Hamburg. Hoch motiviert und gut ausgebildet: Mehr als ein Viertel der Geflüchteten wollen dauerhaft in Deutschland bleiben. Kooperationen geplant.

Hryhori Havrylko ist einer der wenigen Männer unter den rund 20.000 Menschen, die aus der Ukraine nach Hamburg geflüchtet sind und Leistungen vom hiesigen Jobcenter bezogen haben oder noch beziehen. Er hat mit Unterstützung des Jobcenters schon eine feste Arbeit in der Hansestadt gefunden – bei der Stadtreinigung, aber nicht im „Orange-Bereich“, wie man intern sagt, sondern in der IT-Abteilung. Denn Havrylko ist studierter Informatiker. Jetzt ist er für die Netzwerktechnik des städtischen Betriebs verantwortlich.

An so manches musste er sich in der neuen Umgebung erst gewöhnen. „Wir kommen aus einer ganz anderen Welt“, sagt Havrylko in fließendem Deutsch. So sei die Ukraine im Hinblick auf die Digitalisierung schon weiter als die Bundesrepublik. Mit einer Lohnabrechnung auf Papier, wie sie hier noch weit verbreitet ist, kann er sich nicht so recht anfreunden: „Ich bin es gewohnt, die Zahlen aus einer digitalen Abrechnung gleich in meine private Finanzplanung zu übernehmen.“

Jobcenter: Durch Ukrainer steigt die Kundenzahl

Wie Havrylko hat auch Olga Odarchuk eine akademische Ausbildung. Die Zahnärztin aus Kiew steht kurz vor dem Abschluss ihres Integrationskurses und wartet auf die Anerkennung ihrer ukrainischen Qualifikation. Das Jobcenter in Hamburg hat die Übersetzung der entsprechenden Unterlagen finanziert.

Durch die geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer sei die Zahl der Kunden des Jobcenters im vergangenen Jahr um 7,4 Prozent auf 194.292 Personen gestiegen, sagte Dirk Heyden, Geschäftsführer des Jobcenters team.arbeit.hamburg. „Klammert man die Menschen aus der Ukraine aus, wäre die Zahl abermals zurückgegangen“, so Heyden.

Hamburg hofft auf motivierte ukrainische Kräfte

Unter den Geflüchteten aus dem osteuropäischen Land, die vom Jobcenter betreut werden, seien 5500 Kinder und 14.500 Personen im erwerbsfähigen Alter – und genau damit sei eine „große Chance für die Hamburger Wirtschaft“ verbunden, so der Jobcenter-Chef.

Denn nach aktuellen Umfragen wollen 26 Prozent dieser Menschen dauerhaft in Deutschland bleiben, weitere 11 Prozent möchten das zumindest für mehrere Jahre. Vor allem aber seien sie „sehr gut qualifiziert und hoch motiviert, wieder zu arbeiten“, sagte Heyden. Er ist sich deshalb sicher: „Nach Abschluss der Sprachkurse und einer passenden Qualifizierung werden viele geflüchtete Menschen hier in Hamburg eine adäquate Beschäftigung aufnehmen. Die Wirtschaft braucht dringend Arbeitskräfte, wir helfen dabei, diese zu finden.“

Arbeit für Ukrainer: Jobcenter kooperiert mit UKE

So habe das Jobcenter bereits eine Kooperation mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, das „händeringend Pflegekräfte sucht“, geschlossen. „Außerdem sind wir dabei, mit der Handelskammer und dem Groß- und Außenhandelsverband AGA Bewerbertage zu organisieren“, erklärte Heyden.

Mit elf Prozent machen Ukrainerinnen und Ukrainer für das Jobcenter Hamburg nun die größte Einzelgruppe an hilfebedürftigen Menschen mit ausländischen Wurzeln aus. Innerhalb kürzester Zeit wurden die Geflüchteten über ukrainische und russische Aushänge sowie über die Internetseite des Jobcenters Hamburg, auf der ein eigener Bereich „Ukraine“ mit vielen Informationen und Erklärvideos in Landessprache eingestellt wurde, informiert und zu Veranstaltungen eingeladen.

Handlungsbedarf bei Anerkennung von Qualifikationen

Heyden kann sich allerdings Änderungen vorstellen, die nicht in seiner Zuständigkeit liegen, die aber die Arbeit des Jobcenters und die Situation von Kunden mit Migrationshintergrund erleichtern könnten: „Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen dauert viel zu lange, da ist noch großer Handlungsbedarf.“ Zudem sei das Integrationsangebot zu starr: Erst kommt der Sprachkurs, dann der Integrationskurs in Vollzeit. „Besser wäre, ihn auch in Teilzeit anzubieten, damit die Menschen parallel schon eine Beschäftigung aufnehmen könnten“, sagte Heyden.

Der Start des neuen Bürgergeldes als Nachfolgeregelung zu Hartz IV zum Jahreswechsel sei „sehr reibungslos“ erfolgt, berichtete der Jobcenter-Chef. An gut 100.000 Haushalte in der Hansestadt würden 1,5 Milliarden Euro an Leistungen ausgezahlt. Heyden begrüßte, dass neben der bereits umgesetzten Erhöhung der Regelleistung zur Jahresmitte auch der „eigentliche Kern des Gesetzes“ in Kraft treten könne, der gegenüber der bisherigen Regelung einen stärkeren Fokus auf Qualifizierung lege. Teilnehmer einer Weiterbildung mit einem Berufsabschluss als Ziel erhalten dann monatlich 150 Euro zusätzlich. Der sogenannte Vermittlungsvorrang, also der Zwang zur möglichst schnellen Vermittlung auch in zeitlich begrenzte Jobs, entfällt künftig.

„Es war wirklich an der Zeit, Hartz IV endlich abzulösen“, sagte Tanja Chawla, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Hamburg, dazu. Leistungsempfänger müssten nun „nicht mehr das erstbeste Jobangebot annehmen“. Chawla fand es „lobenswert, dass das Hamburger Jobcenter unkonventionelle Maßnahmen ergreift, um ukrainischen Geflüchteten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern“.

Jobcenter will Erreichbarkeit weiter ausbauen

Lob für die Arbeit von Heyden und seinem Team kam auch aus der Wirtschaft. „Wir sind mit der Arbeit unseres Jobcenters sehr zufrieden – das war eine Spitzenleistung“, sagte Michael Thomas Fröhlich, Hauptgeschäftsführer des Unternehmensverbands UVNord. Auch er wies auf die Arbeitskräfteknappheit in vielen Sektoren hin: „Die Chancen, in den ersten Arbeitsmarkt zu gelangen, waren selten so gut wie jetzt zu Beginn des Jahres 2023.“

Zum 1. Februar will das Jobcenter die Erreichbarkeit noch weiter ausbauen. Zusätzlich zu den Telefon-Hotlines, der Online-Terminbuchung und dem seit Ende 2022 verfügbaren digitalen Hauptantrag wird ein neues Kontaktcenter geschaffen. Über die Internetseite können dann Nachrichten und Unterlagen direkt und datenschutzkonform digital an den zuständigen Standort gesendet werden. Außerdem wurde das mehrsprachige Online-Angebot verbreitert. Neben Englisch und Ukrainisch ist ein Großteil nun auch auf Türkisch verfügbar.

Erfreut zeigte sich Heyden über bauliche Erneuerungen an den 18 Hamburger Jobcenter-Standorten. „Amtsstuben mit dunklen Fluren“ sollen bald der Vergangenheit angehören. Stellenweise sehe es stattdessen nun eher aus „wie in einer Lufthansa-Lounge“.