Hamburg. Dreieinhalb Jahre reifte die in Bahrenfeld gebrannte Spirituose im Eichenfass. Jetzt gibt es sie zu kaufen. Zum ungewöhnlichen Preis.

Es ist der Tag, auf den Thorsten Frerichs mehr als drei Jahre gewartet hat. Genauer gesagt: drei Jahre, sieben Monate und gut zwei Wochen. Am 1. April 2019 hatte der Hamburger in seiner Destillerie eine Maische aus Gerstenmalz dreifach destilliert und mehr als 170 Liter glasklare Flüssigkeit mit einem Alkoholgehalt von über 60 Prozent in ein Fass gefüllt.

Nun wird sich zeigen, wie der einzige in Hamburg gebrannte und gereifte Single Malt Whisky riecht, wie er schmeckt, welche Farbe er hat. An diesem Tag Mitte November beginnt die Abfüllung.

Dass er der einzige Whiskyhersteller in der Hansestadt ist, daran hat Branchenkenner Frerichs keinerlei Zweifel. „Ich weiß von keinem anderen.“ Auch der Zöllner nicht, der regelmäßig in der Verschlussbrennerei in Bahrenfeld vorbeischaut. „Und der muss es wissen. Er ist für alle Hamburger Destillerien zuständig.“

Vermutlich der erste Whisky aus Hamburg

Beim Verband Deutscher Whiskybrennereien gilt die Hansestadt bislang ebenfalls als weißer Fleck auf der Landkarte der deutschen Destillerien. Es spricht sogar sehr viel dafür, dass Frerichs’ Whisky tatsächlich der Erste überhaupt ist, der jemals in der Stadt produziert wurde.

Der 38-Jährige hat inzwischen den Verschluss des Eichenfasses von Fass 1 aus 2019 geöffnet und mehrere Liter durch ein Sieb in einen Metalleimer laufen lassen. Dann beginnt das Messen, Rechnen, Wiegen. Wie hoch ist der Alkoholgehalt? Wie viel entmineralisiertes Leitungswasser muss man zugeben, um die 64,73 Prozent auf die gewünschte Trinkstärke von 45 Prozent zu reduzieren? Wie viel Gramm der Spirituose passen in die Halbliterflasche?

Jede Whisky-Flasche ist handnummeriert

Die erste davon füllt er vorsichtig per Hand und schreibt danach zwei Zahlen auf das rückwärtige Etikett: Fass 1, Flasche 1. Nach dem Verkorken wirkt der Hamburger Whiskymacher ein bisschen ergriffen und sehr glücklich. „Es ist ein wirklich geiles Gefühl nach der ganzen Arbeit, die da drinsteckt“, sagt er.

Bis vor einigen Jahren hatte der Diplomkaufmann mit Studienschwerpunkt Wirtschaftsrecht und Finanzen von all dem wenig Ahnung. Auch heute noch berät er Firmen in Vertragsangelegenheit. Seit 2015 ist Frerichs aber zugleich Gastronom. Da eröffnete er die Bar Clockers auf St. Pauli.

Der wohl erste jemals in Hamburg gebrannte Whisky lagerte seit 2019 in einem ehemaligen Bourbon-Fass. Verkauft wird er in einer 0,5-Liter-Flasche.
Der wohl erste jemals in Hamburg gebrannte Whisky lagerte seit 2019 in einem ehemaligen Bourbon-Fass. Verkauft wird er in einer 0,5-Liter-Flasche. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Drei Jahre später kam das Drilling hinzu. Das ist tagsüber Café, abends Bar und zwischen den rauen Backsteinwänden im ehemaligen Gaskraftwerk der Marzipanfabrik am Friesenweg ist zudem genug Platz für Destillerie und Fasslager. „Zuerst hat mich interessiert, was in den Spirituosen, die wir ausschenken, alles drin ist und wie sie produziert werden. Dann kam die Idee, sie selbst herzustellen. Spirituosen aus aller Welt hierherzuholen, das muss ja nicht sein“, sagt Frerichs.

„Whisky und Rum sind viel spannender als Gin“

Korn, Wodka, diverse Liköre, Obstbrände und -geiste, Gin wird oder wurde im Drilling schon produziert. Überwiegend aus regionalen Rohstoffen. „Wir haben 70 unterschiedliche Produkte“, sagt Frerichs, der die Herstellung mit Vertriebschef Gunnar Kaack managt. „Hamburgs erster weißer Rum“ ist bereits auf dem Markt.

„Whisky und Rum sind viel spannender als Gin, und es ist viel komplizierter, sie herzustellen“, weiß Frerichs. Er wollte das „einfach auch mal hinkriegen“, beriet sich mit dem Braumeister von Ratsherrn. „Der ist Brite und kennt sich aus.“ Die ersten Produktionsschritte beim Bierbrauen und beim Whiskybrennen sind identisch. Anfangs bezog Frerichs die Maische sogar von der Brauerei im Schanzenviertel, inzwischen setzt er sie selbst an.

Süßlich-vanillig im Geschmack

Was dann aus der Brennanlage fließt, wird New Make oder New Spirit genannt und in ein Eichenfass gefüllt, in dem zuvor fast immer eine andere Spirituose oder Wein reifte. Die Hamburger entschieden sich für die geläufigste Variante: ehemalige Bourbonfässer aus den USA. Dort schreiben sie nicht nur Whiskey, sondern brennen ihn vorwiegend aus Mais. Ein Whisky aus dem Ex-Bourbon-Fass schmeckt zumeist süßlich-vanillig und ist bernsteinfarben. Das ist bei der Drilling-Premierenabfüllung nicht anders.

Thorsten Frerichs ist auch Gastronom in Hamburg.
Thorsten Frerichs ist auch Gastronom in Hamburg. © Funke Foto Services | Roland Magunia

Insgesamt zwei Fässer hatte Frerichs im April 2019 befüllt, auf Flaschen gezogen hätte er den Inhalt am liebsten schon in diesem Frühjahr kurz nach Ablauf der dreijährigen Mindest-Fassreifezeit. Doch Flaschen und Korken haben derzeit ex­trem lange Lieferzeiten, die Etiketten sind erst am Vortag in Bahrenfeld angekommen. „Single Malt“ und „Single Cask“ steht drauf, was bedeutet, dass der Whisky aus nur einer Malzart destilliert und aus nur einem Fass abgefüllt wurde.

89,90 Euro für 0,5 Liter Whisky aus Hamburg

Weil sich nach den letztlich mehr als dreieinhalb Jahren Lagerzeit zwischen sechs und zehn Prozent des Inhalts verflüchtigt haben, rechnet Frerichs sicherheitshalber nur mit einer Ausbeute von jeweils 348 Halbliterflaschen pro Fass. Seit Ende vergangener Woche sind die ersten im Drilling-Onlineshop zu haben. Preis: 89,90 Euro.

Das ist ambitioniert für einen so jungen deutschen Whisky – und trotzdem an sich noch zu wenig. „Selbst 120 Euro würden nicht die gesamten Kosten decken“, sagt Vertriebsmanager Gunnar Kaack. Andererseits: Es gibt Enthusiasten, denen bei der Erstabfüllung aus einer neuen Destillerie der Preis nicht so wichtig ist. Thorsten Frerichs ist überzeugt, dass er auf dem Dreijährigen nicht sitzen bleiben wird. Das Interesse in der Szene sei groß, es gebe Vorbestellungen, sagt er.

Gewiss ist, dass der erste Hamburger Whisky nicht der einzige und letzte aus Bahrenfeld sein wird. 2020 und 2021 wurden jeweils zwei weitere Ex-Bourbon-Fässer mit frischem Destillat befüllt, in diesem Jahr sogar schon acht. Zudem reift bereits der erste Drilling-Whisky aus getorftem Malz. Bei Frerichs und Kaack wächst die Experimentierfreude.

Gedankenspiele ranken sich um Rye-Whisky aus Roggen, die Produktion eines Bourbon, einen Konfigurator mit dem Kunden auswählen, welche Art von frischem Destillat in welchem Fasstyp zu ihrem eigenen, ganz exklusiven Whisky reifen soll. Dem Hang nach Individualität trägt schon die erste Drilling-Abfüllung Rechnung. Käufer können im Onlineshop auswählen, welche Flaschennummer sie haben möchten.