Hamburg. Auf dem Hamburger Arbeitsmarkt gibt es viele Möglichkeiten. Eine Berufsgruppe dürfte es allerdings bei der Suche schwer haben.

Der Schock sitzt tief. Am Dienstag verkündete der Mutterkonzern Bertelsmann einen Kahlschlag beim Hamburger Verlagshaus Gruner + Jahr. Am Donnerstag trafen sich die Mitarbeiter mit Gewerkschaftsvertretern zu einer Betriebsversammlung. Der Andrang war groß, die Betroffenheit auch.

23 Magazintitel sollen eingestellt werden und 700 Stellen wegfallen. 500 werden ersatzlos gestrichen, weitere 200 sollen mit dem Verkauf von einigen Magazinen an neue Eigentümer übergehen. 700 von 1900 Stellen, das wären mehr als ein Drittel.

Doch Betriebsrat und Gewerkschaften befürchten, dass die Zahl am Ende sehr viel größer sein dürfte: „Wenn Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Rabe von 700 Stellen spricht, dann ist klar, dass es sich um deutlich mehr Menschen handelt, die von der Streichung betroffen sind, weil gerade bei den Frauentiteln viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Teilzeit arbeiten und sich eine volle Stelle teilen“, sagt Stefan Endter, Geschäftsführer des Deutschen Journalisten-Verbands Nord. „Möglicherweise geht es um 50 Prozent mehr. „Ob es tatsächlich 1000 Mitarbeiter sind, können wir noch nicht sagen“, ergänzt Gewerkschaftssekretärin Tina Fritsche von Ver.di.

Gruner + Jahr: Weit mehr als 700 Mitarbeiter betroffen

Entsprechend groß sei der Unmut gewesen, der der Geschäftsführung bei der Betriebsversammlung entgegenschlug, die mehr als zweieinhalb Stunden dauerte, wie das Abendblatt erfuhr. „Das Vertrauen der Belegschaft in die Geschäftsführung ist komplett zerstört. Das gewinnt sie wenn überhaupt nicht durch Worte sondern nur durch Taten zurück. Das bedeutet, für diejenigen Mitarbeiter die bleiben, dass ihre Arbeitsplätze langfristig gesichert werden. Und für diejenigen, die gehen sollen, dass der Abbau absolut sozialverträglich stattfindet. Wir fordern, dass es keine betriebsbedingte Kündigungen geben darf“, sagt Fritsche.

Doch ist der Hamburger Arbeitsmarkt überhaupt in der Lage, eine so große Zahl an Verlagsmitarbeitern aufzunehmen? Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda (SPD) hat versprochen, auch nach dem Aderlass bei G+J die politischen Rahmenbedingungen dafür zu setzen, dass möglichst viele journalistische Arbeitsplätze in Hamburg erhalten bleiben.

Journalistische Arbeitsplätze erhalten? DJV ist skeptisch

DJV-Repräsentant Endter ist skeptischer. „Wenn es um die Frage geht, wie die Chancen für die Betroffenen stehen, in Hamburg wieder einen Job finden, ist die Lage sehr differenziert“, sagt er. „Bei den 500 Stellen die gestrichen werden sollen, sind viele mit administrativen Aufgaben verbunden wie Recht, Kommunikation, IT und Marketing. Diesen Kollegen wird es leichter fallen, wieder einen Job in Hamburg zu finden. Im klassischen journalistischen Bereich sind in den vergangenen Jahren hingegen mehrere 1000 Stellen abgebaut worden. Die kommen auch nicht wieder.“

Zwar suchten die Verlage derzeit neue Mitarbeiter, aber vor allem Nachwuchs, also junge Volontäre. „Für ältere Redakteurinnen und Redakteure im klassischen Printjournalismus wird es deutlich schwerer.“ Insbesondere im Qualitätsjournalismus sehe ich einen beschränkten Arbeitsmarkt in Hamburg.“

Neue Jobs für G+J-Mitarbeiter? Arbeitsmarkt beschränkt

Tatsächlich zeigt eine Zeitreihe der Hamburger Agentur für Arbeit, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Redakteure in Hamburg seit 2013 kontinuierlich in kleinen Schritten gesunken ist, während die Zahl der Beschäftigten im Verlagswesen insgesamt in Wellenbewegungen zu- und abnahm. Zuletzt waren es Ende Juni 8985. Im Jahr 2013 waren es noch 10.114.

Allerdings berühre der Berufsbereich Verlags- und Medienwirtschaft die Arbeitsagentur nur wenig, sagt ihr Sprecher, Knut Böhrnsen. Im Bereich Redaktion und Journalismus seien aktuell 329 Frauen und Männer gemeldet, 27 oder 7,6 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. „Jobs für Redakteure und Journalisten laufen offen gestanden über andere Kanäle, nicht über unser Stellenportal. Daher sind uns auch nur zwölf Stellen gemeldet. „Auch wenn der Gesamtbedarf über ganz Hamburg größer sein dürfte, werden freiwerdende oder vielleicht auch neu geschaffene Positionen vor allem durch persönliche Kontakte und Netzwerke besetzt.“

Tatsächlich sieht es auf professionellen Jobportalen im Internet wie Stepstone oder Indeed deutlich besser aus. Hier sind aktuell Hunderte Stellen zu vergeben, etwa als PR-Brater oder Texter für Online-Händler. Ja sogar Edeka sucht Journalisten. Selten handelt es sich aber um Jobs für Redakteure. Vor allem Praktikanten, Volontäre und Werkstudenten werden in Hamburg gesucht. Auf dem sozialen Netzwerk LinkedIn hat sich praktisch über Nacht eine Jobbörse für Gruner + Jahr gebildet. Hier treffen Dutzende Angebote auf mögliche Stellengesuche.

Gruner + Jahr: Jobaussichten im administrativen Bereich besser

Ziemlich positiv bewertet die Arbeitsagentur die Jobaussichten für den administrativen Bereich des Verlagshauses: „Den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Anzeigenabteilungen, der Logistik, dem Vertrieb, in der IT, im Büromanagement und der Buchhaltung bietet sich grundsätzlich ein aufnahmefähiger Hamburger Arbeitsmarkt“, sagt Böhrnsen. Derzeit seien knapp 11.000 freie Arbeitsstellen gemeldet, fast alle Branchen stellten Arbeits- und besonders Fach- und Führungskräfte ein. Im Fall Gruner + Jahr hat sich die Hamburger Agentur für Arbeit inzwischen eingeschaltet und Kontakt zur Geschäftsführung aufgenommen.

Die Handelskammer bezeichnet das Ende von Gruner + Jahr als „eine Zäsur für den Medienstandort Hamburg“. Strukturelle Herausforderungen hätten allerdings schon vorher bestanden. „ Diese gilt es jetzt anzupacken – Hamburgs Medien- und Kreativwirtschaft hat das Potenzial sich für die Zukunft aufzustellen und sollte dabei auch gerade auf die Fachkräfte setzen, die durch das Ende des Traditionsverlags verfügbar geworden sind.“, sagte ein Kammersprecher.

Eines ist aus arbeitsrechtlicher Sicht klar: Bevor Bertelsmann auch nur eine Stelle bei G+J kündigen kann, muss es eine Anhörung des Betriebsrats geben. Und die hat noch nicht stattgefunden.