Hamburg. Eigentümer müssen sich auf Abschläge von bis zu 35 Prozent einstellen. Diese sechs Faktoren beeinflussen den Hausverkauf.

Bis vor wenigen Monaten mussten sich Hamburger Immobilienbesitzer keine Sorgen machen. Sie besaßen eine Wohnung, ein Reihenhaus oder gar ein frei stehendes Einfamilienhaus, also Objekte, die von Jahr zu Jahr immer mehr an Wert gewannen.

Verkaufen? Abwarten war besser. Und wenn man doch verkaufte, konnte man sich die Käufer aussuchen, die mit dem Höchstgebot winkten. Ein Mittelreihenhaus in Hamburg erfuhr von 2011 bis 2021 laut amtlichem Gutachterausschuss eine Wertsteigerung von 145 Prozent.

Immobilien: Die Preise fallen, die Zinsen steigen

Doch diese Phase ist beendet. Fallende Preise und steigende Zinsen bestimmen jetzt den Immobilienmarkt und leiten eine Zäsur für private Immobilienverkäufer ein. Einen so raschen Wandel am Immobilienmarkt hat es seit den 1960er-Jahren noch nie gegeben, urteilen Immobilienexperten.

Wer 2023 seine Immobilie verkaufen will, muss sich auf ein Horrorjahr einstellen. Das sind die sechs Faktoren, die die Entwicklung des Immobilienmarktes beeinflussen werden.

1. Explodierende Nebenkosten

Schon bei der Besichtigung der Immobilie werden viele Dinge, die bisher im Vordergrund standen, zweitrangig: schön angelegter Garten, helle, gut geschnittene Räume, gute Lage. Statt über die netten Nachbarn von nebenan zu plaudern, müssen die Verkäufer liefern: Energieausweis, Verbrauchsdaten und Baujahr der Heizung.

„Während der energetische Zustand einer Immobilie bis zu diesem Frühjahr eine untergeordnete Rolle gespielt hat, ist er aufgrund der explodierenden Nebenkosten heute das Hauptthema“, sagt Andreas Gnielka, Geschäftsführer Wohnen von Grossmann & Berger. Mit dem Kauf einer Immobilie vergrößern sich in der Regel Wohn- und Heizfläche. Angesichts der Energiepreise wollen Käufer zuerst wissen, ob sie sich das neben steigenden Finanzierungskosten überhaupt noch leisten können.

Nach Berechnungen der Beratungsgesellschaft co2-online haben sich für Hausbesitzer mit Gasheizung die Kosten gegenüber dem Vorjahr um 65 Prozent erhöht. Ölheizungsnutzer müssen mit einer um 54 Prozent höheren Rechnung kalkulieren. Die staatlichen Entlastungen sind dabei zum Teil schon berücksichtigt.

2. Steigende Baufinanzierungszinsen

Einen so starken Zinsanstieg innerhalb so kurzer Zeit hat es bei Immobilienfinanzierungen noch nicht gegeben. Anfang des Jahres lagen die Konditionen für eine zehnjährige Zinsbindung knapp unter einem Prozent, aktuell sind es 3,60 Prozent.

Für einen durchschnittlichen Kredit der Hamburger über 442.000 Euro für die eigenen vier Wände mit zwei Prozent anfänglicher Tilgung mussten im Januar 1070 Euro im Monat bezahlt werden. Bei einer leicht reduzierten Kreditsumme im dritten Quartal (minus 12.000 Euro) liegen die Finanzierungskosten jetzt aber bei 2007 Euro im Monat, ein Plus von 87 Prozent.

Zwar sind die Zinsen in den vergangenen Wochen für alle Zinsbindungsfristen bis zu 20 Jahre wieder unter die Marke von vier Prozent gesunken. Für eine spürbare Entlastung der Immobilienkäufer reicht das aber nicht, und eine Zinswende ist das aus Sicht der Experten noch nicht. „Die Zentralbanken bekämpfen mit aller Macht die Inflation und nehmen auch Konjunkturrisiken in Kauf“, sagt Mirjam Mohr, Vorständin des größten Baugeldvermittlers Interhyp. „Insgesamt erwarten wir auch für 2023 einen leichten Aufwärtsdruck bei den Zinsen für Baugeld.“

3. Weniger Kaufinteressenten, längere Vermarktungszeiten

Nach Einschätzung von Grossmann & Berger sind die sogenannten Schwellenhaushalte als Käufersegment weggebrochen. „Das sind Haushalte, die sich bisher ein Reihenhaus am Stadtrand oder in der Peripherie leisten konnten, von den Banken aber nun keine Finanzierung mehr bekommen“, sagt Gnielka.

Neben den höheren Zinsen macht diesen Haushalten die steigende Inflation besonders zu schaffen. Die Banken haben die Lebenshaltungspauschalen um 150 bis 300 Euro pro Monat angehoben. Die Folge: Vom Haushaltsnettoeinkommen bleibt weniger für die Finanzierung der Immobilien-Kreditrate. Diejenigen, die noch kaufen können, lassen sich mit ihrer Entscheidung mehr Zeit und fordern Preisnachlässe.

„Die Verkaufsdauer von Wohnimmobilien generell hat sich von in der Regel weniger als drei Monaten im Jahr 2021 auf durchschnittlich sechs Monate im Jahr 2022 verlängert“, sagt Gnielka. Bei energetisch unsanierten Objekten könne der Verkauf teilweise noch länger dauern. „Ein Immobilienverkauf ist also kein Selbstläufer mehr. Je niedriger die Energieeffizienz eines Objektes, desto weniger Nachfrage und desto länger die Vermarktungsdauer. Das gilt besonders für große Häuser und solche, die nicht direkt an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sind.“

4. Fallende Immobilienpreise

Die Werthaltigkeit vieler Immobilien kann nur noch mit einer energetischen Sanierung erreicht werden. Das Beratungsunternehmen EY schätzt, dass bundesweit 80 Prozent aller Gebäude noch einmal saniert werden müssen, um die ehrgeizigen Klimaschutzziele zu erreichen.

Für die Hamburger Immobilienbesitzer hat die Stadtentwicklungsbehörde mit einem Gutachten die Kosten beziffert: 33 Milliarden Euro. Die Stadt kann nur einen kleinen Teil übernehmen – zunächst 210 Millionen in vier Jahren. EY kommt für die gesamte Bundesrepublik auf einen Wert von drei Billionen Euro – konservativ gerechnet. Diese Hypothek lastet künftig auf den Immobilienpreisen. Käufer werden hohe Abschläge fordern.

„Für Immobilien mit großem energetischen Modernisierungsbedarf sind nächstes Jahr Preisabschläge von bis zu 20 Prozent zu erwarten“, sagt Gnielka. „Stimmt neben der Energieeffizienz auch die Lage im erweiterten Speckgürtel nicht, kann der Abschlag dort bis zu 35 Prozent betragen. Damit liegen wir dann wieder auf dem Preisniveau von 2019/2020.“

Aktuell liegen die Preisabschläge nur im einstelligen Bereich (siehe Grafik). Besonders hoch fallen sie bei Einfamilienhäusern in den Kreisen Pinneberg, Segeberg, Steinburg und dem Heidekreis mit bis zu 4,5 Prozent im Vergleich zum zweiten Quartal 2022 aus. Außerdem liegen diesen Kaufpreisforderungen noch die Vorstellungen der Verkäufer zugrunde, die sich noch nicht auf die neuen Bedingungen eingestellt haben.

5. Steigende Grunderwerbsteuer

In Hamburg steigt im nächsten Jahr die Grunderwerbsteuer von 4,5 auf 5,5 Prozent. Ein Hauskauf über 750.000 Euro verteuert sich dadurch um 7500 Euro. Statt wie bisher 33.750 Euro müssen ab 1. Januar 41.250 Euro an die Finanzkasse überwiesen werden.

Wenn es bereits einen Käufer gibt, ist eine Immobilientransaktion in diesem Jahr noch umsetzbar. „Beurkundungstermine bei Notaren in Hamburg sind grundsätzlich noch verfügbar, aber Interessierte sollten aufgrund der hohen Zahl von Anfragen nicht noch bis Weihnachten warten“, sagt Georg Guntrum, Geschäftsführer der Hamburgischen Notarkammer.

Bei der Grunderwerbsteuer kommt es nach Auskunft der Finanzbehörde nicht auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Eintragung in das Grundbuch an. Vielmehr sei hier der Zeitpunkt des Abschlusses eines notariell beurkundeten Kaufvertrags entscheidend, sagt ein Behördensprecher. Außerdem setze Hamburg künftig darauf, dass der Bund „Ermäßigungstatbestände für den familiären Ersterwerb ermöglicht“.

6. Unsichere Ausweichstrategien

Noch schnell verkaufen oder abwarten?, fragen sich jetzt viele Immobilienbesitzer. „Das lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern kommt ganz auf die Situation des Eigentümers an“, sagt Gnielka. „Im Falle einer Scheidung, eines Erbfalls oder einer altersbedingten Flächenverkleinerung bietet sich unabhängig von der aktuellen Marktsituation häufig eher ein Verkauf an.“

Gemessen am einstigen Kaufpreis sei dann immer noch ein hoher Wertgewinn realisierbar, sofern das Objekt nicht innerhalb der letzten zwei Jahre erworben wurde. „Wenn keine finanzielle Not besteht, kann es ratsamer sein, die Immobilie zu halten, in ihren energetischen Zustand und so in ihre Wertsteigerung zu investieren und damit für das Alter vorzusorgen“, so Gnielka.

Nach der Studie von EY sind heute Kosten von 800 bis 1500 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche für neue Fenster, Dächer, Fassadendämmung und eventuell eine neue Heizung üblich. Für ein 120-Quadratmeter-Haus sind das Investitionen von bis zu 180.000 Euro.

Außerdem muss berücksichtigt werden, was Hamburg von Immobilieneigentümern künftig fordert. Wer in Hamburg auf seinem Haus ab 2025 das komplette Dach erneuert, muss eine Fotovoltaikanlage darauf errichten. Schon jetzt kann eine alte Gasheizung nicht einfach durch eine neue ersetzt werden. Sie muss mit erneuerbaren Energien wie einer Solarthermieanlage zur Warmwassererzeugung kombiniert werden. Künftig müssen fossile Heizungen wohl durch eine Wärmepumpe ersetzt werden, was bei Altbauten weitere Modernisierungen von Fenstern und Fassade nach sich ziehen wird.

Ob sich das beim Verkauf auszahlt, lässt sich nicht vorhersagen. Gnielka: „Deshalb kann das Halten eines Objektes auch ein Risiko bedeuten.“