Hamburg. Neuer Obermeister will den Ruf seiner Branche verbessern und mit gutem Handwerk mehr Kunden in die Salons holen.

Drei Tage weder Heizung noch warmes Wasser im Friseursalon – mitten im Weihnachtsgeschäft eigentlich der Super-Gau. Henry Riehl grinst. „Wir haben flexibel reagiert“, sagt der Inhaber des Stadtteil Friseurs in Hamburg. Von seinem Eltern hat er sich zwei Radiatoren besorgt, dazu einen Heizlüfter aus der eigenen Wohnung. Heißes Wasser haben er und seine Mitarbeiter mit Flaschen herbeigeschafft. Dabei hatte Riehl nicht etwa versäumt, die gestiegene Energierechnung zu bezahlen.

Die Gastherme war defekt, und der Klempner konnte den Fehler nicht gleich beheben. Inzwischen ist der Schaden repariert. „Die Kunden sind froh, dass sie sich vor den Festtagen noch die Haare machen lassen konnten“, sagt der Friseurmeister. „Und wir sind froh, dass das Weihnachtsgeschäft weiterläuft.“

Friseur Hamburg: Kunden verschieben Besuche

Trotzdem ist das Terminbuch auch bei dem jungen Friseur mit Salons in Barmbek und in St. Georg nicht so voll wie in früheren Jahren vor den Festtagen. Waschen, schneiden, föhnen und vor Weihnachten gerne auch noch mal die Farbe etwas auffrischen? „Die Kunden sparen beim Haareschneiden“, sagt Henry Riehl, der seit Mai dieses Jahres als Obermeister der Friseur-Innung die Branche in der Stadt vertritt. Erst der Nachholbedarf nach den Corona-Lockdowns 2020 und 2021 – doch nun verschieben Frauen und Männer den Besuch in den Friseursalon im Schnitt um zwei Wochen nach hinten im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie.

Gespart wird laut Riehl auch bei teuren Dienstleistungen wie Tönen und Färben, Dauerwellen und Haarverlängerungen. Auf 20 Prozent beziffert der Unternehmer sein Umsatzminus im Vergleich zu 2019. „Ich glaube, dass die Menschen den Wohlfühlfaktor beim Friseurbesuch vergessen haben. Das muss erst wieder gelernt werden“, sagt er.

Friseure: Schwierige Suche nach Personal

Ob sich dass allerdings gerade jetzt angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage, saftigen Preiserhöhungen in fast allen Bereichen und der Angst vor dem Jobverlust ändert, ist eher fraglich. „Auch 2023 wird schwierig bleiben“, sagt der 34-Jährige, der sich vor zehn Jahren mit einem Minisalon auf 21 Quadratmetern selbstständig gemacht hatte und 2016 den heutigen Betrieb in einem leer stehenden Ladenlokal an der Vogelweide in Barmbek-Süd im Alleingang umgebaut hat. „Früher waren bei uns die Abendtermine immer ausgebucht, durch Corona und Homeoffice hat sich das verändert.“ Vor allem in seinem Salon in St. Georg mache sich das veränderte Kundenverhalten bemerkbar.

Zugleich ist es schwierig, Personal zu finden. „Wenn eine Mitarbeiterin schwanger wird, ist das etwas sehr Schönes, aber ich habe auch ein Riesenproblem“, sagt Riehl. In seinem siebenköpfigen Team in Barmbek arbeiten im Moment gerade mal zwei Friseure in Vollzeit. Sonnabends ist nur alle zwei Wochen geöffnet – damit die Beschäftigten nicht jedes Wochenende ran müssen. An beiden Standorten hat Riehl inzwischen einen Friseurstuhl an einen selbstständigen Kollegen untervermietet, um die Fixkosten zu begrenzen.

Friseurbranche in „existenzieller Krise“

Viele Friseure sehen jetzt mit Sorge auf das neue Jahr. Nach einer Umfrage des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks gehen 62 Prozent der Handwerksbetriebe von rückläufigen Umsätzen aus. In den persönlichen Dienstleistungsgewerken sind es sogar mehr als 70 Prozent. „Die Belastungen der Corona-Pandemie, gestiegene Lohnkosten und eine schwierige Ausbildungssituation setzen den Betrieben ebenso weiter zu wie die Inflation mit ausufernden Energiepreisen“, sagt die Präsidentin des Zentralverbandes des Deutschen Friseurhandwerks, Manuela Härtelt-Dören. Sie sieht die Friseurbranche in „einer existenziellen Krise“.

Betroffen sind vor allem die größeren Filialunternehmen mit hohen Betriebs- und Personalkosten, aber auch Inhaber von kleineren Salons hätten an ihre Reserven gehen müssen. Im Mai hatten deshalb einige Friseurunternehmer eine Bundestagspetition zur Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent gestartet.

Zahl der Friseure in Hamburg steigt

Nach Angaben des Verbands gibt es bundesweit 80.000 Friseurbetriebe mit 240.000 Beschäftigten. Gerechnet wird aber in den nächsten Jahren mit zahlreichen Betriebsstilllegungen und Insolvenzen. Er erwarte, dass mindestens zehn Prozent der Betriebe verschwinden, hatte Hauptgeschäftsführer Jörg Müller im Mai dieses Jahres im Abendblatt gesagt. In Hamburg ist dieser Trend noch nicht zu erkennen.

Die Zahlen steigen – vor allem viele kleine Betriebe, sogenannte Mikrosalons kommen dazu. In der Handwerksrolle sind aktuell 1496 Friseurbetriebe registriert. Laut Handwerkskammer sind das 15 Friseure mehr als Ende 2019. Vor zehn Jahren war die Zahl mit 1465 noch um 31 Betriebe niedriger.

„Zurück zum klassischen Handwerk mit weniger Chichi“

„Wir haben viel zu viele Friseursalons“, sagt der Hamburger Obermeister Henry Riehl. Gemeinsam mit dem neuen, deutlich verjüngten Vorstand der Hamburger Friseurinnung will in seiner Branche für grundsätzliches Umdenken sorgen. „Wir müssen zurück zum klassischen Handwerk mit weniger Chichi. Dann kommen die Kunden auch wieder“, sagt der Friseur mit Wollstrickmütze auf dem Kopf. Nie sei ein guter Haarschnitt wichtiger gewesen als jetzt.

Wenn das Geld weniger locker sitze, so seine These, würden die Menschen seltener zum Friseur gehen, dann aber zu einem guten. „Es wäre heilsam, wenn sich der Markt gesundschrumpft“, sagt Riehl mit Blick auf Angebote von zehn oder zwölf Euro für einen Männer-Haarschnitt. „Damit kann kein Unternehmer wirtschaftlich arbeiten und Mitarbeiter angemessen bezahlen.“ Hamburg müsse zurück auf den Betriebsstand der 1990er/ 2000er-Jahre, mit weniger sogenannten Mikro-Betrieben und mehr größeren Unternehmen mit mehr Mitarbeitern.

Zahl der Auszubildenden hat stark abgenommen

Ein wichtiges Stoppzeichen sind die Ausbildungszahlen im Friseurhandwerk. Vor Corona haben etwa 200 junge Frauen und Männer pro Jahrgang eine Friseurlehre begonnen. 2022 war es gerade mal die Hälfte. „Das muss sich ändern“, sagt Riehl, der 2005 sogar noch mit 400 Auszubildenden gestartet war. Das hat mit Lohn und Arbeitszeiten zu tun.

Immerhin gilt für Friseur-Azubis inzwischen die Mindestausbildungsvergütung, die 2023 mit 620 Euro im ersten Jahr beginnt und jährlich angepasst wird. Ende September hat die Hamburger Friseurinnung parallel zur Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro die tarifliche Lohnempfehlung im Oktober 2022 angehoben. Ein Geselle oder eine Gesellin mit mehr als drei Jahren Berufserfahrung kommt so auf 2338,20 Euro brutto bei einer Vollzeitstelle, nach sechs Jahren auf 2684,60 Euro – ebenfalls mit jährlichen festgelegten Anhebungen.

Friseure: Wo Mitarbeiter ohne Vertrag arbeiten

„Das ist ein wichtiger Schritt. Es stimmt nicht mehr, dass alle Friseure schlecht bezahlen“, sagt Friseur-Obermeister Riehl. Gleichzeitig wollen er und seine Innungskollegen auch an der „Professionalität der Branche“ arbeiten. „Der Ruf unseres Berufs muss wieder besser werden, um dem Personalmangel zu begegnen.“ Es gebe immer noch Betriebe, die Mitarbeiter ohne Vertrag beschäftigten, Lohn nicht pünktlich auszahlten oder Schulung in der Freizeit machten.

Dabei sieht er auch die Kunden in der Verantwortung. „Im Moment sind in vielen Salons die Preise noch zu niedrig, um einen Betrieb wirtschaftlich betreiben zu können.“ Riehl hat in seinen Salons die Preise um 22 Prozent im Schnitt angehoben. Ein Damenschnitt mit Föhnen bei mittlerer Haarlänge kostet bei ihm jetzt 55 Euro, mit Farbe 79 Euro. Einen Kurzhaarschnitt für Männer gibt es ab 37 Euro. Kinder bis 15 Jahren werden für 30 Euro die Haare geschnitten.

„Friseure sind im Wandel“, sagt Meister Riehl. Seine Verluste durch Corona beziffert er auf mehr als 85.000 Euro. „Da habe ich aufgehört zu rechnen“, sagt er und wirft der Politik Versagen bei der Unterstützung der Branche vor. In den nächsten Wochen steht dem Unternehmer auch noch die Rückzahlung der Corona-Soforthilfe aus dem Frühjahr 2020 in Höhe von 20.000 Euro ins Haus. „Ich werde es irgendwie schaffen“, sagt er. „Andere wohl nicht.“ Trotzdem glaubt er an die Zukunft. „Gutes Handwerk wird nicht aussterben.“ Auch für ihn persönlich gibt es gerade einige Veränderungen. Henry Riehl ist vor einigen Monaten Vater von Zwillingen geworden und arbeitet deshalb weniger. Wenn nicht wieder ein Notfall dazwischen kommt.