Hamburg. Sie kennen den Hamburger Hafen von Grund auf, bergen Bomben und manchmal auch E-Scooter. Das Abendblatt hat die Hansataucher begleitet.

Langsam gleitet das Tauchschiff „Hansataucher 8“ durch den Waltershofer Hafen. Plötzlich stoppt Schiffsführer Jonas Mikuteit. Im Schatten der hohen Kaikante des Containerterminals Eurogate, etwa 30 Meter vom Ufer entfernt. „Hier ist es laut GPS“, sagt Mikuteit: „Und unsere Geräte sind auf zehn Zentimeter genau.“

Auf einem Bildschirm verfolgt er die grafische Darstellung des Hafenbeckens, auf der im Wasser unmittelbar neben dem Boot ein roter Punkt angezeigt wird. Hier hatte ein Peilboot der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) am Grund eine Anomalie aufgezeichnet, aus Eisen, „ferromagnetisch“, sagen die Experten dazu. Jetzt sollen die Hansataucher klären, was das ist. Irgendwelcher Metallschrott? Oder liegt sogar eine Bombe mitten im Hamburger Hafen? Dort, wo alle Schiffe fahren?

Wöchentliche Weltkriegsfunde im Hamburger Hafen

„Das kommt gar nicht so selten vor“, sagt Jan Günzlein, der das Unternehmen Hansataucher zusammen mit seinem Bruder betreibt. „Wir finden praktisch wöchentlich Relikte aus dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg im Wasser. Mit einer Kaffeetasse bewaffnet sitzt Günzlein in der Kommandozentrale im Bauch des Tauchschiffs, mehrere Anzeigen und Bildschirme vor sich, mit denen er die Operation überwacht.

„Erst in der vergangenen Woche haben wir 25 Wurf-Granaten aus dem Rosskanal gefischt. Die hatte da wohl jemand bei Kriegsende versenkt.“ Auch an der Bombenräumung in Wilhelmsburg vorige Woche waren die Hansataucher beteiligt, weil der Blindgänger in einem neun Meter tiefen Schacht voll Wasser gefunden worden war.

Hansataucher , mit den Tauchern im Waltershofer Hafen bei der Munitionssuche und Bergung , Jan Günzlein sitzt im Kontrollraum
Hansataucher , mit den Tauchern im Waltershofer Hafen bei der Munitionssuche und Bergung , Jan Günzlein sitzt im Kontrollraum © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

„Immer wenn irgendwo etwas gebaut oder im Grund bewegt wird, muss zunächst einmal sichergestellt werden, dass dort keine Munition liegt. Das gilt an Land genauso wie auf dem Wasser“, sagt Günzlein. Zunächst einmal hat er aber nicht mehr als einen roten Punkt auf dem Bildschirm. Um festzustellen, was das sein könnte, muss einer runter – nachsehen.

Der eine heißt in diesem Fall Nico Gebhardt. Ein kräftiger, breitschultriger Mann, wie eigentlich alle Taucher auf dem Schiff. Gebhardt war Malergeselle, bis er im Alter von 30 Jahren entschied, dass er in diesem Beruf nicht mehr bis zur Rente arbeiten wollte. „Und weil ich begeisterter Hobbytaucher war, hatte mich ein Bekannter auf diesen Berufszweig aufmerksam gemacht.“ Der Weg zum Berufstaucher war aber weit.

30 Angestellte arbeiten bei den Hansatauchern

Alle Taucher haben in der Regel eine handwerkliche Berufsausbildung absolviert und einige Jahre in dem Job gearbeitet“, sagt Günzlein. Dazu kommt die Ausbildung zum Taucher über die Handelskammer, die noch einmal zwei Jahre dauert. „Dann“, sagt Günzlein schmunzelnd, „darf man unter Wasser atmen“. Um dort aber zu arbeiten, bedürfe es dann noch Zusatzqualifikationen, etwa zum Schweißer oder eben nach dem Sprengstoffgesetz zum Umgang mit Kampfmitteln.

30 feste Angestellte arbeiten für die Hansataucher, 15 davon sind Berufstaucher. Auch sie sorgen wie die Lotsen, Schlepper, Festmacher und Hafenarbeiter dafür, dass der Schiffsbetrieb auf dem Wasser an 365 Tagen im Jahr reibungslos abläuft. Doch von ihnen weiß man am wenigsten, weil sie ihre Arbeit unter der Wasserlinie verrichten.

Unter Wasser können die Taucher sich nur noch per Tastsinn orientieren

Gebhardt hat inzwischen wollene Unterhosen angezogen, weil das Wasser an diesem Dezembertag nur fünf Grad hat. Darüber kommt der Taucheranzug. Dann bindet er seinen Pferdeschwanz am Kopf hoch, damit er den acht bis zehn Kilo schweren Taucherhelm aufsetzen kann. An den Knöcheln seiner Beine hat er Gewichte befestigt, die ihn unter Wasser ziehen.

Taucherkollege Nils Krahl hilft ihm beim Anziehen der 18 Kilogramm schweren Weste mit Gewichten und der Sauerstoffflasche. Der Helm verfügt über ein Kabel mit Sprechverbindung, Videokamera und Lampe. Aber die hilft dem Taucher nicht. 18 Meter tief ist das Hafenbecken an dieser Stelle, da kommt aufgrund des Schlicks und der Schwebteilchen im Wasser kein Sonnenlicht mehr hin. „Da unten sehe ich nichts“, sagt Gebhardt. Da sind meine Hände meine Augen.“ Meist schließe er sogar die Augen, um sich voll auf seine Tastfähigkeiten konzentrieren zu können.

Gefunden werden nicht nur knapp 100 Jahre alte Bomben, sondern auch E-Scooter

Kampfmittel sind das eine, aber längst nicht einzige Geschäftsfeld der Hansataucher. Im Auftrag von Reedereien polieren sie auch Propeller von Schiffen, die im Hafen liegen, befreien diese von Unrat. „Dann fahren sie effizienter, und das ist den Reedereien heute wichtig“, sagt Günzlein. „Oder wir tüdeln irgendwelche Kabel ab, die sich um die Schraube gewickelt haben.“ Auch Schweißarbeiten etwa an Kaikanten gehören zum Geschäft der Hansataucher, Begutachtungen von Schiffsrümpfen nach Grundberührungen und, was immer häufiger vorkommt – das Einsammeln von E-Scootern aus der Alster.

Die Auftragsbücher seien voll, sagt Günzlein. Das Unternehmen habe in den vergangenen drei Jahren zwei weitere Schiffe gekauft und sei in ganz Norddeutschland unterwegs. 1,8 Millionen Tonnen an Bomben, Granaten und Munition werden allein in den deutschen Gewässern von Nord- und Ostsee als Vermächtnis zweier Weltkriege vermutet. „Gehen die Bergungsarbeiten in dem Tempo voran wie bisher, benötigen wir 900 Jahre, um die See davon zu befreien“, sagt Günzlein. Unklar sei vor allem, wer die Kosten trage. Immerhin sei das Thema in der Bundespolitik angekommen.

Das Einsatzgebiet de Hansataucher: der Hamburger Hafen. Sie sind aber auch in ganz Norddeutschland unterwegs.
Das Einsatzgebiet de Hansataucher: der Hamburger Hafen. Sie sind aber auch in ganz Norddeutschland unterwegs. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Manchmal kommt auch ein Unterwasserstaubsauger zum Einsatz

Gebhardt hat seine Vorbereitungen inzwischen abgeschlossen. Über eine Leiter steigt er ins Wasser – ohne Schwimmflossen, weil er davon ausgeht, dass er auf dem festen Untergrund gehen kann. Wie fest dieser ist, wird sich noch herausstellen. An einem Kran wird ein etwa fünf Meter langes, mit mehreren Anschlüssen versehenes Rohr ins Wasser gesenkt, an dem sich der Taucher mit einer Hand festhält.

Bei dem Rohr handelt es sich um den Airlift, eine Art Unterwasserstaubsauger, mit dem das Schlickbett im Hafenbecken freigelegt werden soll, um der angezeigten Anomalie auf den Grund zu gehen. Denn wenn dort unten etwas liegt, dann ist es meist unter einer meterdicken Schicht aus Schlick begraben, die erst einmal beseitigt werden muss, um den Gegenstand freizulegen.

Mit einer Sonde können Gegenstände genau lokalisiert werden

In die andere Hand bekommt Gebhardt eine Stange mit einem Kabel gereicht, eine sogenannte Magnetresonanz-Sonde, mit der der Gegenstand genau lokalisiert werden soll. Dann geht es in die Tiefe. Über einen Lautsprecher hört man nur noch das Atmen des Tauchers und das Blubbern beim Luftausstoß des Ventils.

Günzlein wirft einen Blick auf den Monitor, der die Bilder der Helm-Kamera zeigt, und sieht, was er erwartet hat, nämlich ein dunkelgraues Nichts. Drumherum tobt Hafenlärm, aber auf dem Schiff herrscht plötzlich angespannte Stille. Was mag Gebhardt dort unten finden? Plötzlich ertönt ein regelmäßiges Knacken im Lautsprecher, wie bei einem Geigerzähler. „Er hat jetzt die Sonde in Betrieb genommen“, erklärt sein Kollege Krahl.

Ein Knacken verrät, wo der Gegenstand im Hafengrund liegt

Damit geht der Taucher über den Meeresboden, wie mit einer Wünschelrute. Wird das Knacken schneller, weiß er, dass er sich dem Gegenstand nähert. Bis das Knacken auf einem Mal einem Trommelfeuer weicht. „Jetzt hat er es“, rufen seine Kollegen an Deck. Dann werden die Pumpen des Airlifts eingeschaltet, und auf der Wasseroberfläche bilden sich schwarze Blasen aufgewirbelten Schlamms.

Mit dem Airlift gräbt sich der Taucher eine Kuhle ein bis zwei Meter tief in den Grund des Hafenbeckens. Er habe zunächst mit dem Bein einen harten Gegenstand gespürt. Danach habe er sich auf allen vieren in das Loch gebeugt und nach ihm gegriffen, wird Gebhardt später sagen.

Unter Wasser ist jede Bewegung enorm kräftezehrend

Das Spülen nimmt kein Ende. Längst sind die regelmäßigen Atemgeräusche aus dem Lautsprecher einem Keuchen gewichen. Die Arbeit in der Dunkelheit des Hafenbeckens ist sehr kraftraubend. „In zehn Minuten unter Wasser verbrennst du so viele Kalorien, wie wenn du eine Stunde lang joggst“, kommentiert Krahl die Arbeit seines Kollegen.

Ein Blick auf die Uhr zeigt: Es ist noch Zeit. Denn auch die Verweildauer auf dem Grund des Hafenbeckens wird genau gemessen. Gebhardt atmet ein besonderes Luftgemisch mit reduziertem Sauerstoff, deshalb kann er bis zu 165 Minuten in der Tiefe arbeiten. Andernfalls müsste er beim Wiederaufstieg mehrere minutenlange Pausen einlegen, um die Dekompressionskrankheit zu verhindern. „Das wollen wir ihm nicht antun bei dem kalten Wasser“, sagt Günzlein.

Gebhardt findet eine Laschstange – und muss anschließend nachsondieren

Plötzlich, nach einem Signal Gebhardts, legt sich die Anspannung. Es ist keine Bombe, die er gefunden hat, auch keine Granate oder sonst irgendetwas, das explodieren könnte. „Sieht aus wie eine Metallstange“, funkt der Taucher vom Grund. „Ich mache ein Seil daran fest.“ Der Kranführer zieht dann den Airlift aus dem Wasser, darunter baumelt eine etwa drei Meter lange verrostete und verbogene Stange. Es handelt sich um eine Laschstange, die dem Sichern der Container an Deck der Containerschiffe dient. „Die muss einem Hafenarbeiter über Bord gegangen sein“, kommentiert Krahl.

Gebhardt bleibt noch eine Weile unten. Er muss nachsondieren – nicht dass sich unter der Stange tatsächlich noch eine Granate befindet, die man übersieht. Nun schlägt das Gerät aber nicht mehr an, und der Taucher kann aufsteigen. Kracht zieht den Taucher ziemlich unsanft am Helmkabel zur Leiter. Dann klettert Gebhardt an Deck, überall voll mit Schlamm. „Hättest du dich nicht saubermachen können“, ruft sein Kollege. Aber Gebhardt will erst einmal den schweren Helm abnehmen.

Darunter erscheint ein roter, verschwitzter Kopf. Kurz steigt er noch einmal die Leiter hinab, um sich im Wasser den Anzug auszuspülen. Dann hat Gebhardt es endgültig geschafft. „Jetzt eine heiße Suppe“, sagt er. Heute darf er nicht mehr ins Wasser. Morgen wieder. Denn die HPA hat noch eine Reihe weiterer Anomalien im Schlickgrund des Waltershofer Hafens verzeichnet.