälfte unseres Stroms grün ist, wird damit nur ein Achtel unseres gesamten Energiebedarfs gedeckt. Wir werden offensichtlich immer auch Energie importieren müssen. Wasserstoff und seine Derivate – Methanol, Ammoniak oder Efuels – lassen sich gut speichern und verfügen teilweise bereits heute über weltweite etablierte Lieferketten, die dann auch für die grünen Produkte genutzt werden können.
Andere Länder scheinen weit innovativer zu sein, wo sollten wir hinschauen?
Am interessantesten ist die Entwicklung in USA, denn Joe Biden will mit dem Inflation Reduction Act 400 Milliarden Dollar investieren, von denen mit 50 Milliarden allein der grüne Wasserstoff subventioniert wird: Die Produktionskosten für grünen Wasserstoff liegen derzeit bei etwa 4 bis 6 Dollar pro Kilogramm und werden in den USA mit drei Dollar bezuschusst – damit ist grüner Wasserstoff konkurrenzfähig zu fossil hergestelltem Wasserstoff. Verbunden mit der Subvention ist die Auflage, dass die Anlagen zur Produktion von Wasserstoff in USA hergestellt werden. Wenn wir nicht schnell handeln, verlieren wir in Europa diesen Zukunftsmarkt, denn viele Investoren wandern ab, sichern also anderswo Wachstum und Arbeitsplätze.
Sollte Deutschland ebenfalls subventionieren oder muss sich der Markt von alleine regeln? Immerhin gibt es beim Bund eine „Lotsenstelle Wasserstoff“, die in Sachen Förderung berät.
Neue Technologien im Energiesektor brauchen anfangs immer eine Förderung zur Markteinführung, das war bereits bei der Kernenergie so, bei den erneuerbaren Energien und nun beim Wasserstoff. Wir brauchen einfache und pragmatische Fördersysteme, die es der Industrie ermöglichen, in den Markthochlauf zu investieren. Eine Dauerförderung ist allerdings auszuschließen, da bin ich aber zuversichtlich, grüner Wasserstoff wird spätestens ab circa 2030 wettbewerbsfähig sein. Es gibt von der Europäischen Kommission und der Bundesregierung einige gute Ansätze zur Förderung, allerdings dauert das alles viel zu lange. Und solange die Kriterien für grünen Wasserstoff noch nicht festgelegt sind, dreht sich leider alles im Kreis.
Warum muss der grüne Wasserstoff denn überhaupt so teuer sein?
Muss er gar nicht. Ein Premium-Fahrzeug etwa, das aus grünem Stahl gebaut wird, kostet gerade mal 200 bis 300 Euro mehr als aus grauem, fossil erzeugtem Stahl. Nicht nur in der Stahlindustrie wird der Wasserstoff schon bald eine große Rolle spielen, auch in der Chemieindustrie gibt es viele Verfahren, in denen mit grünem Wasserstoff Produkte ohne den Einsatz von Erdgas und ohne die Emission von Treibhausgasen hergestellt werden können. Ebenso wird Wasserstoff im Transportbereich im Schwerlastverkehr auf Langstrecken zum Einsatz kommen, und bei interkontinentalen Strecken auf See, wo die Schiffe keine Alternative haben zu synthetischen Kraftstoffen auf Wasserstoffbasis. Auch im Luftverkehr werden wir auf Wasserstoff setzen und bei den Bahnstrecken ohne Strom-Oberleitungen.
Jedenfalls scheinen Sie trotz aller Hindernisse recht zuversichtlich zu sein...
Ja, und ich hoffe, ich werde dabei sein dürfen, wenn in wenigen Jahren die ersten großen Projekte in Betrieb gehen werden. Besonders interessant ist da die Hamburger Wasserstoff Allianz mit der Produktion von grünem Wasserstoff in Moorburg, dem Aufbau einen Wasserstoff-Verteilnetzes im Hamburger Hafen und einer Vielzahl von verschiedenen Anwendungen in der Industrie und im Verkehr.
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Das ist Wasserstoff:
Zwei Wasserstoff-Atome und ein Sauerstoff-Atom bilden zusammen ein Wasser-Molekül. Wenn man die Verbindungen zwischen den Atomen trennt, werden aus dem flüssigen Wasser zwei ganz neue Stoffe, nämlich Sauerstoff (O2) und Wasserstoff (H2), zwei Gase. Für diese Trennung (Elektrolyse) werden Strom (gern aus erneuerbaren Energien) und Wasser benötigt.
Zur Person Oliver Weinmann
Dr. Oliver Weinmann studierte in Aachen Verfahrenstechnik und promovierte über solarthermische Kraftwerke. 1992 begann er bei der HEW in Hamburg und wechselte 2003 als Head of Innovation Management zu Vattenfall, damals noch als „Kohlekraftkonzern“ bezeichnet. Parallel dazu war er zwischen 2004 und 2007 Geschäftsführer der Vattenfall Renewables GmbH. 2010 wurde Weinmann zum Geschäftsführer der Vattenfall Europe Innovation GmbH ernannt. Seit August 2022 ist er als freiberuflicher Berater selbstständig. Neben seinem Ehrenamt als DWV-Präsident ist der 62-Jährige Vize-Vorsitzender des Vereins Wasserstoffgesellschaft Hamburg.