Hamburg. Erstmals seit dem Jahr 2008 steigt die Überschussbeteiligung wieder. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Steigende Zinsen haben zu einer Wende bei der Überschussbeteiligung für private Lebens- und Rentenversicherungen geführt. Erstmals seit fast anderthalb Jahrzehnten steigt 2023 die laufende Verzinsung (Überschussbeteiligung) wieder, nachdem sie noch im Vorjahr auf unter zwei Prozent gefallen war.
Anhebungen von bis zu 0,75 Prozentpunkten bei der Überschussbeteiligung für eine klassische private Lebens- oder Rentenversicherung mit Garantiezins lassen den Durchschnittswert in diesem Jahr auf 2,10 Prozent steigen (Vorjahr 1,99 Prozent). Das ist das Ergebnis der jährlichen Umfrage unserer Zeitung bei den 40 größten Lebensversicherern.
Welche Auswirkungen haben höhere Zinsen auf die Lebensversicherung? Warum erhöhen nicht alle Versicherer? Welche Gesellschaften heben am stärksten an? Soll man weitersparen oder kündigen? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu der noch immer am weitesten verbreiteten Altersvorsorge der Deutschen.
Welche Veränderungen gibt es in diesem Jahr bei den Versicherern?
Der starke Zinsanstieg führt dazu, dass erstmals seit vielen Jahren 18 Versicherer ihre Überschussbeteiligung für 2023 erhöhen, 22 halten sie stabil. Vor einem Jahr sah das noch ganz anders aus: Es gab 17 Senkungen um bis zu 0,35 Prozentpunkte, und die übrigen Gesellschaften hielten die laufende Verzinsung stabil. Inzwischen hat die Europäische Zentralbank wegen der hohen Inflation eine Zinswende eingeleitet. In mehreren Schritten hoben die Notenbanker seitdem den Leitzins auf aktuell 2,50 Prozent an.
„Insgesamt profitiert die Lebensversicherungsbranche von den höheren Zinsen“, sagt Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei der Ratingagentur Assekurata. Im Jahr 2021 lag die durchschnittliche Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe noch bei minus 0,33 Prozent. Im Jahr 2022 stieg sie im Schnitt auf 1,12 Prozent, aktuell beträgt sie sogar 2,28 Prozent. Da die Versicherer fast 80 Prozent der Kundengelder in festverzinslichen Wertpapieren anlegen, profitieren sie zumindest langfristig von einem Zinsanstieg.
„Wir gehen von einer dauerhaften Trendwende aus und reagieren entsprechend schnell“, sagt Robert Heene, Vorstandsmitglied beim Anbieter Versicherungskammer Bayern. Allerdings war die laufende Verzinsung der zum Konzern gehörenden Bayern Leben im vergangenen Jahr auf unterdurchschnittliche 1,50 Prozent gesenkt worden.
Warum erhöhen nicht alle Versicherer?
Es mag auf den ersten Blick überraschen, dass ein solch starker Zinsanstieg wie im Jahr 2022 nicht mehr Versicherer zur Erhöhung der Überschussbeteiligung veranlasst hat. Doch der gravierende Zinsanstieg bringt auch Probleme für die Branche mit sich. „Die meisten Versicherer hätten sich sicherlich einen weniger raschen Anstieg gewünscht“, sagt Heermann. Doch der schnelle und kräftige Zinsanstieg habe auch erhebliche Herausforderungen bei der Kapitalanlage mit sich gebracht.
Alte Papiere waren in der Phase stetig sinkender Zinsen im Kurs immer mehr gestiegen, sodass Buchgewinne entstanden. Diese Entwicklung endete mit der Zinswende. Da die Zinsen wieder steigen, sinkt der Kurs dieser alten Festverzinslichen, um so einen Ausgleich zum aktuellen Zinsniveau zu schaffen. So hat eine zehnjährige Bundesanleihe im vergangenen Jahr einen Kursverlust von 17 Prozent erlitten.
Zwar werden festverzinsliche Wertpapiere – unabhängig von der zwischenzeitlichen Kursentwicklung – zum Ende der Laufzeit wieder zu 100 Prozent zurückgezahlt. Aber bei den Versicherungen entstehen dadurch dennoch sogenannte stille Lasten in der Bilanz. Die Assekurata schätzt sie für die Branche auf 50 Milliarden Euro. Allerdings sind dafür in der Regel keine Abschreibungen erforderlich. Dennoch warten manche Versicherer mit Erhöhungen der Überschussbeteiligung erst einmal ab.
Wird es noch mehr Erhöhungen geben?
Bleiben die Zinsen auf dem aktuellen Niveau, nimmt der Spielraum für künftige Erhöhungen der Überschussbeteiligung zu. Um alte Verträge mit noch hohen Garantiezinsen von bis zu vier Prozent abzusichern, mussten die Versicherer eine sogenannte Zinszusatzreserve (ZZR) bilden. Seit 2011 wurden so Reserven von rund 96 Milliarden Euro angehäuft, so Assekurata. Auch hier zeichnet sich eine Wende ab.
„Wenn das Zinsniveau so bleibt, können jährlich drei bis fünf Milliarden Euro aus dieser ZZR abfließen“, sagt Heermann. Das Geld kann dann für eine höhere Überschussbeteiligung genutzt werden. Im Jahr 2021 mussten der ZZR noch zehn Milliarden zugeführt werden. Im Jahr 2022 seien erstmals drei Milliarden Euro wieder frei geworden, schätzt Heermann. Außerdem geraten die Lebensversicherer wieder in einen stärkeren Wettbewerb mit Sparanlagen, die teilweise schon höhere Zinsen versprechen als die Assekuranz (s. Grafik).
In der Phase der fallender Zinsen war die Lebensversicherung trotz sinkender Überschussbeteiligung führend bei der Verzinsung. Das hat sich geändert. Kunden können ihre Police nun kündigen und auf andere sichere Anlageformen ausweichen. Auch das wird Versicherer unter Druck setzen, ihre Überschussbeteiligung wieder anzuheben.
Bei welchen Versicherungen gibt es die stärksten Anhebungen?
20 Lebensversicherer (Vorjahr: 21) liegen in diesem Jahr mit ihrer Überschussbeteiligung über dem Durchschnittswert von 2,10 Prozent. Unter den zehn größten Anbietern des Marktes hat die Axa mit unverändert 2,60 Prozent die höchste Überschussbeteiligung, gefolgt von der Allianz mit 2,50 Prozent in der klassischen Variante, der Nürnberger und der Bayern Leben mit je 2,25 Prozent.
Die Bayern Leben kann neben der ebenfalls zum Konzern Versicherungskammer Bayern gehörenden Saarland Leben auf die höchste Anhebung um 0,75 Prozentpunkte in diesem Jahr verweisen. Auch bei der Debeka gibt es eine kräftige Anhebung um immerhin 0,35 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent, nachdem im Vorjahr die Ein-Prozent-Marke unterschritten worden war. Auf die höchste Überschussbeteiligung unter allen 40 Anbietern können Ideal und Athora Leben mit jeweils drei Prozent verweisen. Beide Werte sind gegenüber dem Vorjahr unverändert geblieben.
Für wen gelten die Tabellenwerte?
Die Überschussbeteiligungen gelten vor allem für Kunden, die eine Kapitallebens- oder Rentenversicherung mit einem Garantiezins von 1,25 oder 0,90 Prozent abgeschlossen haben, also ab Januar 2015 (siehe Grafik). Die Werte gelten in der Regel auch für Kunden mit einem geförderten Riester-Vertrag – bei gleichem Garantiezins. Wenn eine Gesellschaft in der Tabelle nicht auftaucht, kann es daran liegen, dass sie keine Angaben gemacht hat.
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Erhalten manche Kunden höhere Zinsen?
Ja. Denn in jedem Fall bekommen Kunden ihren Garantiezins, dessen Höhe sich nach dem Jahr des Abschlusses richtet. Bis zu vier Prozent Verzinsung sind so möglich. „Der Garantiezins ist den Kunden zugesichert“, sagt Heermann. „Man kann davon ausgehen, dass mehr als die Hälfte der Kunden eine höhere Überschussbeteiligung bekommt.“
Lohnt eine Lebens- oder Rentenversicherung überhaupt noch?
„Zu einem Neuabschluss raten wir wegen der Kosten und der langen Bindung auf keinen Fall“, sagt Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg. „Verträge mit einem hohen Garantiezins sollten aber fortgeführt werden.“ Zur relativ hohen Verzinsung kommt bei Verträgen, die vor 2005 abgeschlossen wurden, noch die Steuerfreiheit der Erträge.
„Aber grundsätzlich kann es keine pauschale Empfehlung geben, weil man jeden Vertrag einzeln bewerten muss“, sagt Klug. Man könne die Verträge auch optimieren, indem man von monatlicher auf jährliche Zahlweise umstellt oder Zusatzversicherungen kündigt, nicht aber unbedingt eine integrierte Berufsunfähigkeitsversicherung. Das spart Kosten. Die laufende Beitragszahlung kann auch gestoppt werden, ohne den Vertrag zu kündigen.