Hamburg. Viele Angebote für die Nachwuchskräfte von Unternehmen aus der Hansestadt. Warum junge Akademiker so beliebt sind.
In Hamburg sind Werkstudenten stark nachgefragt. Eine Analyse des Businessnetzwerks Xing für das Abendblatt hat ergeben, dass in der Hansestadt das Angebot für Studierende in Firmen überdurchschnittlich hoch ist: Nach den aktuellen Zahlen schafft es der Begriff „Werkstudent“ 2022 in Hamburg sogar an die Spitze der von Unternehmen am häufigsten gesuchten Bewerber. Bundesweit liegen diese Jobs auf Platz drei. Das heißt: Während deutschlandweit Softwareentwickler und Elektromonteure von den Firmen am häufigsten gesucht werden, sind es in Hamburg Werkstudenten.
Ein Blick in verschiedene Jobportale zeigt die ganze Bandbreite der Einsatzoptionen für Jungakademiker in den Firmen an Alster und Elbe: Züblin sucht Werkstudenten für die Baulogistik, der Möbelladen Westwing, der gerade in der Innenstadt eröffnet hat, schaut sich nach Studierenden für den Verkauf um, Tui Cruises benötigt die Werkstudenten für die Planung von Landausflügen, Ernst & Young sucht Hilfen für die Wirtschaftsprüfung, Cinemaxx für den Einkauf von Filmen.
Arbeitsmarkt: Firmen melden Tausende offene Stellen
Die Gründe für die Beliebtheit der Nachwuchskräfte: „Die Unternehmen sind clever“, sagt Knut Böhrnsen von der Arbeitsagentur in Hamburg. „Sie versuchen über Werkstudenten potenzielle Fachkräfte frühzeitig zu binden. Natürlich geht es darum, junge, motivierte und auch formbare Bewerberinnen und Bewerber für die Firma, das Produkt oder Projekt zu interessieren, um sie dann mit verschiedensten Möglichkeiten für den Berufseinstieg einzufangen.“
Xing hat für die Analyse sein Internetportal mit monatlich rund 1,4 Millionen Stellenanzeigen ausgewertet und begründet das Ergebnis wie folgt: „Es ist interessant zu sehen, dass Unternehmen 2022 insbesondere nach Praktikanten und Werkstudenten gesucht haben. Ein Grund dafür könnte sein, dass der allgegenwärtige Mangel an Arbeitskräften in vielen Branchen dazu führt, dass Firmen vermehrt auf diese Art der Unterstützung setzen“, sagt Rebecca Hoch, Sprecherin der Xing-Mutterfirma New Work aus Hamburg. Schließlich melden die Firmen Tausende offene Stellen. Zwar sind weiterhin viele Menschen arbeitslos gemeldet, aber offenbar passen hier Bedarf und Bewerber oft nicht zusammen (siehe Grafik).
Wie sieht die Realität für Werkstudenten in Hamburg aus – wie profitieren sie und wie werden sie bezahlt? Das Abendblatt beantwortet wichtige Fragen rund um den ersten Job vieler junger Frauen und Männer.
Welche Rolle spielen Werkstudenten im Unternehmen?
Als Werkstudenten werden alle bezeichnet, die hauptsächlich studieren, aber zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder um Berufserfahrung zu sammeln nebenbei jobben. Die Frauen und Männer sind nicht zu Ausbildungszwecken im Betrieb, sondern in das operative Geschäft eingebunden. Werkstudenten seien Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts, sagt der Hamburger Fachanwalt Michael Fuhlrott. Sie sind in den Betrieb eingegliedert und weisungsgebunden.
Welche Aufgaben übernehmen sie?
Wer Germanistik, Kommunikationswissenschaft oder Soziologie studiert, findet Angebote oft in den Bereichen Marketing, PR oder Marktforschung. Es gibt aber immer mehr Einsatzmöglichkeiten: Aktuell sucht wegen des Lehrermangels sogar das Land Sachsen-Anhalt nach Werkstudenten für die Schulen. Angehende Ingenieure unterstützen Unternehmen oft im Bereich Produktentwicklung. Für Betriebswirte und IT-Studenten gibt es viele Stellen in der Büroarbeit sowie in Projekten der Industrie. Sie schreiben Berichte oder unterstützen im IT-Service. Ein vielfältiges Angebot gibt es auch, wenn Bewerber Maschinenbau, Chemie oder andere Naturwissenschaften studieren. Unter anderem sind sie in mittelständischen und größeren Firmen ebenfalls im Bereich Produktentwicklung, in der Risikoanalyse oder bei der Prüfung internationaler Märkte beschäftigt.
Welche Bedeutung haben Werkstudenten für Hamburger Arbeitgeber?
Beim Handelskonzern Otto sind „Werkstudentinnen und -studenten über das gesamte Jahr hinweg eine wichtige Nachwuchszielgruppe“, sagte eine Sprecherin des Unternehmens mit Sitz in Bramfeld. Sie seien in nahezu allen Bereichen tätig, insbesondere in vielen Technologieressorts (IT, E-Commerce) oder in Gebieten wie Finanzen, Controlling, Personal und Marketing. Bei Beiersdorf in Hamburg werden relativ konstant rund 100 Werkstudierende pro Jahr eingestellt. Das Unternehmen erhalte die Möglichkeit, „potenzielle Mitarbeitende kennenzulernen und sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren“, sagte eine Sprecherin des Konsumgüterherstellers mit Marken wie Nivea, Labello und Eucerin, zu den Gründen für die hohe Nachfrage. Viele dieser Berufsanfänger wechselten nach ihrem Studium auf eine feste Position im Unternehmen. Bei Airbus heißt es, dass die Anzahl an Stellen für Werkstudenten wieder das Vorkrisenniveau erreicht habe. „Es ist damit durchaus wesentlich höher als in den letzten Jahren“, sagte ein Sprecher des Flugzeugbauers.
Wie profitieren die jungen Akademiker?
„Der riesige Vorteil für junge Werkstudenten ist, dass sie in der Regel ihre Kenntnisse aus dem parallel laufenden Studium im Betrieb einbringen können“, sagt Böhrnsen von der Arbeitsagentur Hamburg. „Es ist natürlich ein fantastischer Zustand, wenn beispielsweise angehende Schiffbauingenieure auf einer Werft arbeiten oder zukünftige Elektroingenieure am Aufbau von Windparks mithelfen.“ Beide Seiten profitierten voneinander. Werkstudenten, die ihrem Studium entsprechend arbeiteten, steigerten langfristig bei guten Ergebnissen auch ihren eigenen Marktwert, sagt der Personalprofi.
Was verdienen die Studierenden?
Dass auch das Geld für viele junge Akademiker eine Rolle spielt, liegt auf der Hand. Insgesamt arbeiten rund drei Viertel aller Studentinnen und Studenten neben der Uni. Und Werkstudenten-Jobs werden normalerweise besser bezahlt als typische Nebenjobs wie Kellner. In jedem Fall müssen die Betroffenen den Mindestlohn von zwölf Euro in der Stunde bekommen. Teilweise sind die Vergütungen aber auch höher und hängen von der Qualifikation ab, sagt Anwalt Fuhlrott; zum Beispiel, ob der Studierende in der Master- oder Bachelorphase ist. In Branchen, in denen Tarifverträge gelten, sind Werkstudenten auch teilweise in diese integriert, ergänzt Fuhlrott. Hier gebe es oftmals Unklarheiten, in welche Tarifgruppe die Kräfte einzustufen sind. „Dies führt bisweilen dazu, dass Werkstudenten anspruchsvolle Tätigkeiten ausführen, von der Bezahlung aber hierhinter zurückbleiben“, sagt der Jurist und Professor für Arbeitsrecht.
Wie zahlen Hamburger Firmen?
Die Vergütung steht bei Beiersdorf bereits in den Stellenbeschreibungen und beträgt 18,19 Euro in der Stunde. Darüber hinaus biete der Konzern mit Sitz in Eimsbüttel „weitere Benefits wie Urlaubsansprüche gemäß Tarifvertrag, flexible Arbeitszeit, Sport- und Gesundheitsangebote“, sagte eine Sprecherin des börsennotierten Hautpflege-Herstellers. Otto zahlt allen Studierenden mindestens 15,12 Euro pro Stunde. „Je nach Verantwortungsgrad der Aufgabe und Einsatzbereich kann das Gehalt auch höher ausfallen“, sagte eine Firmensprecherin. Es werde nicht frei verhandelt, sondern richte sich nach der übernommenen Aufgabe, den Anforderungen und den dafür nötigen Voraussetzungen.
Welche Besonderheiten gelten für die Verträge?
In arbeitsrechtlicher Hinsicht handele es sich bei Werkstudenten um Arbeitnehmer, die wegen ihrer reduzierten Stundenzahl am ehesten mit Teilzeitkräften vergleichbar seien, sagt Jurist Fuhlrott. „Im Übrigen genießen sie aber den Schutz des Arbeitsrechts: Sie haben Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder auf bezahlten Urlaub.“ Auch gelte ein Kündigungsschutz, wenn sie länger als ein halbes Jahr beschäftigt werden. Es greifen grundsätzlich alle Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen auch für Werkstudenten, heißt es zudem von der Gewerkschaft IG Metall.
Was gilt in Bezug auf Sozialabgaben, Steuern oder Krankenversicherung?
Hier gibt es einen wichtigen Fakt, der Werkstudenten von Arbeitnehmern unterscheidet, betont Fuhlrott. Denn bei der Frage der Sozialversicherung und der Krankenversicherung werden Werkstudenten anders behandelt. Danach sind Werkstudenten von den meisten Beiträgen zur Sozialversicherung befreit, sie müssen keine Beiträge zur Arbeitslosen- oder Pflegeversicherung leisten, und sind ebenfalls befreit von der gesonderten Krankenversicherungspflicht. Dies gilt aber nur, wenn die als Werkstudent ausgeübte Tätigkeit „nachrangig“ gegenüber dem Studium ist, sagt Fuhlrott. „Das wird an einer wöchentlichen Arbeitszeit von maximal 20 Stunden festgemacht. In der vorlesungsfreien Zeit darf auch mehr gearbeitet werden“. Und: Der Werkstudent muss an der Uni als Vollzeitstudent eingeschrieben sein. Eine Befreiung von der Rentenversicherung besteht aktuell nicht mehr; hier müssten Werkstudenten „reguläre“ Beiträge leisten.
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Was ist der Unterschied zu Praktikanten?
Zunächst: Es gibt das freiwillige Praktikum, das Auslands- und das Pflichtpraktikum. Ein „echter“ Praktikant ist kein Arbeitnehmer im Sinne des Arbeitsrechts, sagt Fuhlrott, damit unterscheidet er sich vom Werkstudierenden. Laut Gesetz haben aber auch Praktikanten Anspruch auf Mindestlohn, sofern kein Ausnahmefall vorliegt. Danach sind bei bestimmten Voraussetzungen nur noch bei bis zu dreimonatigen Praktika Bezahlungen unterhalb des Mindestlohns zulässig, bei längerer Dauer sind mindestens zwölf Euro pro Stunde zu zahlen. Davon gibt es nur eine Ausnahme: Ist das Praktikum in einer Studienordnung vorgeschrieben, darf es auch länger als drei Monate dauern, ohne dass Mindestlohn zu zahlen ist.