Hamburg. Gaspreisschock scheint zu verblassen. Vieles deutet darauf hin, dass der Abschwung nicht so stark ausfällt wie von vielen angenommen.
Wenn die Fieberkurve unserer Wirtschaft der Gaspreis ist, befinden sich das Land auf dem Weg zur Normaltemperatur: So notiert der Terminkontrakt TTF bei rund 63 Euro pro MWh und damit sogar schon unter dem Niveau von Anfang Februar 2022 – das ist rund ein Fünftel seines Höchststandes vom August 2022, als Putin die Gaslieferungen stoppte.
Ein Grund zur Entwarnung kann diese positive Entwicklung noch nicht sein: Denn der Gaspreis liegt immer noch deutlich höher als 2021, bevor die Krise ausbrach, und weit über dem Niveau etwa in den Vereinigten Staaten. Zudem ist ein Teil der Gasersparnis von rund 20 Prozent europaweit im Herbst dem Wegfall von energieintensiver Produktion geschuldet. In Deutschland lag das Minus beim Gasverbrauch zwischen August und November sogar bei 25 Prozent – viele Werke haben ihre Produktion gedrosselt, eingestellt oder verlagert.
Winter 2022/2023: Der Weltuntergang ist ausgeblieben
Trotzdem lässt sich für den Winter 2022/23 festhalten: Der Weltuntergang ist ausgeblieben. Dankbar sein sollten wir vor allem dem Wetter. Abgesehen von der winterlichen Episode im Dezember, als die Deutschen den Füllständen ihrer Gasspeicher beim Fallen zuschauen konnten, weht der Wind seit Wochen vom Atlantik und bringt milde Luftmassen zu uns: Das schont nicht nur die Vorräte, sondern drückt auch mangels Nachfrage die Preise. Nun sind die Gasspeicher zu 90,4 Prozent gefüllt – und selbst wenn der Winter zurückkommt, dürfte kaum mehr als ein Prozentpunkt pro Tag abfließen. Da zudem das stürmische Wetter die Windernte verbessert, musste weniger Gas zur Stromerzeugung genutzt werden. Bei einem „normalen“ Temperaturverlauf dürften die Speicher Ende März und Ende April jeweils zu zwei Dritteln gefüllt sein, teilte der Speicherverband Initiative Energien Speichern in Berlin mit. Selbst bei extrem niedrigen Temperaturen und anderen negativen Ereignissen rechnet der Verband nicht mehr mit einer Gasmangellage.
„Der Gaspreisschock, der Europa in eine Winterrezession gestürzt hat, scheint zu verblassen“, sagt Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Hamburger Berenberg Bank. Damit hellt sich die Lage auf verschiedenen Feldern auf: Besonders wichtig ist laut Schmieding die Rückwirkung auf das Verbrauchervertrauen. „Die Angst vor immer höheren Energiepreisen und einer möglichen Gasknappheit hatte das Verbrauchervertrauen in der Eurozone im September auf ein Rekordtief gedrückt.“
Ifo-Geschäftsklimaindex stieg gleich dreimal in Folge
Zuletzt verbesserte sich die Stimmung in der Wirtschaft insgesamt. Der wichtige Ifo-Geschäftsklimaindex stieg gleich dreimal in Folge, der verhaltene Optimismus erfasst alle Branchen. Statt eines erwarteten Rückgangs stagnierte die Wirtschaft im vierten Quartal.
„Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession ist mit diesen Daten gesunken. Es gibt positive Signale, man kann aber nicht ausschließen, dass es dazu kommt“, sagte der Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Und noch eine gute Nachricht kommt vom Münchner Institut: Laut Umfrage dürfte sich auch der Anstieg der Preise verlangsamen, da weniger Unternehmen Preissteigerungen planen.
Trotzdem stehen die Zeichen zumindest kurzfristig auf Rezession oder Miniaturwachstum – übrigens in allen großen Wirtschaftsräumen: Die Zinserhöhungen der Notenbank Fed dürfte sogar die widerstandsfähige US-Wirtschaft in eine leichte Rezession stürzen; fast die Hälfte der Volkswirtschaften in Europa sind bereits im Rückwärtsgang, und China ist die große Unbekannte. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Prognose für das Weltwirtschaftswachstum von 2,9 Punkte auf höchstens 2,7 Prozent zurückgenommen. Zum Vergleich: 2022 wuchs die globale Leistung um 3,2 Prozent, 2021 sogar um sechs Prozent.
2023 wird für größten Teil der Weltwirtschaft ein schwieriges Jahr werden
„Für den größten Teil der Weltwirtschaft wird es ein schwieriges Jahr werden, schwieriger als das Jahr, das wir hinter uns lassen“, sagt die IWF-Chefin Kristalina Georgieva. Noch pessimistischer ist die Weltbank – sie senkte zuletzt ihre globale Wachstumsvorhersage auf nunmehr 1,7 Prozent und warnte vor einer möglichen Rezession. „Die Weltwirtschaft steht auf Messers Schneide“, sagte Prognose-Chef Ayhan Kose. Die Weltbank hat ihre Voraussagen seit vergangenem Sommer für 95 Prozent der Industriestaaten und fast 70 Prozent der Schwellen- und Entwicklungsländer nach unten korrigiert.
Zugleich aber gilt: Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten. Denn die drohende Rezession bremst die Inflation und drückt die Gas- und Ölpreise. Das ist gerade für Zukunftsinvestitionen in Deutschland wichtig – bei Gaspreisen von weit oberhalb von 100 Euro pro MWh hätte die energieintensive Industrie in Deutschland keine Zukunft, auch aus diesem Grund setzten viele Firmen in den vergangenen Monaten ihre Investitionspläne auf Halten. Stabilisieren sich die Preise nun nachhaltig, könnten sich wohl viele Unternehmen anpassen. Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier hat den Weltuntergang bereits abgesagt: „Mittlerweile bin ich so optimistisch zu sagen: Wir erleben keine Mega-Rezession und schon gar nicht eine Deindustrialisierung Deutschlands.“
Weltwirtschaft könnte sich schon im Frühjahr fangen
Bundesbank-Chef Joachim Nagel sagt inzwischen, er sei „optimistisch, dass wir in Deutschland einen schwerwiegenden wirtschaftlichen Einbruch vermeiden können und mit einem milden Abschwung davonkommen.“
Auch die Weltwirtschaft könnte sich schon im Frühjahr fangen: China hat die Strategie „Ende mit Schrecken“ statt „Schrecken ohne Ende“ gewählt – die Null-Covid-Politik hatte die mächtige und international so wichtige Wirtschaft des Landes zu sehr gebremst. Nach einer harten Zwischenphase dürfte sich die Lage bald entspannen. Zugleich spüren Unternehmen, Verbraucher und Finanzpolitiker, dass die Krise nicht ganz so tief werden könnte, wie von vielen noch im Herbst vermutet. Auch die Kurse an den Weltbörsen sind in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen. Dort, wo die Zukunft gehandelt wird, hat man offenbar weniger Angst vor dem Morgen als noch vor einem halben Jahr.
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„Nach einer moderaten Winterrezession wird sich die Wirtschaft der Eurozone im Frühjahr stabilisieren und sich danach in einem über dem Konsens liegenden Tempo erholen“, sagt Schmieding. 2023 könne der Beginn des Übergangs sein, der die US-amerikanische und europäische Wirtschaft wieder einem normaleren Zustand näherbringen wird. Das bedeutet zugleich, dass die Zeit der Niedrigzinsen vorbei ist. Schmieding rechnet mit Sätzen, die meist über drei Prozent und manchmal sogar deutlich darüber liegen.