Hamburg. Industrielle Abwärme aus dem Sommer soll gespeichert und im Winter zum Heizen genutzt werden. Nun wird 1300 Meter tief gebohrt.

Wie kann man die Hamburger möglichst klimaneutral mit Wärme versorgen? Und wie wird man dabei unabhängig von ausländischen Energie-Lieferanten? Die Antwort darauf – oder zumindest eine Antwort – wird nun in 1300 Meter Tiefe unter der Stadt gesucht.

Um Punkt 12.06 Uhr am 30. Dezember gaben Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) und Kirsten Fust, Geschäftsführerin der Hamburger Energiewerke, auf dem Gelände des Kraftwerks Tiefstack in Billbrook den Startschuss für die erste Bohrung für einen sogenannten Aquifer-Wärmespeicher. In ihm soll industrielle Abwärme tief unter der Erde gespeichert und bei Bedarf wieder abgerufen und für die Fernwärmeversorgung genutzt werden – vermutlich schon ab 2024.

Wärmebedarf in der kalten Jahreszeit 15 mal höher als im Sommer

Hamburg sei der größte zusammenhängende Industriestandort Deutschlands, an dem Unternehmen wie die Kupferhütte Aurubis, der Aluminiumhersteller Trimet, der Stahlproduzent Arcelor Mittal, aber auch die städtischen Müllverbrennungsanlagen Unmengen an Wärme produzieren, sagte Kerstan: „Wir wollen, dass diese Industrie-Abwärme nicht mehr ungenutzt verpufft, daher wollen wir sie im Sommer tief unter der Erde speichern, um sie im Winter in Form von klimaneutraler Fernwärme zum Heizen zu nutzen.“

Eine Metropole wie Hamburg mit fast zwei Millionen Einwohnern im Winter mit Wärme zu versorgen, sei eine große Herausforderung, sagte Kirsten Fust. Denn in der kalten Jahreszeit sei der Wärmebedarf etwa 15 mal höher als im Sommer. Die Kunst besteht also darin, die überschüssige Wärme aus dem Sommer bis zum Winter warm zu halten. „Mit dem Aquiferwärmespeicher erproben wir im großtechnischen Maßstab, wie wir Wärmeenergie flexibel und saisonal unter der Erde einspeichern können“, so Fust.

Solewasser soll zur Erzeugung von Fernwärme genutzt werden

Dass sich in etwa 1300 Meter Tiefe unter Hamburg eine mächtige, etwa 40 Millionen Jahre alte und poröse Sandsteinschicht erstreckt, wissen die Geologen schon aus früheren Untersuchungen und Bohrungen, etwa für Geothermie in Wilhelmsburg. Diese Schicht besteht im Prinzip aus früherem Nordsee-Sand, reicht daher bis weit nach Schleswig-Holstein hinein und ist wasserführend – lateinisch „aquifer“, daher der Name des Projekts. Dabei handelt es sich allerdings nicht um Grundwasser, das für die Trinkwasserversorgung genutzt werden könnte, wie Kerstan betonte, sondern um salzhaltiges Solewasser.

Dieses Wasser, das normalerweise etwa 45 Grad warm sein dürfte, soll durch die erste Bohrung an die Oberfläche gepumpt, dort im Sommer mithilfe der Industrie-Abwärme auf bis zu 90 Grad erhitzt und durch eine zweite Bohrung wieder in das poröse Gestein geleitet werden. Dieses erhitzt sich sich dadurch und speichert die Wärme in einer bis zu 100.000 Kubikmeter großen, natürlichen „Blase“. Die Experten hoffen, dass das Solewasser bis zur kalten Jahreszeit noch etwa 70 Grad warm bleibt – und dann bei Bedarf zur Erzeugung von Fernwärme genutzt werden kann.

Auf dem Gelände des Heizkraftwerks Tiefstack startet die erste Bohrung für einen unterirdischen, hydrothermischen Aquiferwärmespeicher. Umweltsenator Jens Kerstan wird gemeinsam mit Kirsten Fust (links), Geschäftsführerin der Hamburger Energiewerke, das offizielle Startsignal für die erste Bohrung geben.
Umweltsenator Jens Kerstan wird gemeinsam mit Kirsten Fust (links), Geschäftsführerin der Hamburger Energiewerke, das offizielle Startsignal für die erste Bohrung geben. © Funke Foto Services | Michael Rauhe

2024 soll der Aquiferspeicher dann seinen Betrieb aufnehmen

Wie Kirsten Fust erläuterte, soll zunächst mit der ersten Bohrung untersucht werden, ob der Tiefe tatsächlich die erhofften Bedingungen herrschen. Erst wenn das der Fall sei, werde man gut einen Kilometer entfernt die zweite Bohrung starten. „Bis Ende April, Anfang Mai werden wir wissen, was uns erwartet“, so Fust. Erst wenn man sicher sei, dass das Projekt umsetzbar ist, werde oberirdisch die Technikzentrale errichtet. 2024 könne der Aquiferspeicher dann seinen Betrieb aufnehmen und nach und nach den Kohlebedarf des Kraftwerks Tiefstack reduzieren.

Denn es werde einige Zeit dauern, bis sich das Gestein in der Tiefe vollständig erhitzt habe und der Speicher voll nutzbar sei, so Fust. Dann soll er bis zu 2,6 Megawatt Wärmeenergie pro Tag abgeben können. Die jährliche Kapazität wird auf fünf Gigawattstunden geschätzt, wodurch etwa 1400 Tonnen CO2-Emissionen in der Fernwärmeversorgung eingespart werden können.

Zwei Flusswasserwärmepumpen sollen Wärme aus Elbe und der Bille gewinnen

Das Ziel von Senat und Energiewerken ist es, das Heizkraftwerk Tiefstack als letztes Kohlekraftwerk Hamburgs bis 2030 weitgehend auf erneuerbare Energien umzustellen. Der Aquifer-Speicher ist dafür nur ein Baustein. Zentral sind zwei große Flusswasserwärmepumpen, die Wärme aus der Norderelbe und der Bille gewinnen sollen. Zudem sollen die Kupferhütte Aurubis sowie die Müllverwertung Borsigstraße zusätzliche Abwärme liefern. Zur Absicherung der Wärmeversorgung in Spitzenlastzeiten soll Tiefstack auf den wahlweisen Einsatz von Erdgas oder nachhaltiger Biomasse aus Rest- und Schadholz umgestellt werden.

Mit dem neuartigen Aquiferspeicher setze Hamburg „mal wieder deutschlandweit Maßstäbe bei der Energiewende“, sagte der Umweltsenator und bekannte, „ein bisschen stolz“ auf das Projekt zu sein. Es zeige erneut, wie wichtig es war, die Energienetze in städtische Hand zu bringen und einen eigenen Energieversorger aufzubauen – nur so sei die Stadt jetzt „voll handlungsfähig“ und nicht abhängig von privaten Firmen oder dem Ausland. „Es geht auch um Energie-Souveränität und die Unabhängigkeit Deutschlands“, so Kerstan.

Wärmespeicher: Kosten werden auf zweistellige Millionensumme beziffert

Daher ist der Wärmespeicher auch ein Teilvorhaben des „Norddeutschen Reallabors“, einem Verbund, in dem neue Wege zur Klimaneutralität erprobt und durch den Bund gefördert werden. Forscher der Christian-Albrechts-Universität Kiel begleiten die unterirdischen Untersuchungen wissenschaftlich, die Technische Universität Hamburg die Arbeiten über Tage. Die Kosten für das Projekt bezifferte Kirsten Fust auf eine zweistellige Millionensumme – exakter könne man das erst sagen, wenn man die Bedingungen in 1300 Meter Tiefe kenne. Jetzt wird also erstmal gebohrt.