Hamburg. Vorstandschef Thomas Rabe kassierte Pfiffe und Buhrufe, als er den Wegfall von 700 Stellen und 23 Magazinen ankündigte.
In einem Dankesbrief an einen verdienten, langjährigen Mitarbeiter von Gruner + Jahr im Jahr 2006 philosophierte der Unternehmer Reinhard Mohn über den Einzug von Gerechtigkeit und Menschlichkeit in den von ihm geführten Medienkonzern Bertelsmann. Wörtlich schrieb er: „Es ist fast nicht zu glauben, dass wir in der Welt des Kapitalismus durch Gerechtigkeit und Menschlichkeit mehr Erfolg schaffen konnten als die Inhaber von Macht und Kapital.“
Wie blanker Hohn müssen diese Worte den Mitarbeitern des traditionsreichen Hamburger Medienhauses Gruner + Jahr vorgekommen sein, als der aktuelle Bertelsmann-Chef, Thomas Rabe, ihnen am Dienstagmorgen eröffnete, was er mit ihnen und ihren Arbeitsplätzen vorhat.
Gruner + Jahr: Wegfall von rund 700 der 1900 Stellen
RTL Deutschland plant in seinem Zeitschriftensegment um den früheren Verlag Gruner + Jahr den Wegfall von rund 700 der 1900 Stellen. Dazu werden Magazintitel eingestellt und Verkäufe geprüft, während einige Kernmarken wie zum Beispiel „Stern“ unter der Führung von RTL News bleiben dürfen.
In diese Titel will man auch investieren – vor allem aber ins Digitalgeschäft. Kurz gesagt: Das alte, weithin bekannte Medienhaus Gruner + Jahr wird gespalten und zerschlagen – genau das, wogegen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit Wochen protestieren.
Kahlschlag bei Gruner + Jahr: Mitarbeiter "geschockt"
Nach den Berichten und Mutmaßungen in den vergangenen Wochen ahnten sie bereits, dass die Ankündigungen für ihr Unternehmen nichts Gutes bedeuten würden. Viele von ihnen waren ganz in Schwarz zum sogenannten „Townhall Hamburg“ ins Auditorium der ehemaligen Gruner+Jahr-Zentrale am Baumwall gekommen, als ginge es nicht zu einer Informationsveranstaltung, sondern zu einer großen Trauerfeier. „Als wir dann aber hörten, wie stark der Einschnitt tatsächlich sein wird, waren wir alle geschockt“, sagte eine Mitarbeiterin der Brigitte-Redaktion hinterher.
Thomas Rabe, in Personalunion Chef von Bertelsmann und RTL Deutschland, hatte die Führungskräfte in Hamburg in einer knappen Viertelstunde vorab informiert, bevor er vor die Belegschaft trat. Zunächst entschuldigte er sich für die „medialer Kakophonie“ in den vergangenen Wochen. Um sie zu beenden, habe er die eigentlich erst für die kommende Woche geplante Verkündung seiner Pläne auf diesen Dienstag vorgezogen.
Dann redete er über die wirtschaftlich schwierige Lage, bevor er das Aus für 700 Stellen sowie die Einstellung von insgesamt 23 kleineren Magazinen bekanntgab. Dafür sei er lautstark ausgebuht und ausgepfiffen worden, berichteten mehrere Teilnehmer gegenüber dem Abendblatt.
Gruner + Jahr: Aus für „Geo Epoche“ – Unverständnis groß
Das Unverständnis der Kolleginnen und Kollegen sei auch deshalb so groß gewesen, weil einige der Titel, die es bald nicht mehr geben soll, schwarze Zahlen schreiben würden, etwa „Geo Epoche“. Man habe Thomas Rabe auch nach seiner persönlichen Verantwortung für das Desaster bei Gruner + Jahr gefragt, dass doch eigentlich zusammen mit RTL Deutschland einen „nationalen Medienchampion“ bilden sollte.
„Rabe hat aber nicht über seine Fehler, sondern vor allem über die Fehler der vielen anderen Führungskräfte gesprochen, die in der Vergangenheit für Gruner gearbeitet haben“, berichtet ein Redaktionsbeirat, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.
Barbara Schöneberger: Auch ihr Magazin fällt den Sparplänen zum Opfer
Rabe habe, nachdem er selbst die Geschäftsführung von RTL Deutschland übernommen habe, sofort auf die Stimmen aus der Belegschaft gehört und auf die Warnungen reagiert, dass das Zusammengehen von RTL und Gruner so nicht funktionieren könne. Er versprach den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von denen man sich trennen werde, „einen wertschätzenden Umgang“: „Wirklich wertschätzend wäre es gewesen, wenn er die Arbeitsplätze erhalten hätte“, sagte der Redaktionsbeirat. Die Stimmung sei sehr emotional gewesen, zeitweise habe die Veranstaltung auf der Kippe gestanden, hieß es.
Mehr so am Rande wurde bekannt, dass auch die Magazine der bekannten Fernsehmoderatorin Barbara Schöneberger und des Modedesigners Guido Maria Kretschmer mit den Titeln „Barbara“ und „Guido“ den Sparplänen zum Opfer fallen werden. Schöneberger wollte sich dazu am Dienstag nicht äußern. „Sie will das alles erstmal sacken lassen“, hieß es aus ihrem Umfeld.
Kahlschlag bei Gruner + Jahr: Mitarbeiter demonstrieren vor dem Rathaus
Am Mittag versammelten sich rund 250 G+J-Mitarbeiter zu einer Demonstration vor dem Rathaus. Mit Plakaten und Trillerpfeifen protestierten sie gegen den geplanten Jobabbau. Anschließend überreichten sie Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda (SPD) eine Resolution gegen die geplante Spaltung ihres Verlagshauses. Mehr als 1000 Mitarbeiter hatten diese unterschrieben.
Brosda, der früher selbst als Journalist gearbeitet hat, sagte: „Das ist ein Tag, der mich sehr betroffen macht. Ich hätte mir mehr Kreativität und Fantasie beim Umgang mit der Zukunft des Medienhauses gewünscht.“ Brosda erklärte, dass seine Einflussmöglichkeiten auf RTL begrenzt seien, er aber weiter gute Rahmenbedingungen für den Medienstandort schaffen wolle. „Hamburg muss die Stadt bleiben, von der aus wir auch künftig journalistisch das Land rocken.“
Gruner + Jahr: Betriebsrat will "um jeden Arbeitsplatz kämpfen"
Zuvor hatte sich erstmals auch der Betriebsratschef, Jens Maier, zu Wort gemeldet. Der Betriebsrat werde sich jetzt beraten und dann in Gespräche mit den Arbeitgebern eintreten. Vor allem die geplanten Stellenstreichungen im Verwaltungsbereich sehe man kritisch sagte er. „Uns wurde damals versprochen, dass keine Verlagerung von Arbeitsstellen nach Köln stattfinden werde. Wir werden um jeden Arbeitsplatz kämpfen.“ Vor allem betriebsbedingte Kündigungen wolle man vermeiden, hieß es vom Betriebsrat. Rabe hatte gesagt, der Abbau solle bis Ende 2025 schrittweise erfolgen.
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Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sprach von einem „verheerenden Aderlass“ für den Medienstandort Hamburg. „Diese Entscheidung ist durch nichts begründet als durch gewissenlose Profitmaximierung“, kritisiert der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. Die Gewerkschaft Ver.di geht indes wegen der weit verbreiteten Teilzeit im Verlag von deutlich mehr Personen aus, die von den 700 Vollzeit-Stellenstreichungen betroffen seien und kündigte Widerstand an.