Hamburg. Ob Rama, Goldbären oder Calgon: Offenbar wollen viele Firmen mit Änderungen der Packungsgröße still und heimlich die Preise erhöhen.
Das süßeste Lächeln dürften preisbewusste Kunden derzeit beim Einkauf von Zucker auf den Lippen haben. Zwar zogen die Preise für die weiße, körnige und nicht gerade gesunde Substanz im August um 2,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat an, ermittelten die Experten des Statistischen Bundesamtes Destatis. Das war unter den rund 70 Produkten beziehungsweise Warengruppen im Lebensmittelsegment aber der niedrigste Anstieg – günstiger wurde im vergangenen Monat kein einziges Nahrungsmittel.
Stattdessen zogen die Preise für Essen um 16,6 Prozent sprunghaft an. Es war der vierte Monat in Folge mit zweistelligen prozentualen Plusraten und zumindest seit der Wiedervereinigung der höchste Anstieg. Vor der aktuellen Krise habe der Rekord für Nahrungsmittel bei 8,7 Prozent im März 2008 gelegen, so Destatis.
Inflation: Experte spürt Mogelpackungen auf
Seit Monaten reißt der Wocheneinkauf tiefe Löcher in das Haushaltsbudget der Bürger – und die reagieren mittlerweile offenbar sensibel auf Verteuerungen. „Allein im August haben wir mehr als 250 E-Mails mit Beschwerden wegen versteckter Preiserhöhungen bekommen“, sagte Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg (vzhh) unserer Redaktion: „Das ist ein absoluter Rekord und liegt mindestens doppelt so hoch wie in früheren Zeiten.“
Viele Hersteller versuchen offenbar, die auch für sie steigenden Kosten auf die Kunden umzuwälzen, und sind kreativ. Der Lebensmittelexperte hat sich bundesweit einen Namen als „Detektiv“ gemacht, der nach Hinweisen von Verbrauchern sogenannte Mogelpackungen aufspürt. Auf der Homepage der Verbraucherzentrale werden die Produkte aufgelistet, die bei der Fahndung auffielen.
Rote Grütze: Menge wurde halbiert
Ein Neuzugang ist die Rote Grütze von Wonnemeyer. Waren vorher 1000 Gramm für 2,49 Euro erhältlich, wurde die Menge nun halbiert. Im Regal bei Aldi Nord stand der Pott für 1,59 Euro. Macht unterm Strich 28 Prozent Preisaufschlag. Die Taktik von Produzent Popp Feinkost ist ein Klassiker versteckter Preiserhöhungen: Der Artikel wird in einer neuen Packungsgröße verkauft und der Preis pro 100 Milliliter oder Gramm erhöht. Man habe sich an die Wettbewerber angepasst, die im 500-Gramm-Gefäß verkaufen würden, schreibt Popp der vzhh. Die Füllmengenänderung sei offensichtlich, der höhere Grundpreis selbstverständlich auf dem Preisschild angegeben – und dass „der Grundpreis bei kleineren Füllmengen größer ist als bei größeren Gebinden, ist selbstverständlich“.
Genau hinschauen sollten Haribo-Kunden. Die Tüte mit Goldbären, Color-Rado oder Tropifrutti kostet zwar weiterhin 99 Cent, zum Beispiel bei Edeka, Famila und Müller. Doch mittlerweile sind statt 200 nur noch 175 Gramm drin. Macht eine Verteuerung von 14,3 Prozent. Die dahinterstehende Taktik: Der Bonner Hersteller möchte weiterhin für weniger als einen Euro verkaufen, weil diese Marke für viele Verbraucher ein Schwellenwert ist.
Haribo verweist auf Preissteigerungen
Geht der Preis darüber hinaus, wird das Produkt seltener oder gar nicht mehr gekauft. Haribo verweist in seiner Stellungnahme auf „enorm gestiegene“ Preise für hochwertige Zutaten in den vergangenen sechs bis zwölf Monaten sowie Kostensteigerungen bei Energie und Logistik. Die Reduktion der Füllmenge sei klar erkennbar, der Beutel sei deutlich verkleinert, damit „nicht mehr ,Luft‘ im Beutel“ sei.
Auf der Mogelpackungsliste finden sich viele weiterer Produkte wie Block House Dressing, Knorr Bouillon, Dr. Oetker Pudding Vanille-Geschmack, Piasten Schokolinsen oder Chipsprodukte wie Funny Frisch Ofen Chips, Lorenz Crunchips Roasted, Pringles Original oder Doritos Maischips. „Es gibt Domino-Effekte“, sagt Valet. „Wenn ein Hersteller in einem Bereich anfängt, dann ziehen andere nach.“
„Das ist eine Verdreifachung des Preises"
Für große Verärgerung bei den Verbrauchern hätten die Streichfette von Upfield gesorgt. Mehr als 150 Beschwerden gab es zu Rama, Sanella, Lätta und Becel. So schrumpfte der Packungsinhalt bei Rama von 500 auf 400 Gramm, der Preis blieb aber gleich – macht eine Verteuerung von 25 Prozent. Was den Fall Rama besonders macht: 2008 sei die Packung noch für 1,09 Euro verkauft worden und habe 80 Prozent Fett gehabt. Heute sind es 2,19 Euro mit 60 Prozent Fett. Die Margarine darf sich daher nur noch Streichfett nennen.
„Das ist eine Verdreifachung des Preises, wenn man nur auf den Fettgehalt schaut – und das ist der einzig wertgebende Anteil in dem Produkt“, sagt Valet: „Da wurde schon sehr, sehr viel getrickst. Eigentlich sollte man Rama nicht mehr zum Braten nehmen, weil der Fettgehalt so niedrig ist und es deutlich mehr spritzt.“ Zudem kritisiert er, dass bei nur noch 400 Gramm Inhalt auch die Verpackung hätte kleiner werden müssen.
Speiseöle haben sich am stärksten verteuert
Dies unterblieb. Er rechnete aus: Um 1000 Tonnen Rama zu verkaufen, müssten nun eine halbe Million Plastikdosen mehr abgefüllt werden – und moniert die Ressourcenverschwendung. Neue Verpackungsverfahren würden zusätzliche Kosten verursachen, deshalb habe man die Bechergrößen vorerst beibehalten, teilte Upfield mit und nannte als Grund für die Preiserhöhung „dramatische Kostensteigerungen in unserer gesamten Lieferkette“.
Speiseöle und -fette war im August erneut die Gruppe, die sich am stärksten verteuerte. Die Destatis-Experten ermittelten einen Preisaufschlag von 44,5 Prozent. Butter wurde 49 Prozent teurer, Margarine 29. Mehl verteuerte sich um gut ein Drittel, Geflügelfleisch und Vollmilch jeweils um knapp ein Drittel. Kaffee wurde fast 20 Prozent teurer, Brot und Brötchen 17, Pizza 15 und Mineralwasser 10,9 Prozent. Gemüse kostete etwa zehn Prozent mehr – Obst „nur“ 4,3 Prozent.
„Wir könnten erst am Anfang einer Welle stehen"
Ob versteckt mit Verkleinerungen der Packungsgröße oder relativ offen sichtbar – Valet erwartet weitere Preiserhöhungen in den nächsten Wochen: „Jetzt ist die Zeit, in der viele Produzenten meinen, den Preis erhöhen zu können, weil das Thema Inflation in aller Munde ist.“ Zudem hätten viele Preiserhöhungen bisher wegen langfristiger Verträge nicht stattgefunden. Brancheninsider berichteten ihm, dass weitere Verteuerungen in der Pipeline seien.
In diesem Jahr ermittelte die Hamburger Verbraucherzentrale 46 Mogelpackungen, darunter 20 allein seit August. Das Tempo nimmt also zu. „Wir könnten erst am Anfang einer Welle stehen. Das dürfte auf hohem Niveau weiter zulegen“, sagt Valet. Zudem dürfte die Dunkelziffer hoch sein, weil man immer nur die Spitze des Eisberges erwische.
Auch Konsumgüter werden teurer
Neben Lebensmitteln werden auch viele der beim Wocheneinkauf häufig mitbesorgten Konsumgüter durch geringere Füllmengen teurer. Auf der Liste der Verbraucherzentrale stehen Vernel Weichspüler Hautsensitiv (sechs Prozent), Dove Beauty Cream Bar (elf), Balea Leichte Bodylotion (zwölf), Pampers Pants Baby Dry 4 (19) und Ombia Med Duschöl (20).
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Calgon Power Pulver kürte die Verbraucherzentrale zur Mogelpackung im September. Zwar verspricht der Wasserenthärter bei gleichem Inhalt und Preis auf der Packung mit 50 mehr Waschladungen als zuvor (46). Aber das gelingt dem Hersteller Reckitt Benckiser nur, weil er die 50 Waschladungen nun auf hartes Wasser bezieht und nicht mehr wie zuvor auf sehr hartes Wasser. Reckitt Benckiser begründet diese Umstellung mit einer geänderten EU-Vorgabe.
Inflation: Zahl der Waschladungen gesunken
Für Kunden entscheidend: Bezogen auf die Kategorie hartes Wasser sank die Zahl der Waschladungen von 71 auf 50. „Wenn man die Dosieranleitung als Grundlage nimmt, dann ist es für die Verbraucher 42 Prozent teurer geworden, weil man mehr Pulver pro Waschladung benötigt“, sagt Valet. Die gute Nachricht: Er hält Wasserenthärter grundsätzlich für unnötig, denn in Waschmitteln seien Substanzen zur Wasserenthärtung drin – an der Stelle lässt sich also Geld sparen.