Hamburg. Norbert Aust stellte auf der „Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns“ seine Ideen für einen Innovationsstandort Hamburg vor.

Volles Haus im Börsensaal der Hamburger Handelskammer. Freie Stühle gab es am Freitagmittag so gut wie keine, als die traditionsreiche Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns (VEEK) begann. Mund- und Nasenschutz sah man nur vereinzelt. Corona? Vergangenheit! Über rund 1200 Zusagen aus Wirtschaft, Politik, Kirche und Gesellschaft konnten sich die Veranstalter freuen. Mit dabei: Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), zahlreiche Senatoren und Ehrenbürger Michael Otto.

Eine Besonderheit: Erstmals in der langen Geschichte der Veranstaltung hatte die Handelskammer eine Kinderbetreuung im ersten Stock für Besucher eingerichtet. Familienfreundlich wolle man sein, sagte der VEEK-Vorsitzende, Gunter Mengers, in seiner Rede zu Beginn der Veranstaltung. Dann ging er auf die Bedeutung der traditionsreichen Versammlung ein. Er stelle mit Freude fest, dass das Verständnis für Anstand eine Renaissance erfahre, gerade bei jungen Menschen. Die von der VEEK vertretenen Werte könnten als Kompass dienen, den man benötige, um in herausfordernden Zeiten Kurs halten zu können.

Hamburg soll ein weltweit führender Innovationsstandort werden

Angesichts der gewaltigen Herausforderungen sei es „das einzig Vernünftige, das Gemeinsame und Verbindende zu suchen“, denn nur gemeinsam werde man diesen Herausforderungen erfolgreich begegnen können, „anstatt auf Sozialen Medien zu polemisieren“ und die Positionen anderer rundweg zu verdammen. Doch, so Mengers, der sein Amt satzungsgemäß nach neun Vorstandsjahren abgibt, „nicht immer hatte ich zuletzt das Gefühl, dass man sich frei äußern darf“.

Auch der zweite Hauptredner der Veranstaltung, Handelskammer-Präses Norbert Aust, beschäftigte sich mit den Voraussetzungen dafür, in der sich ändernden Weltordnung weiter wirtschaftlich bestehen zu können. „Die zentrale Antwort auf unsere Frage: ‘Wovon wollen wir künftig leben?’ lautet: Innovation“, sagte Aust. Er schlug deshalb einen „Innovations-Dreisprung“ vor, mit dem es Hamburg gelingen könne, zu den weltweit führenden Innovationsstandorten aufzusteigen.

Kompetenzen: Autonome Mobilität, Grüner Wasserstoff, KI und mRNA-Technologie

Dazu forderte Aust eine stärkere finanzielle Förderung mittels einer „Zukunftsmilliarde“, für die man auf die Dividenden der Stadt aus der Beteiligung an der Reederei Hapag-Lloyd zurückgreifen solle – denn Hamburg könne für dieses Jahr mit Einnahmen von mehr als einer Milliarde Euro daraus rechnen. Zunächst aber gelte es, sich als Stadt auf aussichtsreiche Innovationsfelder zu konzentrieren, auf denen Hamburg schon heute stark sei. Dies seien seiner Meinung nach die autonome Mobilität, Grüner Wasserstoff, Künstliche Intelligenz sowie die mRNA-Technologie zur Entwicklung von Impfstoffen auf Gentechnik-Basis.

Als drittes Element des „Dreisprungs“ fordert der Handelskammer-Präses die Einrichtung von so genannten Sonderinnovationszonen in Hamburg. Dort sollen Start-ups, etablierte Unternehmen und Forschungseinrichtungen zusammenwirken, um in den ausgewählten „Fokustechnologien“ voranzukommen. In diesen Zonen sollen beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren gelten, außerdem könne es vergünstigte Gewerbeflächen sowie spezielle Förderprogramme bis hin zu Steuererleichterungen geben. „Mit solchen Sonderinnovationszonen hätte Hamburg ein echtes Alleinstellungsmerkmal und würde viele Impulse zur Entwicklung unseres Standortes geben“, so Aust.

Jeder vierter Arbietsplatz hängt von der Industrie ab

Hamburg sei der größte Industriestandort Deutschlands, sagte der Kammer-Präses. Jeder vierte Arbeitsplatz hänge von der Industrie ab. Doch auch mit dem Hamburger Hafen seien große Zukunftschancen und ein hohes Innovationspotenzial verbunden. „Jeder Abgesang auf unseren Hafen ist populistisch und schädlich“, sagte Aust. Er verwies zugleich auf die hohen Belastungen für die Wirtschaft durch die gestiegenen Energiepreise. Zu den Kernaufgaben des Staates gehöre es, Rahmenbedingungen für eine „sichere und bezahlbare Energieversorgung“ zu schaffen.

Wenn in den USA 40 bis 50 Euro, in Deutschland aber 200 Euro pro Megawattstunde Strom bezahlt werden müssten, dann ist es nach Auffassung von Aust für Unternehmen „betriebswirtschaftlich verständlich oder gar notwendig“, über eine Standortverlagerung nachzudenken. Deshalb müsse das Energieangebot ausgeweitet werden. „Alle Optionen müssen auf den Tisch kommen“, sagt Aust, ohne konkret die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken und den längeren Betrieb moderner Kohlekraftwerke zu fordern. Wohl auch, um Kritiker aus der Wirtschaft nicht zu provozieren.

Hamburger Hafen ist Erfolgsfaktor für gesamtdeutsche Wirtschaft

Er erinnerte des Weiteren daran, dass die geplante Minderheitsbeteiligung der staatlichen chinesischen Reederei Cosco an der Betriebsgesellschaft des Containerterminals Tollerort für teilweise „sehr emotionale, unsachliche Äußerungen“ gesorgt habe. Die Handelskammer habe sich dagegen stets für eine Versachlichung der Diskussion eingesetzt. Denn Reedereibeteiligungen an Terminals seien weltweit üblich, sie könnten zur Ladungssicherung und Effizienz von Terminals beitragen. Natürlich dürfe kritische Infrastruktur nicht veräußert werden und müssten Grund und Boden des Hafens in öffentlicher Hand bleiben. „Das stand aber auch nie zur Debatte“, so Aust.

„Vom Schwarzwald-Politiker bis zum Bundespräsidenten“ sei die nationale Bedeutung des Hamburger Hafens als notwendiger Erfolgsfaktor für die deutsche Volkswirtschaft betont worden. „Über solche Äußerungen freue ich mich“, sagte Aust, denn die Seehäfen seien tatsächlich eine nationale Angelegenheit. Er habe aber Zweifel daran, dass dies im Bund tatsächlich angekommen sei und dass den vielen Worten Taten folgen werden.

Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard ist ebenfalls für Innovationsausbau

„Fassungslos macht mich in diesem Zusammenhang die Rücknahme der erst im Januar freigegebenen neuen Tiefgänge der Elbe-Fahrrinne durch die zuständige Bundesbehörde“, so Aust. Die Bundesregierung komme damit ihren Pflichten nicht nach und füge der Erreichbarkeit des Hafens schweren Schaden zu. „Ich sehe hierin eine größere Bedrohung unserer kritischen Infrastruktur als in der geplanten Minderheitsbeteiligung an der Betriebsgesellschaft Tollerort.“

Am Ende seiner Rede bekam Aust viel Applaus, zudem diskutierten die Gäste noch über die Kernaussagen seiner Rede. Die vom Präses geforderte zusätzliche Förderung von Innovationen geht nach Meinung von Hamburgs neuer Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) in die „richtige Richtung“, wie sie direkt im Anschluss an die Veranstaltung dem Abendblatt sagte. Es sei richtig, die Innovationskraft der Stadt weiter zu stärken. Allerdings sei die von Aust geforderte „Zukunftsmilliarde“ ein sehr hoher Betrag, setze man ihn ins Verhältnis zum Gesamthaushalt. Man dürfe bei dieser Debatte nicht vergessen, dass die Stadt mit Blick auf die aktuellen Krisen finanziell ohnehin stark gefordert sei.

Zum Schluss der Veranstaltung verabschiedete Tee-Unternehmer Jochen Spethmann als künftiger VEEK-Vorsitzender Gunter Mengers und dankte ihm für die Arbeit in den vergangenen Jahren.