Hamburg. Wo früher Autos standen, warten jetzt Lastenräder und E-Scooter auf ihren Einsatz. Andere Unternehmen gehen noch viel weiter.
Vor nicht allzu langer Zeit war das Parkhaus Gänsemarkt eines wie viele andere: reichlich Beton in mehreren Stockwerken mit dem einzigen Zweck, Autos dort abzustellen. In dem nüchternen Bau nahe der Staatsoper sieht das inzwischen etwas anders aus. In einem Teil des Erdgeschosses sind die Stellplätze verschwunden. Stattdessen haben mehrere Firmen dort Lagerräume eingerichtet, E-Scooter und elektrisch angetriebene Fahrräder stehen für Nutzer bereit.
„Wir wollen den Parkraum fit für die Zukunft machen und neue Nutzergruppen erschließen“, sagt Niels Christ vom Parkraumbetreiber Apcoa. Gerade öffnet sich die rot-weiß lackierte Einfahrtsschranke für ein Elektro-Lastenrad. Lautlos rollt es vor eine abgeteilte Fläche, dann beginnt der Fahrer, Pakete in den Laderaum des Minitransporters zu laden. Die werden anschließend zu den Empfängern in der Hamburger Innenstadt ausgefahren.
Hamburgs Parkhaus der Zukunft: Drehscheibe der City-Logistik
Solche Mikrodepots sind aus Sicht von Niels Christ ein Teil der Antwort auf die Fragen, wie das Parkhaus der Zukunft aussehen wird, wie die von Firmen vermieteten Stellplätze in der Stadt auch anders genutzt werden können. Christ trägt bei Apcoa den Titel eines Group Director Urban Hubs. Man muss das so verstehen, dass er bei dem Parkhausbetreiber die Schaffung innerstädtischer Drehscheiben für Mobilität und Logistik vorantreibt. Apcoa betreibt europaweit etwa 13.000 Parkflächen, gut 2000 davon sollen in den nächsten Jahren umgestaltet werden.
Dass allein das Vermieten von Parkplätzen an Kurzzeit- und Dauernutzer auf Dauer kein zukunftsträchtiges Geschäftsmodell ist, hat nicht zuletzt die Pandemie gezeigt. In Zeiten von monatelang geschlossenen Geschäften und des Homeoffice standen viele Parkhäuser weithin leer. „Die Auslastung ist derzeit noch längst nicht wieder so hoch wie 2019“, so Christ.
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Mit der Einrichtung der sogenannten Urban Hubs wolle sich das Unternehmen auch ein weiteres Standbein schaffen – und schon jetzt handeln, bevor man dazu eines Tages womöglich gezwungen werde. Einfahrtsverbote für Privatfahrzeuge in Innenstädten sind eine – wenn auch noch ferne – Möglichkeit, auf die die Branche sich einstellen muss.
UPS liefert aus dem Parkhaus Pakete aus
In Hamburg betreibt Apcoa derzeit 18 Parkhäuser, bundesweit sind es gut 350. Der Standort am Gänsemarkt sei einer derjenigen, an denen der Wandel mit am weitesten fortgeschritten seien. „Wir haben hier den buntesten Mix“, sagt Christ. Neben dem Paketdienst UPS haben der Textilservice Mewa und der IT-Spezialist Bechtle sich dort eingemietet und Mikrodepots geschaffen, die ein- bis zweimal pro Tag von größeren Lkw angesteuert werden. Wie die UPS-Pakete werden Hotelwäsche, Arbeitskleidung und Computer-Hardware von dort per Lastenfahrrad an die Kunden in der Innenstadt ausgeliefert.
Der Paketdienst hatte bereits vor zehn Jahren das erste Mikrodepot in der City geschaffen. Mittlerweile werde der Großteil der Pakete auf der letzten Meile in der City per Lastenrad statt mit Autos transportiert, sagt UPS-Projektmananger Rainer Kiehl. Der Standort des Depots in einem Parkhaus hat aus seiner Sicht viele Vorteile. Bei UPS gibt es Pläne, Lastenräder auch in der HafenCity, im Schanzenviertel und in Winterhude einzusetzen. Das Depot am Gänsemarkt soll vergrößert werden.
Mehr Ladesäulen geplant
Mit der wachsenden Elektroautoflotte wird auch die Ladeinfrastruktur im Parkhaus Gänsemarkt ausgebaut. „40 bis 50 Ladesäulen werden hinzukommen. Die Installation von Schnellladepunkten wird noch geprüft“, sagt der Apcoa-Manager. Ein anderer wichtiger Service sind Mobilitätsangebote. Neben den E-Scootern und -Bikes stehen Carsharing- und Mietwagen eines großen Anbieters bereit.
Zudem markiert eine DHL-Paketstation den Wandel des Parkhauses zu einem innerstädtischen Servicezentrum. Niels Christ sieht Apcoa auf diesem Weg als „Branchenprimus“. In einem Parkhaus des Unternehmens am Flughafen Stuttgart ist künftig das fahrerlose Ein- und Ausparken von Autos möglich (siehe links unten).
Plan in Hamburg: Neue Wohnungen statt Autoparkplätze
Doch auch andere Betreiber arbeiten intensiv an dem Thema. So baut der Hamburger Einkaufscenter-Betreiber ECE derzeit vornehmlich die Lademöglichkeiten auf den dazugehörigen Parkflächen aus. In Hamburg etwa am Elbe- und am Alstertal-Einkaufszentrum.
„Auch zu weiteren Nutzungsmöglichkeiten wie zum Beispiel Mobilitätsservice-Stationen sind wir im ständigen Austausch mit den Anbietern und haben viele Ideen und Konzepte“, sagt ECE-Sprecher Lukas Nemela. Die genaue Umsetzung stehe noch nicht fest. Auch Mikrologistikdepots könne man sich an einigen Standorten vorstellen. „Allerdings sorgen gerade hierbei oftmals bauliche Themen oder die Anforderungen für Anlieferung und Abholung für einige Herausforderungen bei der Umsetzung.“
Bei dem Unternehmen im Besitz der Familie Otto wird sogar ganz grundsätzlich neu gedacht: Wohnungen statt Parkplätze und -häuser – wenn diese weithin ungenutzt sind. ECE-Chef Alexander Otto kündigte bereits 2019 – noch vor der Pandemie – an, man prüfe so etwas intensiv. Ebenfalls 2019 eröffnete ein auf dem obersten Parkdeck des Ring-Centers in Berlin errichtetes Hotel mit 150 Zimmern. Noch weitgehender sind die vor einigen Wochen bekannt gewordenen ECE-Pläne, am Elbe-Einkaufszentrum Wohnungen auf Parkflächen zu errichten. Erwogen wird dabei sogar, Park- durch Wohnhäuser zu ersetzen.
Regenschirm aus dem Automaten
Nemela spricht von „ersten Planungs- und Konzeptansätzen“, die sich in einer sehr frühen Phase befänden. Grundsätzlich kämen für das Konzept „Wohnen statt Parken“ Center-Standorte in Metropolregionen gut infrage, wenn denn dort aufgrund eines veränderten Mobilitätsverhaltens auf einen Teil der vorhandenen Parkplätze verzichtet werden kann. Das aber sei nur an einigen Standorten der Fall.
Bei Apcoa gibt es aus einem einfachen Grund noch nicht einmal Gedankenspiele um solch grundlegende Veränderungen: Das Unternehmen pachtet und betreibt Parkhäuser, besitzt die Immobilien aber nicht. Um den Standort Gänsemarkt – eine Stunde parken kostet 4,50 Euro – attraktiver zu machen, setzt Apcoa auch auf kleine Details: Vergessliche Nutzer können sich am Eingang einen Regenschirm aus dem Automaten ziehen.