Hamburg. Novocarbo baut ein Werk in Mecklenburg-Vorpommern für ein Produkt, das Kohlendioxid einspart. Wie das funktioniert.

Nein, mit Kohle zum Grillen habe seine Geschäftsidee gar nichts zu tun, sagt Caspar von Ziegner und schüttelt den Kopf. Schon oft hat der 41 Jahre alte Tüftler seine Erfindung erklären müssen, denn von Pflanzenkohle hat hierzulande bisher kaum jemand gehört.

Der Gründer von Novocarbo ist auf einem Hof in Niedersachsen aufgewachsen, und mit der Landwirtschaft kommt man dem Thema schon näher: Es geht eher um gute Böden als ums Barbecue. Und vor allem um das Klima und die Herausforderungen durch die menschengemachte Erderwärmung. Kann man noch verhindern, dass der Meeresspiegel weiter steigt und Lebensräume verschwinden – oder dass mehr Dürren zu Hungerkatastrophen führen?

Novocarbo will in Mecklenburg Pflanzenkohle produzieren

Novocarbo will diese Drohszenarien bekämpfen – durch eine neuartige Technologie. Die Firma beschäftigt in Hamburg gut 20 Frauen und Männer, wurde mehrfach für ihre Idee ausgezeichnet und baut derzeit ein neues Werk in Grevesmühlen. In dem mecklenburgischen Städtchen, eine gute Stunde Autofahrt von Hamburg entfernt, will Novocarbo Pflanzenkohle produzieren. Die Anlage wird die bestehenden Standorte des Unternehmens in Rheinland-Pfalz und bei Thyssenkrupp in Lippstadt komplettieren.

In der Halle mit der unscheinbaren grauen Fassade, typisch für das Gewerbegebiet bei Grevesmühlen, wird bald eine der spannendsten Technologien in Sachen CO2-Einsparung und Recycling eingesetzt: Holzabfälle, die etwa bei der Herstellung von Holzhackschnitzeln übrig bleiben, verarbeitet Novocarbo hier zu Pflanzenkohle.

Das schwarz-graue Material, das in der Anlage in verschiedenen Körnungen entsteht, kann den Boden etwa auf Ackerland verbessern, denn es ist wie ein Schwamm in der Lage, Nährstoffe und Feuchtigkeit zu speichern. Das Granulat wird aber auch in der Industrie Kunststoffen zugesetzt oder kann im heimischen Garten für besseren Pflanzenwuchs sorgen.

Pflanzenkohle bindet CO2

Diese Nutzung der pflanzlichen Abfälle, die aus Müll noch weiterverwendbares Material macht, ist aber nur die eine Seite der Medaille: Denn Pflanzenkohle bindet Kohlendioxid – und je kleiner die Menge des Treibhausgases ist, die in die Atmosphäre gelangt, desto weniger trägt die Menschheit zum aktuellen Klimawandel bei. Daher nennt Novocarbo seine Werke auch Carbon Removal Parks, denn der in der Biomasse vorhandene Kohlenstoff wird gebunden und in der Pflanzenkohle dauerhaft gespeichert.

Der Hintergrund: Wenn das bei Novocarbo eingesetzte Holz beispielsweise verbrannt oder verrotten würde, dann setzte dieser Prozess das gesamte Kohlendioxid frei, den der Rohstoff während seines Lebenszyklus gespeichert hat. Bei der Verarbeitung zu Pflanzenkohle gelangt das Kohlendioxid indes nicht zurück in die Atmosphäre. Sondern es wird in Kohlenstoff umgewandelt, verbleibt im Rohstoff und wird wieder dem Boden zugefügt.

Das Motiv, das 2017 zur Gründung des Unternehmens führte, treibt von Ziegner und sein Team von Novocarbo auch heute noch an: „Wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch erreichen wollen, müssen wir Lösungen zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre vorantreiben“, sagt der studierte Wirtschaftsingenieur, der viele Jahre im Energieumfeld gearbeitet hat.

Pflanzenkohle: Warum Novocarbo in Mecklenburg produziert

Rund 800 Kilogramm Rohstoffe sollen pro Stunde in der Anlage in Grevesmühlen verarbeitet werden. Die Produktion in dem Werk, das knapp 8,5 Millionen Euro kostet, läuft dabei wie folgt ab: Es wird ein chemischer Prozess in Gang gesetzt, indem eine Brennkammer mit Gas beheizt wird. Die dort entstehenden heißen Abgase, die keinen Sauerstoff beinhalten, sorgen dann für den eigentlichen Herstellungsprozess der Pflanzenkohle. „Dieser Prozess läuft drei Monate“, sagt von Ziegner.

Bei dieser sogenannten Pyrolyse entsteht zudem regenerative, klimaneutrale Überschussenergie. Daher geht Novocarbo mit jedem neuen Carbon Removal Park auch Partnerschaften mit Industrieunternehmen oder Stadtwerken vor Ort ein. „Unsere Carbon Removal Parks können bis zu 18.000 Megawattstunden Wärme jährlich erzeugen“, sagt von Ziegner, der sich vor allem wegen der Fernwärme, die in Grevesmühlen eine große Rolle spielt, für diesen Standort entschieden hat: Die in der Fabrik erzeugte Hitze wird in das Fernwärmenetz der Stadtwerke eingeleitet. Den Strom, den Novocarbo für die Anlagen benötigt, stellt die Firma selbst her.

Die Klimabilanz dieses Vorgehens: „Derzeit entziehen wir rund 6000 Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre“, sagt von Ziegner, der auch privat an das Wohlergehen der folgenden Generationen denkt, denn schließlich ist er Vater von drei Kindern.

Novocarbo will mit Pflanzenkohle in Europa expandieren

Mit der neuen Anlage in Grevesmühlen, die Anfang 2023 an den Start geht, erreicht Novocarbo dann einen noch größeren Effekt: Bis 2025 wollen die Hamburger mir ihren Carbon Removal Parks jährlich bis zu 30.000 Tonnen Kohlendioxid der Atmosphäre entziehen. Denn das Wachstum geht auch international weiter: „In den kommenden Jahren planen wir die Eröffnung von weiteren Carbon Removal­ Parks mit Fokus auf Europa“, beschreibt der Gründer seine Vision.

In Hamburg sind für diese weiteren Expansionsschritte alle zentralen Funktionen gebündelt. „Von hier aus steuern wir unser Geschäft“, sagt der Gründer, der selbst südlich der Hansestadt wohnt, in Jesteburg. Es werden auch noch weitere Kollegen gesucht für das Team, das Bereiche wie Sales, Marketing oder Produktentwicklung umfasst.

Der Umsatz, den Novocarbo etwa mit den Kohleprodukten erzielt, liegt aktuell noch bei etwas weniger als einer Million Euro. Durch die Inbetriebnahme der neuen Standorte prognostiziert das Start-up für 2023 eine Verdoppelung der Erlöse.

Das massive Wachstum und die Planungszeit bis zur Inbetriebnahme von neuen Standorten machen derzeit noch eine Vorfinanzierung notwendig. „Wir arbeiten noch nicht rentabel“, sagt von Ziegner, der aber davon ausgeht, mit seinem Betrieb in den nächsten drei Jahren in die schwarzen Zahlen zu kommen.

Bislang ist die Pflanzenkohle übrigens nicht für Privatkunden erhältlich. Aktuell beschränkt sich der Absatz vornehmlich auf Skandinavien, denn dort sei man, bedauert von Ziegner, bei dem Thema schon weiter als in Deutschland. Aber auch das soll sich ändern: Um die Endprodukte besser und auch regional vermarkten zu können, entsteht in Mecklenburg neben der neuen Fabrik ein Entwicklungs- und Forschungszentrum, wo weitere Einsatzmöglichkeiten von Pflanzenkohle getestet werden.

Auch hier kann möglicherweise wieder das persönliche Umfeld des Chefs für Impulse sorgen: Von Ziegner ist leidenschaftlicher Reiter, „ein absoluter Pferdemensch“, sagen seine Kollegen. Und Pflanzenkohle ist auch als Zusatz für Tierfutter geeignet.