Hamburg. Pilotanlage in Bergedorf produziert bereits zwei Tonnen Kraftstoff in der Woche. Gründer sehen großes Potenzial.
13 Jahre lang haben Forscher an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) an der Entwicklung dieser Anlage gearbeitet: In einem 200-Liter-Behälter, umhüllt von schwarzen Isoliermatten und umgeben von einem Gewirr an Rohrleitungen und Kabeln, entsteht aus Frittierfett bei einer Temperatur von 370 Grad nun der Rohstoff für klimaneutralen Dieselkraftstoff. Die Pilotanlage, eingebaut in zwei blauen Transportcontainern, steht in der Maschinenhalle der HAW in Bergedorf und produziert immerhin schon zwei Tonnen des Kraftstoffs pro Woche.
Als „bahnbrechende Innovation“ bezeichnete Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) das Projekt mit der Kennung READi-PtL bei der offiziellen Einweihung am Donnerstag. Zwar zeige die Dauer der Entwicklung, wie viel Ausdauer man mitbringen müsse, um ein so komplexes Problem lösen zu können. Aber schließlich sei die Ablösung fossiler Energien „die größte Menschheitsaufgabe, die vor uns liegt“, so Fegebank. Sie ist sicher: „Wir werden von dieser Anlage noch viel hören, weil sie sehr gefragt sein wird.“
Hamburger stellen Diesel aus Frittierfett her
Als Eingangsmaterial bei den bisherigen Experimenten diente bisher Altfett unter anderem aus der HAW-Mensa – „ein wirklich ekliges Zeug“, sagte Thomas Willner, der zusammen mit seiner Kollegin Anika Sievers das Projekt leitet. Doch eine Vielzahl anderer Abfälle sei ebenfalls dafür geeignet: Außer Fetten, wie sie zum Beispiel in großen Schlachtbetrieben anfallen, könnten künftig gebrauchte Schiffs- und Maschinenöle genutzt werden, außerdem Plastikmüll, Altreifen oder auch Biomasse wie Stroh.
Bis zur kommerziellen Anwendung des Verfahrens soll es nicht mehr lange dauern. „Wir sind derzeit in Gesprächen mit potenziellen Kunden, mittelständischen Unternehmen aus der Recyclingbranche, und bereiten die Anträge für die erforderlichen behördlichen Genehmigungen vor“, sagt Thorsten Dunker, Geschäftsführer der Fuhlsbütteler Firma Nexxoil. Die Ausgründung aus der HAW wird die Vermarktung übernehmen und hält außerdem die Patente, von denen einige bereits erteilt worden sind.
Eine Anlage für die kommerzielle Nutzung soll sechs Millionen Euro kosten
„Unser Ziel ist es, Ende 2023 oder Anfang 2024 die erste kommerziell genutzte Anlage in Betrieb zu nehmen“, sagt Dunker. Sie soll eine Kapazität von 5000 Jahrestonnen haben, sechs Millionen Euro kosten und wie die Pilotanlage in transportablen Containern untergebracht sein. Nexxoil sieht ein Marktpotenzial von 1200 Anlagen allein im deutschsprachigen Raum.
Niedrige Kosten habe man bereits bei der Entwicklung des Verfahrens angestrebt, so Willner: „Das Konzept erlaubt es, die Produktion dezentral an den Orten vorzunehmen, wo die Abfallstoffe anfallen, sodass der Transportaufwand minimiert wird und die Wertschöpfung regional stattfindet.“
Im Vergleich zu den sogenannten E-Fuels, die allein aus Strom, Wasserstoff und CO2 gewonnen werden, liegen die Herstellkosten laut Nexxoil um mindestens 50 Prozent niedriger. Die an der HAW entwickelte Anlage benötigt zur Umwandlung der Abfälle in Kraftstoff zwar ebenfalls Strom und Wasserstoff, aber in geringeren Mengen.
Das Verfahren kann auch Kerosin für Jets oder den Grundstoff für Plastik erzeugen
„Im Prinzip können wir mit diesem Verfahren alles herstellen, was man heute aus Erdöl herstellt“, erklärt Willner – neben Diesel unter anderem Kerosin für Flugzeuge, Chemierohstoffe oder auch das Ausgangsmaterial für neuen Kunststoff.
Tatsächlich hat man zunächst vor allem den Verkehrssektor im Blick, der sich bei der Erreichung der von der Bundesregierung festgelegten Ziele für die CO2-Reduktion besonders schwer tut. „Zur Erreichung der Klimaschutzziele müssen die Anstrengungen im Mobilitätssektor deutlich verstärkt werden“, sagt dazu Werner Beba, Leiter des Competence Center für Erneuerbare Energie und EnergieEffizenz (CC4E) an der HAW, das sich unter anderem auch mit Windenergie und der Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff beschäftigt.
„Sowohl im Schwerlastbereich, Schiffs- und Flugverkehr bietet Elektromobilität nur begrenzte Möglichkeiten“, so der Professor.. „Die Entwicklung und der Einsatz von synthetischen und nachhaltigen Kraftstoffen kann einen großen Beitrag zur Dekarbonisierung im Verkehr – nicht nur in Deutschland – leisten.“
Auch 2030 werden noch viele Autos mit Verbrennungsmotor unterwegs sein
Aber auch im Pkw-Bereich dürfte der Bedarf an künstlichem Benzin und Diesel noch längere Zeit hoch sein. „Selbst nach optimistischen Schätzungen werden im Jahr 2030 nur 20 Prozent der Autos in Deutschland Elektrofahrzeuge sein“, heißt es dazu von Nexxoil. Die übrigen Pkw, die weiter einen Verbrennungsmotor haben, werde man daher mit alternativen Kraftstoffen versorgen müssen, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 erreichen zu können.
- IT-Abteilung der HAW Hamburg offenbar überlastet
- Hamburg hinkt bei E-Autos hinterher – neue Kaufanreize?
- Aida fährt wieder mit schmutzigem Schiffsdiesel statt LNG
Hinzu kommt: „Strom aus erneuerbaren Energiequellen wird auch in Zukunft ein knappes Gut sein“, so Willner. Beim READi-PtL-Verfahren liege der Stromverbrauch aber bei nur einer Kilowattstunde (kWh) pro Liter Kraftstoff und damit bei rund fünf kWh je 100 Kilometer Fahrstrecke. Zum Vergleich: Elektroautos benötigen für die gleiche Strecke im Schnitt etwa 20 kWh.
Anlagen mit einer Jahreskapazität von 50.000 Tonnen sind schon geplant
Zudem leistet die READi-PtL-Methode gleich noch einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft, indem sie Rest- und Abfallstoffe verwertet. Aus dem gleichen Grund ist für die daraus gewonnenen Kraftstoffe die Vergleichbarkeit mit E-Fuels im Hinblick auf die Klimabilanz aber eingeschränkt: Weil das Eingangsmaterial als Abfall eingestuft sei, habe es „keinen eigenen CO2-Fußabdruck mehr“, erklärt Willner. Die Energie, die man zum Beispiel für die Produktion des ursprünglichen Frittierfetts aufwendete, wird also in der Klimagas-Rechnung nicht berücksichtigt.
Bei Nexxoil blickt man jedenfalls optimistisch in die Zukunft: „Der Markt ist reif für unser Produkt und wir erfahren aus der Abfallwirtschaft und darüber hinaus weiterhin sehr hohes Interesse an unserer Lösung für eine dezentrale Biofuel-Erzeugung.“ Im nächsten Schritt soll demonstriert werden, dass auch Plastikmüll als Ausgangsmaterial verwendbar ist.
Für den Zeitraum 2025/2026 seien dann auch erheblich größere Anlagen mit einer Jahreskapazität von 50.000 Tonnen geplant. Bis dahin soll auch Nexxoil selbst noch deutlich wachsen. Seit April 2022 hat die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma bereits von fünf auf zehn zugenommen.