Hamburg. Marcus Vitt ist seit 1. Januar im Amt. Im Gespräch erklärt er, warum er nicht in Immobilien investiert und gibt eine DAX-Prognose ab.

Edles Ambiente, ein leckerer doppelter Espresso und dazu auf dem Tisch keine trockenen Kekse, sondern eine Auswahl After Eight, Niederegger Marzipan und Ferrero Rocher: Privatbank-Atmosphäre eben. Und genau dort empfängt Marcus Vitt das Abendblatt – bei Donner & Reuschel am Ballindamm.

Denn der 56-Jährige ist Chef dieses edlen Bankhauses – seit nunmehr 20 Jahren. Doch um diese Position geht es heute nicht, sondern um sein neues Amt – das des Hamburger Börsenpräsidenten. Und schnell wird klar, hier brennt einer – und zwar für Aktien!

Hamburger Abendblatt: Herr Börsenpräsident, wie hört sich das an?

Marcus Vitt: Gut. Ich bin ein Kind der Börse, war vor rund 30 Jahren bereits für Regionalbörsen in Frankfurt verantwortlich. Die Börse hat mich schon immer fasziniert.

Haben Sie das Amt angestrebt, oder hat man es Ihnen aufgedrängt?

Ich wurde gefragt, aber nicht gedrängt. Und darüber habe ich mich sehr gefreut.

Wie ist privat Ihr Verhältnis zur Börse: Haben Sie persönlich viel liquides Vermögen in Aktien?

Ja. Ich bin ein überzeugter Mieter, wohne also nicht in einer gekauften Immobilie – auch mit Blick auf die Rendite. Denn als Sachanlage ist die Aktie der Immobilie klar überlegen. Sie haben beim Aktienkauf keine hohen Nebenerwerbskosten wie Grundsteuer und Notargebühren. Und auf lange Sicht erwirtschaften Sie mit Aktien jährlich eine Rendite von mehr als zehn Prozent – das schaffen Sie mit Immobilien nicht. Zudem bin ich ohne Immobilie flexibler, kann den Standort – zum Beispiel beruflich – unproblematischer wechseln. Und ich kann meine Wohnsituation dem Alter anpassen. Was soll ich noch mit einem riesigen, womöglich älteren Haus, wenn ich als Rentner alleine mit meiner Frau lebe?

Wie viel Prozent Ihres aktuellen Vermögens steckt in Aktien?

Rund 90 Prozent. Der Rest liegt auf dem Sparbuch und dem Tagesgeldkonto.

Warum keine eigene Immobilie? Wenn Sie vor fünf Jahren eine Eigentumswohnung in Harvestehude gekauft hätten und diese heute verkaufen würden, hätten Sie einen dicken Gewinn eingestrichen.

Mit den richtigen Aktien hätte ich mehr Geld verdient. Schauen Sie aktuell auf den Dax, er hat schon wieder ein Jahreshoch erreicht.

Würden Sie Anlegern empfehlen, jetzt noch an der Börse einzusteigen?

Klar. Fakt ist aber auch: Man wird nie den optimalen Einstiegszeitpunkt treffen. Doch der Trend zeigt weiter klar nach oben. Die meisten börsennotierten Unternehmen haben zügig auf die jüngsten Krisen wie Pandemie und Ukraine-Krieg reagiert. Standorte wurden verlagert, Produktionsprozesse angepasst. Selbst in der Pandemie hat sich der Dax schnell erholt, zum einen weil die meisten Konzerne vernünftig gehandelt haben, zum anderen, weil der Staat mit seinem Geld die Systeme stabilisiert hat.

Was sind aus Ihrer Sicht vielversprechende Branchen?

Die Technologiewerte werden wieder kommen. Sie sind durch eine schwere Zeit gegangen. Doch alles, was für übermorgen ökonomisch von Bedeutung ist, hat einen technischen Hintergrund: Künstliche Intelligenz, Quantencomputer, Pflegeroboter. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Neue Technologien werden sich mit einer Geschwindigkeit entwickeln, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Schauen Sie nur auf die Rechnerleistungen der Prozessoren. Da gab es in den vergangenen Jahren bereits riesige Sprünge – und diese Entwicklung wird sich mit hohem Tempo fortsetzen.

Wie beurteilen Sie die Automobilindustrie der Zukunft?

Die Automobilindustrie wird in den nächsten Jahren komplett neu gedacht. Die Politik hat die Branche nun stark Richtung Elektromobilität gelenkt. Für mich ist das aber nur eine Brückentechnologie.

Wie meinen Sie das?

Wasserstoff dürfte eine noch viel größere Rolle spielen als bisher angenommen. Und es wird womöglich Antriebe geben, die wir uns heute im Massengeschäft nicht vorstellen können. Warum sollen nicht zum Beispiel Autos mit Solarzellen ausgestattet werden und sich über den selbst erzeugten Strom in Bewegung setzen?

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Wie genau sollte ein Anleger an der Börse investieren – über Indexfonds wie ETFs – oder sollte er doch lieber Einzelaktien kaufen?

Ich bin kein Freund von ETFs. Denn das aktive Management eines Depots bringt höhere Renditen ...

... das müssen Sie als Chef der Privatbank Donner & Reuschel sagen, weil Sie so Ihr Geld verdienen.

Nein, das sind Fakten. Denn in einem Index-Fonds sind auch immer Werte, die nicht optimal performen. Dieses Problem kann ich über ein aktives Management lösen. Allerdings bin ich nicht prinzipiell gegen ETFs. Wenn man zum Beispiel kontinuierlich kleinere Beträge für seine Kinder anlegen will, dann sind indexnahe Sparpläne sicherlich keine schlechte Wahl.

Mit Blick auf die aktuell unübersichtliche Weltlage frage ich Sie nicht – wie sonst üblich – nach einer Dax-Prognose bis Ende 2023, sondern bis Anfang 2033. Wo wird der Dax in zehn Jahren stehen?

Ich erwarte bis dahin einen durchschnittlichen Anstieg des Dax von zehn Prozent pro Jahr.

Die Bundesregierung will jedes Jahr zehn Milliarden Euro über einen Fonds am Kapitalmarkt anlegen, um die gesetzliche Rente zu stabilisieren. Wie beurteilen Sie diese Aktienrente?

Genau sie habe ich vor Jahren gefordert. Nun geht die Politik endlich einen ersten kleinen Schritt in diese Richtung. Das ist nicht nur mit Blick auf die Rentenkasse ein sinnvoller Weg, sondern es signalisiert der Bevölkerung auch: Schaut mal, Aktien sind kein Teufelszeug, sondern ein gutes Investment! In Deutschland bekommen vor allem die negativen Börsengeschichten, wie zeitweilige Crashs oder der Wirecard-Skandal, große Aufmerksamkeit. Dabei ist die Geschichte der Aktie zu 95 Prozent eine positive. Die Aktienrente des Staates kann dazu beitragen, dass die Deutschen eine andere Einstellung zur Börse bekommen. Denn wer gesetzlich rentenversichert ist, würde dann automatisch mit Aktien in Berührung kommen und die Chancen dieser Anlage erkennen. Zudem dürften die langfristigen Renditen von Aktien der Rentenkasse guttun.

Reichen zehn Milliarden Euro pro Jahr?

Nein, das ist natürlich viel zu wenig. Aber nun sollte man erst mal abwarten, wie die Politik dieses Instrument genau ausgestaltet und wann es tatsächlich losgeht. Obendrauf – das sollte jedem Bundesbürger klar sein – muss natürlich für jeden noch eine private Altersvorsorge kommen. Denn auch eine zum Teil über den Kapitalmarkt finanzierte gesetzliche Rente wird nicht ausreichen, um den Lebensstandard des Einzelnen im Alter zu sichern.

Wer eine Immobilie kauft, diese selbst nutzt und später verkauft, muss den erzielten Gewinn nicht versteuern. Das Gleiche gilt bei vermieteten Immobilien nach einer Haltedauer von zehn Jahren. Wer aber eine Aktie kauft und wieder veräußert, muss 25 Prozent Kapitalertragsteuer auf den Gewinn zahlen. Ist das gerecht?

Nein. Ich verstehe ohnehin nicht, warum man auf bereits versteuertes Einkommen, das man investiert, erneut Steuern zahlen muss. Zudem würde ich mir eine Gleichbehandlung bei Immobilien und Aktien wünschen.

Warum gibt es diese Ungleichbehandlung in Deutschland?

Da haben offensichtlich bestimmte Lobbygruppen besonders gut gearbeitet.