Hamburg. In den Gewächshäusern in den Vier- und Marschlanden blüht es auch bei Minusgraden. Doch die Betriebskosten steigen immer stärker.

Um acht Uhr ist es draußen noch ziemlich dunkel. Im Gewächshaus 2 brennt schon länger Licht. Günter Knoblauch und sein Sohn Gerrit stehen zwischen den hüfthohen Beeten inmitten ihrer Tulpenzucht. Die Hochsaison in dem Gartenbaubetrieb in den Vier-und Marschlanden hat begonnen. Rosa, rot, weiß, gelb und orange – in vielen Farben ragen bunte Knospen aus dem grünen Blättermeer. Mehr als hunderttausend Pflanzen wachsen hier auf 350 Quadratmetern in einer Wasser-Nährstoff-Lösung. Es herrschen frühlingshafte Temperaturen.

Früh morgens werden immer als erstes „Tulpen gezogen“. So nennt man es, wenn die Pflanzen, die gerade anfangen ihre Blüten zu entfalten, geerntet und für den Verkauf auf dem Blumengroßmarkt vorbereitet werden. Das ist noch richtige Handarbeit. Bis zu zwölftausend Tulpen sind es pro Tag, sieben Mal die Woche. „Und trotzdem sind es oft zu wenig, weil wir noch mehr verkaufen könnten“, sagt Juniorchef Gerrit Knoblauch und lädt den nächsten Arm voller Tulpen vorsichtig auf einer Schubkarre ab.

Blumen: Hamburgs Tulpenzüchter freuen sich über hohe Nachfrage

Pünktlich zum Jahresbeginn steigt auch die Lust der Deutschen auf die bunten Frühlingsboten. Tulpen, Narzissen, Primeln und Stiefmütterchen sind inzwischen überall in Hamburg zu bekommen. Seit Beginn der Corona-Pandemie ist die Nachfrage sogar noch gestiegen und anders als im Frühjahr 2020 und zu Beginn des Frühjahrs 2021 stehen die Chancen aktuell gut, dass Blumenläden und Gartencenter nicht wieder im Lockdown schließen müssen.

Die Knoblauchs sind auf Tulpen spezialisiert. Sie heißen Ad Rem, Flash Point, Flaming Prince, Escape oder Dow Jones, insgesamt 120 verschiedene Sorten wachsen bis Ostern in wöchentlichen Intervallen in ihren Gewächshäusern heran. „Die Vielfalt ist die große Stärke der Tulpe“, sagt Günter Knoblauch. Beste Aussichten auf gute Geschäfte also. Aber bei den Hamburger Gärtnern mehreren sich neue Sorgen wegen gestiegener Rohstoffpreise. Vor allem die deutlich höheren Energiekosten und die angehobene CO2-Steuer machen vielen Betrieben zu schaffen. Die ersten haben deshalb bereits mit Preiserhöhungen reagiert.

In den Gewächshäusern müssen mindestens 15 Grad herrschen

Auch die Knoblauchs beheizen ihre Gewächshäuser für die Tulpenaufzucht. Mindestens 15 Grad müssen es sein, damit die Pflanzen sich entwickeln – auch wenn draußen Minustemperaturen herrschen. Die armdicken Heizrohre verlaufen unter der Decke des Hauses, in dem Vater und Sohn an diesem Morgen zusammen mit zwei Mitarbeiterinnen beschäftigt sind.

Das Familienunternehmen war vor knapp 100 Jahren gegründet worden, anfangs als Gemüsebetrieb. Heute werden auf einer Fläche von gut 9000 Quadratmetern am Curslacker Neuen Deich Tulpen und Rosen – zwei von drei der absoluten Lieblingsblumen der Deutschen – in zwei Dutzend Gewächshäusern und Freiflächen angebaut – ohne Pflanzenschutzmittel. Fünf bis sieben Wochen dauert es von der Zwiebel bis zur Blüte. „Die hohen Energiekosten sind ein Problem“, sagt Günter Knoblauch. „Aber wir sind nicht ganz so stark betroffen wie andere Gartenbaubetriebe, weil die Flächen für den Tulpenanbau vergleichsweise gering sind.“

Kosten steigen im Hamburger Familienbetrieb immer schneller

Der 62-Jährige hatte den Familienbetrieb 1997 von seinem Vater übernommen. Mit Sohn Gerrit ist inzwischen die fünfte Generation im Betrieb. Schon jetzt merkt das Duo die steigenden Kosten. Denn auch die Tulpenzwiebeln, Kraftstoff, Verpackungsmaterial und die Lohnkosten sind höher als noch vor einem Jahr. „Wir müssten eigentlich unsere Preise bis zu fünf Cent erhöhen“, sagt der 32-jährige Gartenbaumeister. Derzeit bekommen sie je nach Sorte zwischen 25 und 60 Cent pro Tulpe.

Die Endpreise im Laden sind in der Regel doppelt zu hoch, also zwischen fünf und in besonderen Fällen sogar zwölf Euro pro 10-er-Bund. Vor allem bei einfachen Tulpensorten seien die Kunden aber nicht bereit, mehr zu zahlen. Das liegt auch an der starken Konkurrenz aus den Niederlanden, die ihre Tulpen bisher mit subventionierten Gaspreisen und unter anderen Bedingungen etwa beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln günstiger anbieten können.

Gestiegene Kosten: "Es kann sein, dass wir im Winter nicht mehr produzieren"

Deutlich angespannter ist die Lage in dem Gartenbaubetrieb von Stefan und Michael Eggers nicht weit entfernt am Neuengammer Hausdeich. „Wir züchten vor allem Gerbera und die brauchen mindestens 16 bis 17 Grad. Außerdem müssen sie in den Wintermonaten belichtet werden“, sagt Michael Eggers. Gemeinsam mit seinem Vater bewirtschaftet er einen Hektar Gewächshausfläche. Da kommt ordentlich was an Energiekosten zusammen.

Genau beziffern kann Eggers die Höhe noch nicht, da die Verträge mit den Energieversorgern teilweise noch laufen. Der Familienbetrieb hat die Preise bereits einmal angehoben. Statt 60 bis 70 Cent für eine Gerbera nehmen die Eggers mittlerweile 80 Cent. „Die Nachfrage im vergangenen Jahr war gut, deshalb ging das“, sagt der Juniorchef. Aber die Spirale lasse sich nicht endlos weiterdrehen. Jetzt sieht er mit Bangen auf die Entwicklung in diesem und im nächsten Jahr, wenn in dem Betrieb zudem die erhöhte CO2-Steuer fällig wird. „Es kann sein, dass wir dann im Winter nicht mehr produzieren, weil es sich finanziell nicht lohnt.“

Erzeuger müssten Preise eigentlich erhöhen – fürchten aber Reaktion der Kunden

Noch lässt sich nicht vorhersagen, wie sich die Kauflaune entwickelt. Die Corona-Pandemie hat dem Markt für Blumen und Zierpflanzen nach Angaben der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) ein deutliches Umsatzwachstum von gut neun Prozent im Vergleich zu 2020 auf zehn Milliarden Euro beschert. „Aber jetzt steht die Branche vor dem Problem, dass die Verbraucher feste Schwellenpreise im Kopf haben. Das trifft auf Beet- und Balkonpflanzen und zum Teil auch auf frische Schnittblumen zu“, sagt AMI-Expertin Britta Tröster.

Angesichts der gestiegenen Kosten für Betriebsmittel müssten die Erzeuger die Preise eigentlich erhöhen. „Aber im Moment scheuen sich noch viele, weil sie nicht wissen, wie die Kunden reagieren. Das ist eine Herausforderung.“ Nach einer Stichprobe des Abendblatts variieren die Preise etwa für Tulpen erheblich. Im Supermarkt oder Discounter gibt es einen Bund schon für 1,99 Euro. Im Blumenfachgeschäft können es je nach Sorte 5,99 Euro und mehr sein.

„Die Preise müssen auch in diesem Jahr steigen“, sagt Andreas Kröger, Präsident des Wirtschaftsverbands Gartenbau Nord. Der 57-Jährige betreibt eine Zierpflanzengärtnerei in Kirchwerder, in der er vor allem Stiefmütterchen und Primeln für Garten und Balkon anbaut. Wichtiger als die explodierenden Energiekosten ist für ihn, dass Substrate und Torf um 30 Prozent teurer geworden seien – ebenso wie die Plastik-Blumentöpfe. Bislang hat er von den 45 bis 49 Cent, die ein Stiefmütterchen im Laden kostet, 23 bis 25 Cent erhalten. „Um über die Runden zu kommen, müssten die Preise im Schnitt um zehn Prozent steigen“, sagt der Verbandschef. „Wenn sich das nicht durchsetzen lässt, wird es für einige Betriebe schwierig.“

Tulpe heißt wie Aktienindex: "Was habt ihr noch an Dow Jones da?"

Im Gewächshaus 2 bei den Knoblauchs haben sich die Tulpenreihen inzwischen deutlich gelichtet. „Was habt ihr noch an Dow Jones da“, fragt Mitarbeiterin Sabine Lange über die Beete nach einer Sorte, die nach dem amerikanischen Aktienindex benannt ist. Dann fährt sie die letzte Schubkarre für diesen Tag durch das Tor. Auch die anderen Gewächshäuser sind abgeerntet. In einem Nachbargebäude steht Kollegin Laura Jark jetzt an einer Maschine und legt jede Tulpe einzeln auf das Band – zum „Abzwiebeln“, wie sie es nennt. Danach werden die Blumen gebunden und verpackt. Jeder in dem Familienbetrieb hat seine festen Aufgaben. Junior Gerrit Knoblauch ist neben dem Tagesgeschäft für die Zukunft zuständig. „Wir versuchen, die Aufzuchtbedienungen und die Arbeitsabläufe immer weiter zu vereinfachen“, sagt er. So sollen Kosten gesenkt werden, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Am nächsten Morgen um halb eins holt Seniorchef Günter Knoblauch sie aus dem Kühlhaus und fährt mit einem Transporter voller Tulpen zum Großmarkt und bietet seine Waren wie schon seit nunmehr 25 Jahren an Stand 216 an. „Wir verkaufen an Händler zwischen Flensburg und Braunschweig, natürlich auch in Hamburg“, sagt er. Viele Blumenläden sind seit Jahren Stammkunden, trotz der deutlich günstigeren Konkurrenz aus den Niederlanden. Wenn er wieder zurück ist am Curslacker Deich, geht in den Gewächshäusern das Licht schon bald wieder an. Die nächsten Tulpen sind bereit zur Ernte.