Der Mediensenator adressiert deutlichen Appell an RTL und Bertelsmann – und sagt, warum das Verlagshaus für Hamburg so wichtig ist.
Am Baumwall geht die Angst um – das stolze Verlagshaus Gruner + Jahr verlor erst seinen Namen, dann seine Identität – und verliert möglicherweise bald auch viele seiner Titel.
Erst in der vergangenen Woche demonstrierten viele Beschäftigte für den Erhalt der Jobs. Doch die Pläne von RTL und dessen Chef Thomas Rabe bleiben im Vagen.
Carsten Brosda: „Gruner + Jahr war immer ein ganz besonderer Verlag“
Herr Senator, vor knapp zwölf Jahren kamen Sie nach Hamburg und wurden Leiter des neu geschaffenen Amtes Medien. Seit zwölf Jahren sind Sie also Krisenmanager – klingt nicht eben vergnügungssteuerpflichtig ...
Carsten Brosda: Nein. Das war aber absehbar. Als ich aus Berlin nach Hamburg kam, empfand ich die Stimmung hier zunächst fast als depressiv. Für mich war der Medienstandort Hamburg immer etwas Besonderes. Doch hier leckte man sich damals die Wunden. Kurz zuvor hatte Springer entschieden, weitere Redaktionen nach Berlin zu verlagern, und das Platzen der Dotcom-Blase hallte immer noch nach. Das hatte die Stadt und den Standort schwer erschüttert, denn seit der Nachkriegszeit waren fast alle bedeutenden Redaktionen der Republik in Hamburg zu Hause. Zwölf Jahre später fällt auf, dass es nicht so schlimm gekommen ist, wie damals manche befürchteten. Natürlich befindet sich die Medienbranche in einem riesigen Umbruch, und das trifft einen Standort wie Hamburg dann selbstverständlich auch. Viele große Häuser haben sich verändert, manche Titel neue Eigentümer bekommen, und trotzdem hat die Stadt ihre Position verteidigt ...
Nun steht das Ende von Gruner + Jahr als Teil von RTL im Raum. Wäre das eine Zäsur für den Medienstandort?
Brosda: Es wird etwas verändern, wenn es so kommen sollte. Noch ist es offen, noch wird geprüft, und noch können wir hoffen, dass alle ihrer Verantwortung gerecht werden. Wie es weitergeht, wissen wir aber nicht. Schon die Umfirmierung der Marke Gruner + Jahr zu RTL war eine Zäsur und ist noch nicht verarbeitet. Auch wir beide sprechen noch von Gruner + Jahr, niemand spricht von RTL Deutschland, wenn er an den Baumwall denkt. Dieses Haus hat eine besondere Tradition. Gruner + Jahr war immer ein ganz besonderer Verlag. Ich erinnere das aus meiner eigenen Studienzeit – der Baumwall galt als einer der Orte, an dem man eines Tages arbeiten wollte. Das verlegerische Gesamtangebot und der Gestus, der dahinterstand, waren etwas Besonderes. So etwas gibt es heute kaum noch. Aus dieser Verlagstradition kann und sollte man etwas Starkes für die Zukunft machen.
Wer das Geschehen am Baumwall verfolgt, kann den Eindruck bekommen, hier geht es um einen Sanierungsfall. Aber die Umsatzrendite lag über Jahre grundsätzlich im zweistelligen Bereich.
Brosda: In der Tat weist der Geschäftsbericht von 2021 eine Rendite von 12,7 Prozent aus. Es gibt viele Branchen, die solche Zahlen nie erreichen. Zugleich ist es aber weniger als das, was Verlage früher verdient haben. Hinzu kommen enorme Veränderungen im Anzeigengeschäft, aber auch bei der Kundenbindung. Da war Corona eine echte Zäsur. Die Energiekrise verschärft das noch, und zu den strukturellen Herausforderungen gesellen sich konjunkturelle Probleme.
In Frankreich hat sich Gruner + Jahr 2021 von seinem gesamten Magazingeschäft getrennt. Offenbar funktioniert der Verkauf en bloc.
Brosda: Ja, und diese Ausgliederung im Ganzen hat offensichtlich ein profitables und gesundes Unternehmen geschaffen. Insofern habe ich die Hoffnung, dass Bertelsmann, wenn es sich gegen die Weiterführung entscheiden sollte, den Verlag als Gesamtes veräußert, weil das die Chance bietet, diese besondere Verlagskultur doch noch in die Zukunft zu führen. Aber natürlich sind die Möglichkeiten der Politik sehr begrenzt: Hier geht es nicht um eine Standortfrage, bei der wir mit Grundstücken oder Konditionen helfen könnten. Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen, welche journalistische Kraft noch heute am Standort Hamburg ist und warum Journalismus für eine Gesellschaft so unabdingbar wichtig ist. Ich kann an die verlegerische Verantwortung appellieren. Aber wenn ein Unternehmen auf betriebswirtschaftlicher Grundlage zu anderen Ergebnissen kommt, bleibt keine Handhabe.
Stichwort verlegerische Verantwortung: Hinter RTL beziehungsweise Gruner + Jahr steht ja keine Heuschrecke aus Amerika, sondern ein Familienunternehmen aus Gütersloh.
Brosda: Deshalb hoffe ich, dass man dort die Bedeutung journalistischer Produkte sieht. Der Gedanke, dass auch die Ökonomie einen Bezug zum Gemeinwohl hat, steht im Zentrum unserer sozialen Marktwirtschaft. Und das gilt für Medien noch einmal in besonderer Weise. Natürlich muss das Geschäftsmodell Gewinne abwerfen oder sich zumindest refinanzieren. Das wird in manchen Debatten übersehen. Aber selbst wenn es ökonomisch nicht die erwünschte Rendite abwirft, brauchen wir diese Leistung: Journalismus stellt eine Öffentlichkeit her, schafft Informationsangebote, hält mit Debatten und Diskurs unsere Gesellschaft kommunikationsfähig. Es ist wichtig, dass das auch privatwirtschaftlich organisiert wird. Ich hoffe sehr, dass dies in den Entscheidungsprozessen eine Rolle spielt.
Sprechen Sie regelmäßig mit Bertelsmann in Gütersloh?
Brosda: Natürlich reden wir mit Entscheidern. Die wissen, wie ich auf die Lage blicke.
Spüren Sie ein gewisses Umdenken?
Brosda: Da will ich von außen nicht mutmaßen. Ich hoffe aber, dass sich alle ihrer Verantwortung bewusst sind.
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Seit Jahrzehnten befinden sich viele Medien im Krisenmodus. Gibt es am Ende in der Branche eine kollektive Lust am Untergang? Die noch immer möglichen Renditen hätten viele Branchen liebend gern.
Brosda: Absolut. Lange Zeit hieß es, man benötige diese Renditen, um regelmäßig technische Großinvestitionen zu finanzieren. Heute sind viele Innovationen längst ausgelagert. Aber durch die Digitalisierung lastet ein enormer Druck auf der gesamten Branche. Es gibt wahrscheinlich kaum einen Markt, der sich derzeit so schnell transformieren muss. Wir hatten eine ähnliche Transformation vor zwei Jahrzehnten in der Musikbranche. Zur Jahrtausendwende wurden so viele CDs verkauft wie nie zuvor, dann wurde Napster erfunden. Von da an ging es rapide bergab. Jetzt hat sich der digitale Markt gefangen und stabilisiert. Und offline erlebt die analoge Vinylplatte-Schallplatten ein Comeback.
Das klingt fast wie ein Plädoyer für gedruckte Magazine ...
Brosda: Nicht nur. Natürlich gibt es im Magazinbereich eine hohe Affinität zum Papier. Viele Leute wollen eine Zeitschrift in der Hand halten. Sie kann etwas Besonderes sein in einer überwiegend digitalen Medienwelt. Aber es ist wie in der Musik: Der weit größere Teil des Marktes wird digital sein, und dann kommen besondere Produkte dazu, die man sich gönnt. Die zentrale Frage lautet, wie der Journalismus in Zukunft finanzierbar bleibt. Digitalisierung wird da das Zentrale sein. Beim Journalismus kommt hinzu, dass es nicht nur um Unterhaltung, sondern immer auch um Verfügbarkeit von Informationen geht – und damit um das Gelingen von Gesellschaft.
Da ist dann doch die Politik gefragt.
Brosda: Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, in denen Medien ökonomisch funktionieren können. Auch indem wir klassischen Medien im digitalen Wandel zum Beispiel mit einer präzisen Zustellförderung konkret helfen, die sicherstellt, dass Bürger ihre Zeitung auch wirklich morgens im Briefkasten haben. Wir können aber nicht staatsinterventionistisch handeln. Medien sollen den Staat kontrollieren und müssen unabhängig vom Staat bleiben. Deshalb scheidet das Modell Hapag-Lloyd aus, das ist verfassungsrechtlich undenkbar. Dabei hat Gruner + Jahr für den Medienstandort Hamburg eine ähnliche Bedeutung wie Hapag-Lloyd für den Hafen.
Waren Sie schon alarmiert, als Gruner + Jahr sich 2020 von den Plänen zum Neubau in der HafenCity verabschiedet hat?
Brosda: Nein, nicht wirklich. Ich habe damals verstanden, dass man ins Nachdenken kam, ob ein Haus dieser Größenordnung nach Corona noch nötig ist. Das hatte etwas mit den Folgen der Pandemie zu tun. Wir haben sofort wieder bei der neuerlichen Standortfindung geholfen. Und auch später, als die Fusionspläne kamen, fand ich die Grundidee, RTL und Gruner + Jahr auf Augenhöhe zusammenzuführen, durchaus plausibel. Darin lag die Option auf einen integrierten Medienkonzern. Wer sonst hätte das gekonnt? Inzwischen mag das rückblickend anders wirken.
Haben Sie manchmal an das alte Bild von Franz Müntefering mit der Heuschrecke gedacht?
Brosda: Nein, das habe ich tatsächlich nie. Ich verstehe, dass sich Bertelsmann als Unternehmen Gedanken darüber macht, wie es mit seinem Kerngeschäft dauerhaft profitabel ist. Das bedeutet nicht, dass ich alle Entscheidungen, die sich andeuten, gut oder nachvollziehbar finde. Aber ich hoffe sehr, dass Bertelsmann auch weiterhin den Anspruch hat, als ganzes Unternehmen und nicht nur mit der eigenen Stiftung seiner gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung gerecht zu werden. Ich bin mir zudem sicher, dass verlegerische Produkte eine Zukunft haben werden. Das gilt ganz besonders auch für die G+J-Titel. Das sind starke Marken, die jeder kennt und für die so ziemlich die besten Journalisten arbeiten, die wir im Land haben. Eine Marke wie „Geo“ wird noch lange am Kiosk Käufer finden. Deshalb befürchte ich auch keinen großen Aderlass für den Medienstandort insgesamt. Vielleicht bleibt alles zusammen. Niemand spricht über Verlagerung. Ich glaube, dass die kreative Kraft bleiben wird.
Lange war der Verlag ein Treiber des Medienstandortes.
Brosda: Das ist sicher richtig. Beim Platzen der Internetblase verfügte Gruner + Jahr über ein großartiges Digitalgeschäft, eine Suchmaschine, E-Commerce-Plattformen, einen Presseaggregator. All das kam später dann über US-amerikanische Plattformen noch mal neu auf den deutschen Markt und hatte Erfolg.
Für Hamburg ist das tragisch. Wie kann man das für die Zukunft verhindern?
Brosda: Es bräuchte mehr strategisches Wissen. Andere Branchen, die in einem solchen Transformationsprozess stecken, würden Lehrstühle an Universitäten schaffen, an denen erforscht wird, wie künftige Geschäftsfelder, wie innovative Technologien aussehen. Da müssen wir alle besser werden. Wir arbeiten daran in unserem Mediencluster nextMedia.hamburg und auch in dem Projekt Use The News, in dem sich Medienunternehmen damit beschäftigen, wie sie die Nachrichtenkompetenz junger Leute stärken können, mit welchen Veränderungen sie also ihre journalistischen Produkte auch der nächsten Generation schmackhaft machen können.
Wäre das nicht für den Mediensenator und für eine Wissenschaftsstadt ein klares Ziel, Kompetenzzentrum für die Zukunft der Medien zu werden?
Brosda: Mit dem Leibniz-Institut Medienforschung, dem früheren Hans-Bredow-Institut, mit der Hamburg Media School und vielen Angeboten der Hochschulen machen wir genau das. Aber die Vernetzung in die Branche auch über Projekte wie Use The News oder Netzwerke wie nextMedia.Hamburg muss noch besser werden. Denn wir können das als Stadt nicht allein organisieren. Dafür benötigen wir unabhängige Medien. Politik kann Angebote machen, wir können – wie bei unserem Mediendialog – Tische in die Mitte stellen, Gespräche anregen, Kooperation ermöglichen. Aber es braucht immer die Bereitschaft, die Teilnahme und die Partnerschaft der Medienhäuser. Gruner + Jahr war in der Vergangenheit immer ein starker Partner am Standort. Ich hoffe sehr, dass das bleibt. Bei aller Krise dürfen wir nicht vergessen: Hamburg war, ist und bleibt die Stadt des Journalismus in Deutschland. Wir haben hervorragende Journalistinnen und Journalisten und mindestens drei der bedeutenden national relevanten Redaktionen: ARD aktuell fürs Fernsehen, den „Spiegel“ als Magazin und „Die Zeit“ als Wochenzeitung. Wir haben starke regionale Zeitungen, große Verlage, mit Bauer Media sogar Europas größten Zeitschriftenverlag, und viele digitale Neugründungen. Das ist eine unfassbare verlegerische und journalistische Kompetenz, die kein anderer Medienstandort bietet. Und das wird auf Jahrzehnte hinaus eine zentrale Stärke dieses Standorts bleiben.
Das wirkt jetzt typisch hamburgisch selbstzufrieden ...
Brosda: Nein, aber ich würde den Wandel nicht nur als Gefahr sehen. Und wer sollte den Wandel schaffen, wenn nicht ein so starker Medienstandort wie Hamburg? Das setzt aber voraus, dass man journalistische, publizistische Produkte nicht allein nach ihrer Jahresmarge bewertet. Wir sind gut damit gefahren, dass wir eine private Presse haben, deren geschäftliches Interesse darin liegt, möglichst viele Menschen zu erreichen. Dieses Interesse nützt dem Geschäft und der Demokratie, weil so möglichst viele Informationen an möglichst viele Menschen vermittelt werden und so die Diskussionsgrundlage für eine demokratische Entscheidung geschaffen wird. Das Bewusstsein für diese beiden verbundenen Ziele dürfen Verlegerinnen und Verleger nicht verlieren. Sie leiten ja nicht bloß ein x-beliebiges eCommerce-Unternehmen. Auch RTL und Bertelsmann als Ganzes sollten ja ein Interesse haben, den notwendigen Wandel zu schaffen und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für den Journalismus gerecht zu werden.