Hamburg. Olaf und Stefanie Garber haben acht Kaffeebars eröffnet. Jetzt sucht das Gründerpaar einen Standort mit einem besonderen Extra.

Die junge Mutter mit Baby im Tuch steuert zielstrebig auf die Theke gegenüber des Eingangs zu. „Das Gleiche wie immer“, sagt sie. Schon klar, dass An­drea Martens das Café May in Horn nicht zum ersten Mal betritt. An der Kaffeemaschine macht sich Ehsan Khalitsch direkt ans Werk. „Großer Latte zum Mitnehmen“, bestätigt er mit einem leichten Kopfnicken und füllt Kaffeepulver in den Siebträger.

Wenn die Hamburgerin an diesem Vormittag mit ihrer älteren Tochter gekommen wäre, hätte der Kaffeebar-Betreiber gefragt, ob die einen lauwarmen Kakao haben wolle oder lieber einen Schokomuffin. Khalitsch kennt seine Gäste und ihre Wünsche. Für die Hor­nerin heute nur Kaffee „to go“. 3,70 Euro kostet er. 20 Cent weniger als am Tisch. So läuft das in dem Nachbarschaftscafé an der U-Bahn-Station Horner Rennbahn – weit weg von den Hotspots der Stadt mit internationalen Coffeeshop-Ketten wie Starbucks, Espresso House & Co.

Café May als Stadtteil-Treffpunkt in Hamburg

Es gibt acht Café May in Hamburg. Das im Stadtteilhaus Horner Freiheit ist ein typischer Standort. Viele Mehrfamilienhäuser drum herum, Basis-Infrastruktur mit Lebensmittelladen, Drogeriemarkt und Sparkasse in der Nähe, aber sonst nicht wirklich viel. „Wir gehen nur in Wohnviertel“, sagt Olaf Garber, der die Café-Kette mit Ehefrau Stefanie vor 24 Jahren gegründet hat.

Persönlicher Service und bodenständige Speisekarte, Preise ein bisschen günstiger als anderswo – dafür steht Café May. „Unsere Grundidee ist ein Café um die Ecke, in dem sich alle wohlfühlen können“, beschreibt Stefanie Garber das Konzept.

Die Idee war entstanden, weil ihnen genau das selbst einst fehlte. Ende der 1990er-Jahre waren die Garbers in der Nähe des Hammer Parks gezogen. „Dort gab es praktisch nichts“, erinnert sich Olaf Garber. „Keine Bäckerei, kein Café, keine Kneipe.“ Der Betriebswirt, der früher auf St. Pauli Theater gemacht und gerade seinen Job bei der Unternehmensberatung McKinsey an den Nagel gehängt hatte, und die Informatikerin entwickelten ein Geschäftsmodell, das praktisch eins in allem sein sollte. Und zudem: ein Treffpunkt für den Stadtteil.

Café May hat noch nie einen Standort geschlossen

1999 eröffneten sie ihr erstes Café an der Caspar-Voght-Straße in Hamm – anfangs noch unter dem Namen Park-Café. Morgens ab 6.30 Uhr gab es Frühstück, nachmittags selbst gebackene Torten und abends bis 22 Uhr Wein, Bier, Cocktails und kleine Gerichte. Außerdem: ein großes Angebot an Backwaren zum Mitnehmen. Und das an 365 Tagen im Jahr.

Um das finanzielle Risiko in Grenzen zu halten, baute Olaf Garber Möbel selbst. Maschinen kaufte er gebraucht. Seine Frau Stefanie stand den ganzen Tag in der kleinen Backstube im Keller. Ihr Markenzeichen: die Baisertorte.

„Wir wollten es ausprobieren und haben gesagt, wenn es nicht klappt, lassen wir es und gehen zurück in unsere Berufe“, erinnert sich Stefanie Garber. Es klappte von Anfang an. Längst hat das Gründerpaar das operative Geschäft an Pächter abgegeben, trotzdem laufen bei ihnen die Fäden zusammen. Café May ist eine Herzensangelegenheit. Bislang haben sie noch nie einen Standort geschlossen.

Ehsan Khalitsch (r.) und sein Vorgänger und Bruder Mohamed hinter der Theke im Café May in Horn.
Ehsan Khalitsch (r.) und sein Vorgänger und Bruder Mohamed hinter der Theke im Café May in Horn. © Thorsten Ahlf / Funke Foto Services

An diesem Vormittag sitzt ein gutes Dutzend Gäste im Café May in Horn – trotz Hochbahn-Baustelle direkt vorm Lokal und heftiger Regenschauer. Viele kommen jeden Tag. Zwei Frauen haben einen freien Tisch an der Fensterfront gefunden, ein älterer Mann balanciert ein Käsebaguette und einen Becher Kaffee an einen Eckplatz.

Ehsan Khalitsch hat hinter der Theke gut zu tun. In der Auslage Croissants, Franzbrötchen, diverse belegte Brötchen, Spinat-Quiche und diverse Kuchen und Torten aus der Backstube in Hamm. Immer wieder geht die Eingangstür auf, Snacks und Getränke zum Mitnehmen werden bestellt.

„Gegen Mittag wird es voll“, sagt Khalitsch. „Zu uns kommen alle querbeet, Junge und Alte, Arme und Reiche.“ Der 37-Jährige arbeitet schon lange in dem Café, hat den Betrieb Anfang Februar von seinem Bruder Mohamed übernommen.

May-Cafés werden von Pächtern geführt

Bis 2015 haben die Garbers fast jedes Jahr ein weiteres Café eröffnet: Barmbek, Eimsbüttel, Winterhude, Wandsbek, noch mal Barmbek, St. Pauli, Horn – Standorte, die eher unter dem Radar der Öffentlichkeit laufen. Die ersten drei Lokale hat das Ehepaar noch mit Angestellten selbst betrieben, dann starteten sie ein Modell aus Pacht und Franchise.

Dahinter steckt die einfache Erkenntnis: „Es läuft besser, wenn der Betrieb von jemandem geführt wird, der immer da ist und auch selbst etwas vom Erfolg hat“, sagt Stefanie Garber. Auch deshalb haben die Betreiber anders als bei anderen Ketten eine Reihe von Freiheiten, können bei Speisekarte, Öffnungszeiten und Preisen standortspezifisch variieren.

Der Café-May-Look mit viel Holz und gemütlichen Sesseln ist Sache der Inhaber. „Ich kümmere mich auch um die Instandhaltung und mache viele Reparaturen in den Cafés selbst“, sagt Olaf Garber. Er hätte sich mit 56 Jahren wahrscheinlich schon längst aus dem laufenden Geschäft zurückziehen können. „Aber“, sagt er, „ich möchte, dass die Kosten möglichst gering bleiben. Dann sind unsere Gäste und auch die Pächter glücklich.“

Erschwingliche Preise sind Café May wichtig

Denn: Bezahlbare Preise gehören zur DNA des Café-May-Konzepts. Filterkaffe gibt es in Horn im Haus ab 1,60 Euro, ein Croque kostet 6,50 Euro und Kuchen und Torten stehen für 3,20 Euro pro Stück in der Auslage. Das ist nicht billig, aber das Preis-Leistungs-Verhältnis ist auch noch in Ordnung, wenn man nicht zu den Besserverdienenden gehört. „Wir wollen, dass die Kunden es sich leisten können wiederzukommen“, sagen die Garbers.

Dazu gehört auch, dass sie bei der Expansion immer auf günstige Mieten geachtet haben. Als sie sich für den Standort in der Hein-Hoyer-Straße nicht nahe der Reeperbahn interessiert haben, hatte die Vermieterin eigentlich schon einen anderen Mieter. „Aber sie fand unser Konzept mit dem Bäckerangebot für die Menschen gut, die in dem Teil St. Paulis leben. Deshalb bekamen wir den Zuschlag.“

2015 war das Café in Horn die letzte Neueröffnung. Das ist mehr als sieben Jahre her. „Wir haben damals beschlossen, dass wir nicht mehr wachsen wollen“, sagt Stefanie Garber. Und das, obwohl die Geschäfte florierten. „Der Überbau wäre größer geworden, und wir hätten nicht mehr so viel mit unseren Läden, den Betreibern und den Kunden zu tun gehabt“, sagt Olaf Garber. „Damit hätten wir unseren Wettbewerbsvorteil verloren und wären austauschbar geworden.“

Der frühere Unternehmensberater hat im Laufe der Jahre einige Gastronomiebetriebe gesehen, die sich durch schnelles Wachstum selbst überholt haben und verkauft wurden, wie etwa die Hamburger Coffeeshop-Kette Balzac, die von der schwedischen Kette Espresso House übernommen wurde.

Corona-Pandemie hat Café May knapp überlebt

Café May soll ein Familienbetrieb bleiben. Mohamed Khalitsch arbeitet seit mehr als zehn Jahren beim Unternehmen. „Angefangen habe ich als Aushilfe während meines Studiums“, erzählt der Hamburger, der als Kind aus Afghanistan nach Deutschland gekommen war. 2020 hat der 32-Jährige das Café in Horn als Pächter übernommen und parallel zum Café May auf St. Pauli geführt. „Es ist viel Arbeit, aber es macht auch viel Spaß. Wir machen es mit Liebe“, sagt er. Die Corona-Pandemie hat auch in seinen Lokalen Spuren hinterlassen. Auch deshalb will er sich jetzt auf das Kiez-Café konzentrieren und die Verantwortung in Horn abgeben – an seinen Bruder.

Auch die anderen Standorte der Café -May-Familie hat die Pandemie mit Einschränkungen und langen Lockdowns hart getroffen. „Wir haben knapp überlebt“, sagt Inhaber Olaf Garber. Inzwischen lägen die Umsätze wieder etwa auf dem Niveau der Vor-Corona-Zeit. Konkrete Angaben zu den Geschäftszahlen macht er nicht. Nur so viel: Die großen Standorte erwirtschaften etwa 60.000 Monatsumsatz, die kleineren 40.000 Euro. Die wirtschaftliche Situation beschreibt er so: „Wir alle, Inhaber und Pächter, können von dem Unternehmen leben. Aber reich wird niemand.“

Café-Standort mit besonderem Extra gesucht

Ein Problem ist, dass das Abendgeschäft eingebrochen ist. In Eimsbüttel und auf St. Pauli läuft es inzwischen wieder, aber in den anderen Stadtteilen fehlen die Einnahmen. „Deshalb sollen im März alle Café May wieder bis 22 Uhr geöffnet sein“, sagt Garber. Eine Offensive, die Menschen aus ihren Wohnungen zu locken.

Die Garbers haben noch eine andere Idee. Obwohl sie nach acht Café May keine weitere Expansion mehr wollten, denken sie jetzt über eine Nummer neun nach. „Wir suchen einen größeren Standort, in dem wir auch eine Schaubäckerei unterbringen können“, sagt Stefanie Garber. Für die Gründer selbst wäre das ein wichtiges Zeichen für den Neustart nach Corona.