Hamburg. Airbus denkt über verlängerte A220-Variante nach. Doch der Flieger wird bisher nicht an der Elbe gebaut. Was die IG Metall dazu sagt.

Im nächsten Jahr soll es endlich so weit sein: Dann kann der neue Airbus A321XLR, entworfen für Langstrecken zwischen Flughäfen der „zweiten Reihe“ wie etwa Hamburg, an den ersten Kunden übergeben werden. Damit stünde dann auch für die Entwicklungsingenieure des Konzerns kein konkretes Projekt mehr auf dem Plan.

Doch das könnte sich bald ändern. Denn die Forderungen mehrerer Fluggesellschaften nach einer verlängerten Ausführung des kleinen A220 werden immer lauter. Von diesem Jet, der ursprünglich von dem kanadischen Unternehmen Bombardier entwickelt wurde und seit 2018 Teil der Airbus-Produktpalette ist, gibt es bisher zwei Versionen: Den A220-100 für 100 bis 135 Passagiere und den A220-300 für 120 bis 160 Gäste.

Airbus A320neo bekäme einen internen Konkurrenten

Schon Bombardier aber hatte eine gestreckte Variante für 160 bis rund 190 Passagiere gleich mit angedacht. Ein solcher A220-500 wäre eine sehr gute Ergänzung des A220-Programms, sagte Airbus-Chef Guillaume Faury Anfang 2022. Seitdem haben wichtige Abnehmer wie Air France, Air Baltic, Korean Air und der US-Billigflieger Breeze, die zusammen für 200 bisherige Bestellungen der A220-Reihe stehen, ihren Wunsch nach dem A220-500 Nachdruck verliehen.

Brisant daran ist dies: Mit dem neuen Familienmitglied bekäme der unter anderem in Hamburg gebaute Airbus A320neo einen internen Konkurrenten. Auch er ist für bis zu rund 190 Passagiere ausgelegt. Im Hinblick auf die Reichweite würde ein A220-500 nach Einschätzung von Branchenkennern dem A320neo zumindest nicht deutlich nachstehen – und die meisten Airlines nutzen die maximal mögliche Flugstrecke ohnehin nicht annähernd aus. Vor allem aber dürfte der Wettbewerber aus dem eigenen Haus niedrigere Betriebskosten und einen günstigeren Verkaufspreis bieten.

2027 wäre mit ersten Auslieferungen zu rechnen

„Dieses Flugzeug wäre in seiner Wirtschaftlichkeit einzigartig“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Für ihn ist es „sehr wahrscheinlich“, dass der verlängerte A220 in absehbarer Zeit offiziell ins Produktprogramm aufgenommen wird: „Airbus spricht mit Kunden darüber.“ Der Entwicklungsstart könne Mitte 2024 erfolgen, im Jahr 2027 wäre dann mit ersten Auslieferungen zu rechnen.

Sicher ist: Wenn ein solches Flugzeug kommt, würde es dem A320neo zahlreiche Kunden wegnehmen – zunächst jene, die nicht auch andere Mitglieder der A320-Familie (A319, A321) in der Flotte haben und daher auf die Vorteile des Familienkonzepts wie etwa die für alle diese Typen einheitliche Pilotenlizenz keinen Wert legen. Das trifft zum Beispiel auf die A220-Großkunden Air Baltic und Breeze zu, die beide keine anderen Airbus-Modelle einsetzen.

Früher oder später geht es um die Ablösung des A320

Doch es geht nicht nur um ein paar weniger Abnehmer für den A320neo, es geht wahrscheinlich früher oder später sogar um seine Ablösung. „Es ist nicht die Frage, ob, sondern wann ein verlängerter A220 der Nachfolger unserer A320-Familie wird“, hatte Airbus-Marketingchef Christian Scherer dem Branchenportal airlineratings.com bereits im Herbst 2021 gesagt.

„Dem A320 droht ein ähnliches Schicksal wie dem A319“, meint Großbongardt. Von dessen modernisierter Variante A319neo stehen gerade einmal noch 75 Exemplare in den Airbus-Auftragbüchern. Zum Vergleich: Der Auftragsbestand des A320 beläuft sich auf etwa 2350 Maschinen und der des noch größeren A321 sogar auf mehr als 3700 Jets.

Erhebliche Auswirkungen auf Produktionsstruktur des Airbus-Konzerns möglich

Es liegt nahe, dass die schwachen Verkaufszahlen des für bis zu 160 Passagiere vorgesehenen A319neo auch auf den wachsenden Erfolg des A220 zurückzuführen sind. Denn der ist in der gleichen Größenklasse angesiedelt, lässt sich aber günstiger betreiben. Nach Berechnungen des Fachmagazins „Airfinance Journal“ ist der Treibstoffverbrauch auf einer Strecke von 1850 Kilometern um sechs Prozent geringer. Das erscheint übersichtlich, macht pro Jahr aber einen Unterschied von rund 500.000 Litern im Wert von etwa 400.000 Euro aus – für einen einzigen Jet.

Zöge das A220-Programm durch die verlängerte Version noch deutlich mehr Kunden an und würde es gar den A320 in einigen Jahren ersetzen, so hätte dies erhebliche Auswirkungen auf die Produktionsstruktur des Airbus-Konzerns. Denn bisher wird der A220 nur in Montreal (Kanada) und in Mobile (USA) endmontiert. Vor allem aber stammen der Großteil der Rümpfe und die Tragflächen nicht aus Airbus-Werken, sondern von externen Zulieferern. Rumpfsektionen kommen aus China, die Flügel aus Nordirland.

Auf die wiederholten Fragen, wann der Bau des A220-500 denn nun beschlossen werde, antwortete Airbus-Chef Faury bisher ausweichend. Man werde den Zeitpunkt „sorgfältig wählen“, hieß es. Schließlich befinde sich das A220-Programm noch „im Steigflug“ und sei bisher nicht „auf Reiseflughöhe angekommen“, so Faury. Bis zum Jahr 2025 will man die Produktionsrate von aktuell fünf Flugzeugen pro Monat bis auf 14 Jets monatlich hochschrauben, zum gleichen Zeitpunkt soll das Programm schwarze Zahlen schreiben.

Von den Flugzeugen der A320-Reihe werden rund 50 pro Monat gebaut

Von den Flugzeugen der A320-Reihe werden derzeit rund 50 pro Monat gebaut, etwa die Hälfte davon in Hamburg. Um die Mitte des laufenden Jahrzehnts sollen es konzernweit schon 75 Flieger monatlich sein. Bis dahin dürfte der zuletzt verzeichnete Anstieg der Arbeitsplätze auch in Hamburg weitergehen. „Wenn aber die A220-Reihe an Marktanteil gewinnt, wird die Kurve des Beschäftigungsaufbaus auf jeden Fall flacher“, sagt Großbongardt, denn ein zusätzlicher A220 ist ja mit erheblich weniger Arbeit in Airbus-Werken verbunden als ein zusätzlicher Jet der A320-Familie.

„Die Karten werden neu gemischt“, sagt dazu Daniel Friedrich, Bezirksleiter Küste der IG Metall. „Wenn der A220 deutlich größere Bedeutung für Airbus bekommt, wäre es notwendig, dass auch deutsche Standorte an dem Programm teilhaben.“ Eine französische Airbus-Tochter produziert dafür immerhin Cockpit-Sektionen, wenn auch in Kanada.

"A220-Programm hat eine höhere Lebenserwartung als die A320-Familie"

Allerdings bekäme man bei einer allmählichen Verdrängung des Modells A320neo mehr Fertigungskapazitäten für den größeren A321neo frei, der teurer ist und an dem Airbus mehr verdient. Zuletzt hat dessen Anteil an den Bestellungen zulasten des A320neo immer weiter zugenommen. „Schon seit vielen Jahren sehen wir innerhalb der A320-Familie eine Verschiebung hin zu den jeweils größeren Typen“, so Großbongardt, während in den Jahren 2000 bis 2005 zeitweise der kleine A319 das meistgebaute Modell war.

Fest steht: Selbst wenn für den A320neo schon ab sofort kein neuer Auftrag mehr hereinkäme, hätte man bei einem Orderbestand von 2360 Maschinen noch Arbeit für acht bis zehn Jahre allein mit diesem Flieger. Eines aber müsse man dabei bedenken, so Großbongardt: „Das A220-Programm hat eine höhere Lebenserwartung als die A320-Familie.“ Denn die ist schon seit 1988 auf dem Markt, während der erste A220 – noch unter dem Namen CSeries – 2016 in den Liniendienst ging.

Airbus: A320-Nachfolger braucht neuartiges Triebwerk

„Eigentlich bräuchte man einen A320-Nachfolger schon jetzt“, sagt der Experte. Voraussetzung für ein solches Flugzeug sei aber ein Technologiesprung bei den Triebwerken, und bis diese neue Generation marktreif sei, würden noch etliche Jahre vergehen. Experimentiert wird unter anderem mit einem hybrid-elektrischen Antrieb, der nach Angaben des Zulieferers MTU aus München im Jahr 2035 zur Verfügung stehen könnte.

Darauf müsse man wohl warten, so Großbongardt, denn: „Aus der heutigen Triebwerkstechnologie lässt sich im Hinblick auf Treibstoffeinsparungen nicht noch viel mehr herausquetschen.“ Spätestens bei der Produktionsentscheidung für diesen neuen Flieger geht es für Hamburg dann um alles.