Hamburg. RTL-Mutter Bertelsmann will offenbar fast alle Titel des Traditionsverlags abgeben. Nun protestierten die Beschäftigten.

Zwei umgedrehte Wasserkisten dienen als provisorisches Rednerpodium. Ein paar Protestfahnen wehen im Wind, als die Mitarbeiter des Verlagshauses Gruner + Jahr am Mittwochmittag vor dem Haupteingang am Baumwall zusammenströmen. Alle Redaktionen sind vertreten. Transparente mit abgewandelten Titelbildern ihrer Zeitschriften in der Hand, protestieren die Redakteure gegen einen drohenden Ausverkauf ihres Verlags.

Mit einer „kämpferischen Mittagspause“ zeigen sie ihre Verärgerung über das Vorgehen des Mutterkonzerns Bertelsmann. Dessen Vorstandschef Thomas Rabe hatte im Oktober angekündigt, das gesamte „Portfolio“ von G + J auf den Prüfstand zu stellen. Dazu gehören namhafte Titel wie „Stern“, „Geo“, „Brigitte“, „Capital“, „Gala“ und „Schöner Wohnen“. Rabe will offenbar nur die Titel behalten, die sich für eine Synergie mit der Fernsehsparte von RTL eignen. Seitdem wird über die Zerschlagung des Verlags spekuliert.

Gruner + Jahr – Proteste: „Stoppt den Ausverkauf am Baumwall"

Es ist das erste Mal, dass die Belegschaft sich öffentlich äußert. Die Gewerkschaft Ver.di und der Deutsche Journalisten Verband (djv) haben zu der Protestveranstaltung aufgerufen. Immer mehr Menschen strömen aus dem Gebäude auf die Fußgängerbrücke. An deren Geländer hängt ein großes Banner: „Notruf Hafenkante – Stoppt den Ausverkauf am Baumwall“, heißt es darauf in Anlehnung an eine Vorabendserie des ZDF.

Ein Ordner mit weißer Binde versucht, die rund 250 Protestierenden zu lenken. Normalerweise arbeitet er seit vielen Jahren in der Herstellung bei der Zeitschrift „Geo“. Heute hat er andere Aufgaben. „Nach dem Zusammenschluss mit RTL 2021 erhielten wir noch ein Schreiben, dass wir jetzt alle eine große Familie seien“, sagt er. „Das hat ja lange gehalten.“

Gruner + Jahr: Mitarbeiter bangen um ihre Arbeitsplätze

Wie viele andere bangt er jetzt um seinen Arbeitsplatz. „Uns wurde versprochen, mit der Übernahme schaffe man einen crossmedialen Champion. Da frage ich mich, warum die gedruckten Zeitschriften nicht mehr dazugehören sollen“, sagte eine Redakteurin der „Brigitte“.

Auch viele ehemalige Mitarbeiter sind gekommen und applaudieren, als Tina Fritsche, Gewerkschaftssekretärin bei Ver.di, auf die Wasserkisten steigt und zum Megafon greift. „Die Unternehmensführung lässt die Beschäftigten im Dunkeln, ob und welche Titel verkauft werden sollen und was das für die Arbeitsplätze bedeutet. Die Unsicherheit, die dadurch entsteht, ist unerträglich.“ Anja Westheuser vom djv betont, dass die Glaubwürdigkeit von Bertelsmann auf dem Spiel stehe, zumal sich das Haus immer gesellschaftlich und sozial engagiert gebe. „Davon sehen wir heute nichts.“

Gruner + Jahr: Brosda – Zeit, dass es klare Per­spektive gibt

Zwei Redaktionsbeiräte, Meike Schnitzler von der „Brigitte“ und Lorenz Wolf-Doettinchem vom „Stern“, lesen einen Brief vor, den sie an die Bertelsmann-Eigentümer Liz und Christoph Mohn geschrieben haben. Bertelsmann-Chef Rabe habe im November die „Stern“-Redaktion besucht und ihr eine Zukunft bei RTL zugesichert. Zu den anderen Redaktionen kam er nicht. „Wir die Redaktionsbeiräte … wehren uns gegen die Spaltung, die betrieben wird. Gruner + Jahr ist ein Gesamtpaket, das sowohl in der redaktionellen Zusammenarbeit als auch im Werbemarkt funktioniert.“

Nach einer halben Stunde ist die Veranstaltung vorbei. Die Menge zerstreut sich, doch die Aufmerksamkeit für ihre Lage haben die Mitarbeiter geweckt. Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) meldet sich zu Wort: „Es wird Zeit, dass die Ungewissheit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter endet und es eine klare Per­spektive für die Zukunft gibt. Für mich gilt nach wie vor: Wer Verantwortung für ein Medienhaus trägt, übernimmt damit nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche und öffentliche Verantwortung“, sagt er.

„Da kann man auch mit halbem Hähnchen zum Tierarzt rennen"

Er hoffe daher sehr, dass die einmalige „journalistische Tradition des Hauses“ nicht nur nach aktuellen Marktgegebenheiten und den Interessen des Fernsehsenders RTL bewertet werde. Die Linke in der Bürgerschaft fordert den Senat auf, sich direkt einzuschalten. „Hamburgs Senat muss sich offensiv einsetzen für den Erhalt der G+J-Tradition bei Bertelsmann und RTL“, sagt David Stoop. Und Farid Müller, medienpolitischer Sprecher der Grünen, ergänzt: „G+J wehrt sich gegen seine Zerschlagung. Das muss auch das Rathaus erkennen.“

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Die Frage ist, ob der Protest rechtzeitig kommt. Philipp Köster, mit seinem Fußballmagazin „11 Freunde“ einer der bekanntesten Chefredakteure bei G+J, versah im Netzwerk LinkedIn den Brief an die Bertelsmann-Eigentümer mit einem sarkastischen Kommentar: „Da kann man auch mit einem halben Hähnchen zum Tierarzt rennen und fragen, ob da noch was zu machen ist.“