Hamburg. Steinwerder Süd wird 42 Fußballfelder groß. Die Stadt beginnt bald mit den Bauarbeiten. Aber wer siedelt sich dort an?
Die aktuellen Umschlagszahlen des Hamburger Hafens sind nicht gerade ein Grund zur Freude. Gegenüber seinen Konkurrenten in Rotterdam und Antwerpen verliert der Standort kontinuierlich Marktanteile. Doch jetzt soll der Hafen wieder wachsen. Die Hamburg Port Authority (HPA) will dafür neue Hafenflächen zur Verfügung stellen. Der Bau soll bereits in diesem Jahr starten.
Es geht um ein riesiges Areal im ehemaligen Mittleren Freihafen, Steinwerder Süd genannt – und drei Kilometer Luftlinie von der Innenstadt entfernt. Zwischen Roßhafen und Travehafen verteilen sich 30 Hektar (umgerechnet 42 Fußballfelder) ungenutzter Hafenflächen. Seit bald sechs Jahren liegen sie brach. Das soll sich jetzt ändern.
Hamburger Hafen: Die Stadt baut, ohne Mieter zu haben
In mehreren Bauphasen sollen die Wasserflächen des alten Oderhafens zwischen den Kaizungen verfüllt werden, um eine geschlossene Nutzfläche von 26,4 Hektar zu erhalten. Das Areal soll aus Hochwasserschutzgründen gegenüber dem heutigen Bodenniveau um 2,2 Meter angehoben werden. Schließlich sollen die drei Uferseiten rundherum mit einer Böschung versehen werden.
Beginn der Bauarbeiten ist für die zweite Jahreshälfte 2023 geplant. Der Abschluss der Bauphase ist für Ende 2027 vorgesehen. Danach soll das Gelände, das auch einen Gleisanschluss an die Hafenbahn bekommen soll, von interessierten Unternehmen bezogen werden. Doch welche Firmen das sein werden, ist noch völlig offen.
Die Wirtschaftsbehörde teilt auf Anfrage lediglich mit: „Die Übergabe der Fläche an den oder die Nutzer ist für 2028 geplant. Mehr können wir dazu aktuell nicht sagen.“ Die Stadt baut folglich einen Hafen, ohne einen Mieter zu haben.
Lange passierte auf der Fläche gar nichts
Jahrzehntelang wurden die alten Flächen für den Seegüterumschlag genutzt, etwa am Hansaterminal. 2016 hatte Buss das Terminal schließen müssen. Die Stadt behauptete, sie benötige die Fläche. 120 Hafenarbeiter verloren ihre Jobs. Danach wurde das Areal noch nach Kampfmitteln aus dem Zweiten Weltkrieg durchpflügt, mehr passierte nicht.
Doch so tief das Grundstück im Hafen seitdem vor sich hinschlummerte, so hoch flogen die Träume, was dort entstehen könnte. Erst sollte ein neuer Containerhafen gebaut werden. Als sich dann zeigte, dass das Containerwachstum nicht den Erwartungen entsprach, keimte in der Wirtschaftsbehörde der Gedanke auf, einen Autobauer anzusiedeln, der Elektrofahrzeuge zusammenschraubt. Es fand sich aber keiner.
Schließlich gab es 2017 einen internationalen Ideenwettbewerb, den ein chinesisches Konsortium gewann, das dort Kaianlagen für Schiffe und ein riesiges Logistiklager errichten wollte. Realisiert wurde aber auch das nicht. Oder soll nun doch ein großer Standort für die industrielle Produktion im 3-D-Druck entstehen, wie es früher ebenfalls einmal angedacht war?
HPA will Vergabe bis Ende 2024 abschließen
Was auch immer jetzt kommt, die für den Bau zuständige Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA) plant, dass das Vergabeverfahren für Investoren bis Ende 2024 abgeschlossen sein soll und die Ansiedlung bis 2030 erfolgt. Das geht aus einer Präsentation der HPA hervor, die auf ihrer Internetseite einzusehen ist.
Beginnen sollen die Maßnahmen mit dem Bau eines Damms, der die Wasserfläche zwischen Hansaterminal und Roßterminal vom übrigen Hafen abtrennt. Dazu soll zum Teil Sand aus dem Boden des Hansaterminals verwendet werden, zum anderen Teil Sand, den die HPA aus der Unterhaltsbaggerung, also der Wassertiefeninstandhaltung der Elbe, gewinnt. Nach und nach soll so der gesamte Oderhafen verfüllt werden.
Industrielle Nutzung statt Umschlagsterminal?
Im Ellerholzkanal beginnt dann der Rückbau der noch vorhandenen denkmalgeschützten Brückenbauwerke und der ehemaligen Kaimauerabschnitte. Schließlich werden die Kaispitzen gekappt und die Kaimauern zurückgebaut. Das Material wird auch für die Befestigung des Oderhafens verwendet oder – wenn es mit Schadstoffen kontaminiert sein sollte – entsorgt.
Zuletzt erfolgt der Bau eines Abschlussdamms. Neue Kaimauern gibt es zunächst nicht, sondern eine Böschung: eine Tatsache, die eher für eine industrielle Nutzung als für ein Umschlagsterminal spricht. Wohnungen können hier ausdrücklich nicht gebaut werden.
Gutachterkosten dürften mehr als 4,5 Millionen Euro verschlingen
Zu den Kosten äußert sich die HPA nicht. Doch die Bauweise ist so kompliziert, dass allein schon die Gutachterkosten mehr als 4,5 Millionen Euro verschlingen werden, wie aus der Senatsantwort auf eine Schriftliche Anfrage der Linksfraktion in der Bürgerschaft aus dem Jahr 2020 hervorgeht.
Das Planfeststellungsverfahren musste zudem geändert werden. Zum einen hatte die Umweltbehörde das Vorhaben gestoppt, weil sie eine umweltfreundlichere Bauweise verlangt hatte, zum anderen beschlossen SPD und Grüne 2020 im Koalitionsvertrag, dass das Projekt eine ausgeglichene Wasservolumenbilanz haben muss.
Anders gesagt: die Wasserflächen, die wegfallen, müssen an anderer Stelle geschaffen werden. Insgesamt dürfte das Projekt sehr teuer werden. Denn nicht nur Ausgaben für Planung und Bau fließen hinein.
Finanzierung des neuen Hafens durch Mieteinnahmen
Auch die Kosten, die der vorzeitige Rückkauf der Flächen verursacht hat, müssen einbezogen werden. Rund 118 Millionen Entschädigung erhielt die Firma Buss damals, als sie ihr Terminal räumte. Was auch immer der Bau am Ende kosten wird, die HPA will die Ausgaben dafür durch Mieterlöse refinanzieren.
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So erklärt auch die Wirtschaftsbehörde: „Die Refinanzierung des Projektes ist durch die zukünftigen Miet- und Pachteinnahmen sichergestellt.“ Für die Hafenwirtschaft bricht die HPA demzufolge mit einem ehernen Grundsatz: dem sogenannten Landlord-Prinzip.
Dieses sieht eine klare Trennung zwischen der Finanzierung der Infrastruktur wie Kaimauern und Hafenanlagen vor, die aus der öffentlichen Hand erfolgen soll, und der Suprastruktur wie Umschlagskräne und Lagerhallen, die durch die ansässigen Hafenfirmen zu finanzieren ist.
Hamburger Hafen: Grund und Boden bleibt in öffentlicher Hand
„Wenn jetzt der Bau von Steinwerder Süd über Mieten und Pachten – also privat – finanziert wird, verletzt die HPA dieses Prinzip“, sagt Gunther Bonz, Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg (UVHH).
Die Wirtschaftsbehörde widerspricht: „Da die Flächeninfrastruktur von der HPA hergestellt und das Grundstück anschließend der Vermietung bzw. Verpachtung zugeführt wird, wird das Landlord-Prinzip eingehalten“, sagte ein Behördensprecher.
Der Grund und Boden bleibe schließlich in Besitz der öffentlichen Hand. Ungeachtet dessen, wie der Streit ausgeht, steht eines damit fest: Wer immer sich auf Steinwerder Süd ansiedeln will, muss viel Geld mitbringen. Denn er finanziert den Hafenausbau selbst.