Hamburg. Hamburger Café-Betreiberin Alexandra Lübeck kommt finanziell kaum noch über die Runden. So wie ihr geht es vielen.

60 Stunden Arbeit in der Woche für 1000 Euro netto im Monat. Was klingt wie ein schlechtes Geschäft, ist aber seit ein paar Monaten Alltag für Alexandra Lübeck. Die 48-Jährige ist Inhaberin des Cafés Barmbeker Herzstück und zahlt ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aktuell mehr aus als sich selbst.

„Es geht nun mal nicht anders. Ich fühle mich aber immer zu Hause, wenn ich meinen Laden betrete.“ Ihre Lebenshaltungskosten kann die Café-Betreiberin mit ihrem Gehalt trotzdem nicht mehr bedienen. Vor drei Monaten sei das noch ganz anders gewesen, wie sie sagt.

Hamburg: Inflation und Energiekrise sorgen für Verzweiflung

Mit dieser Situation ist Alexandra Lübeck nicht allein. Immer mehr Hamburgerinnen und Hamburger wissen aufgrund der Inflation und vor allem der gestiegenen Energiekosten nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Sichtbar wird das zum Beispiel auf Facebook.

In manchen Gruppen bitten verzweifelte Hamburgerinnen und Hamburger um Lebensmittel-, Sach- oder Geldspenden. Meist beginnen diese Nachrichten mit „Mir ist es zwar unangenehm, aber …“ oder „Hallo, ich trau mich jetzt einfach mal“. Für viele scheint die finanzielle Not so groß zu sein, dass die Hemmschwelle, darüber öffentlich zu sprechen, sinkt.

Auch die öffentlichen Schuldnerberatungen bekommen das zu spüren. Catrin Sternberg, Leiterin der Schuldnerberatung der Diakonie Hamburg, bemerkt eine verschärfte Problemlage: „Normalerweise melden sich Menschen bei uns, die überschuldet sind und nicht wissen, wie sie ihre ausstehenden Kosten begleichen sollen. Jetzt melden sich aber zusätzlich Menschen bei uns, die ihre alltäglichen Kosten schon nicht mehr bedienen können.“

Vielen fehlt es an Geld für Lebensmittel

Ihnen fehle es bereits an Geld für die Dinge des täglichen Lebens wie Hygieneartikel, Kleidung oder Lebensmittel. Viele Klienten könnten ihr Einkommen und die gestiegenen Ausgaben so schnell nicht in Einklang bringen und seien „deutlich verzweifelter“, so Sternberg. Wie das Abendblatt bereits berichtete, nimmt die Stadt nun 15 Millionen Euro in die Hand, damit niemand im Dunkeln sitzen muss.

Das Geld ist Teil des sogenannten Härtefallfonds und soll denjenigen zukommen, die ihre Energieabschläge nicht bezahlen können und deshalb eine Energiesperre befürchten müssen. Zuständig für die Prüfung und die Beantragung der Gelder sind seit diesem Monat Sternberg und ihre Kollegen.

„Die Anzahl unserer Klienten ist noch nicht signifikant gestiegen. Wir erwarten aber ab Januar mit den anstehenden Heiz- und Stromkostenabrechnungen eine erhöhte Nachfrage“, sagt Sternberg.

Schuldnerberatungen stocken Personal auf

Auch das Deutsche Rote Kreuz, das ebenfalls eine Schuldnerberatung anbietet, geht mit Beginn des neuen Jahres von einem „massiven Anstieg“ an Ratsuchenden aus. Um diesen Andrang zu bewältigen, stocken die öffentlichen Schuldnerberatungen bereits ihr Personal auf, wie die Sozialbehörde dem Abendblatt bestätigt. Mindestens eine zusätzliche Teilzeit-Verwaltungskraft werde pro Beratungsstelle zur Verfügung gestellt – das sind rechnerisch insgesamt fünf weitere Vollzeitstellen.

„Um den Aufwand dieser zusätzlichen Aufgabe bewältigen zu können, zahlt die Behörde den Beratungsstellen eine Prüfpauschale pro Förderfall“, sagt Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde. Doch wird das reichen?

Nicht jeder hat Anspruch auf Geld aus Härtefallfonds

Das Rote Kreuz hat bereits Stellenanzeigen für Insolvenz- und Schuldnerberater geschaltet. Gesucht werden Sozialpädagogen und Sozialarbeiter, die als „Allrounder“ einspringen können. Doch die Hürden, um das Geld aus dem Härtefallfonds zu bekommen, sind relativ hoch: Haushalte, die bestimmte Sozialleistungen beziehen, etwa nach SGB II, SGB XII oder AsylBLG, sind ausgenommen.

Sie sollten sich bei einer drohenden Energiesperre an die für sie zuständige Stelle wenden, etwa das Jobcenter. Ebenfalls darf ein Schonvermögen von 4000 Euro nicht überschritten werden. Wer prüfen will, ob er Anspruch auf Mittel aus dem Härtefonds hat, kann das im Voraus im Internet unter der Adresse www.hamburg.de/haertefallfonds tun.

Darüber hinaus erhalten nur diejenigen Unterstützung, die bereits eine Ankündigung für eine Stromsperre mit konkretem Sperrdatum erhalten haben.

Stromabschlag hat sich extrem erhöht

So weit ist es bei Alexandra Lübeck zwar noch nicht. Jedoch schafft die Hamburgerin es derzeit nur Dank der Hilfe ihres berufstätigen Mannes, alle Rechnungen zu bezahlen, sagt sie. Allein Lübecks Stromabschlag hat sich von 450 Euro auf 1342 Euro pro Monat erhöht und damit mehr als verdreifacht. Ebenso sind die Einkaufspreise für die Lebensmittel, die Lübeck für ihr Frühstücks- und Mittagsangebot benötigt, um 500 Euro gestiegen.

Von 1300 auf 1800 Euro. „Um gut über die Runden zu kommen, brauche ich einen Umsatz von etwa 30.000 Euro“, so Lübeck. Um alle Kosten decken zu können, aber mindestens 24.000 Euro.

Darin enthalten sind unter anderem die Miete von knapp 2600 Euro für ihr knapp 130 Qua­dratmeter großes Café, Versicherungsprämien, rund 7500 Euro an Lebensmittelkosten sowie die Mitarbeitergehälter. Insgesamt beschäftigt die Hamburgerin drei Festangestellte sowie sechs Aushilfen.

Inflation: "So eng war es bei mir noch nie"

Umgerechnet muss Lübeck also mindestens 800 Euro pro Tag umsetzen. An diesem Freitagnachmittag im November sind es um 15 Uhr jedoch gerade einmal 550 Euro. „Ich bin jetzt seit 35 Jahren in der Gastronomie tätig, aber so eng war es bei mir noch nie“, sagt Lübeck.

Um Geld zu sparen, habe sie bereits ihrem Koch gekündigt. Dadurch dass die Hamburgerin ihr Café jedoch kurz vor der Corona-Pandemie eröffnet hat, sei sie finanziellen Stress gewohnt und besitze auch großes Durchhaltevermögen. „Solange es irgendwie geht, mache ich hier weiter. Dafür hängt mein Herz zu sehr daran.“