Hamburg. Nach Craft-Brauern kommen Craft-Brenner. Sie machen Schnaps mit Dill und Petersilie – und jetzt den ersten Hamburger Single Malt.
Vor wenigen Jahren waren es kleine, innovative Brauereien, die in Hamburg wie Pilze aus dem Boden schossen, und dem Bier neue, ungewöhnliche Geschmacksnoten verliehen. Jetzt sind es Destillerien und Brennereien, die sich in der Hansestadt etablieren. Nach den Craft-Brauern kommen die Craft-Brenner und -Destillateure, die meist eher kleine Mengen feiner Brände und Geister kreieren, Gin, Korn, Likör herstellen – und neuerdings sogar Rum und erstmals Whisky mit regionalen Wurzeln brennen.
„Wir machen ein Produkt in Hamburg, für Hamburg und mit regionalen Zutaten“, sagt Rainer Hosie. Der Sohn des legendären Hamburger Spirituosen-Importeurs Charles Hosie (u.a. Bacardi) machte einst Karriere als Wirtschaftsanwalt, belebte vor einigen Jahren das Importgeschäft seiner Vorfahren neu. Nun hat er gemeinsam mit dem Destillateur Mario Gallone die Nordcraft Destillerie gegründet. Am Donnerstagabend wurde in einem ehemaligen Lagerraum in einem Hinterhof an der Holstenstraße Einweihung gefeiert.
Ein Kräuterdestillat mit 25 Botanicals
Dort stehen vier kupferglänzende Destillationsapparate mit einer Kapazität zwischen 20 und 150 Litern. Gut ein Jahr hat es gedauert, bis alle Behördenbedenken gegen die Verarbeitung von Alkohol im Umfeld von Wohnungen und kleinen Firmen ausgeräumt waren. Inzwischen sind 1000 Flaschen der ersten Nordcraft-Spirituose produziert und abgefüllt worden.
Es ist ein Klarer, seine Macher nennen ihn „Botanical Spirit“ – seinen Geschmack bezieht der 43-Prozenter aus Dill, Gurken, Petersilie und Koriander aus den Hamburger Marschlanden. Sowie aus 21 anderen Gewürzen wie Kümmel, Rosenblätter, Kardamom, Lavendelblüten, Veilchenwurzel, rosa Pfeffer und Piment, die Mario Gallone bei der Herstellung verarbeitet.
Mit Altonas weichem Wasser
Wacholder gehört nicht dazu – deshalb ist es kein Gin. „Wir wollten ganz bewusst nicht noch einen Gin machen“, sagt Rainer Hosie. Sondern einen Schnaps, der mit viel Handarbeit und mit Zutaten aus der Region hergestellt wird. „Nur in Hamburg gibt es professionellen Kräuteranbau im Stadtgebiet.“ Und Gallone betont: „Wir wollten unbedingt nach Altona.“ Weil dort das besonders weiche Heidewasser aus den Leitungen fließt.
Die Herstellung des Botanical Spirit allerdings unterscheidet sich kaum von der von Gin. Nordcraft bezieht 96-prozentigen Alkohol von großen Brennereien, die ihn aus Getreide herstellen. Er wird mit dem weichen, bei Nordcraft komplett entmineralisiertem Heidewasser auf 50 Prozent verdünnt. Dann lässt Gallone Gemüse und Gewürze ihre Aromen an das Alkohol-Wasser-Gemisch weitergeben, destilliert erneut. Die Kunst dabei ist die Mischung der Botanicals, die Dauer der sogenannten Mazeration – und nur den Alkohol zu verwenden, der auch wirklich bekömmlich ist. Dann kommt wieder weiches Wasser hinzu. „In diesem Jahr wollen wir 10.000 Flaschen verkaufen“, sagt Rainer Hosie.
Eine Flasche für 34,99 Euro
Die Preisempfehlung lautet 34.99 Euro für 0,7 Liter. Fachhändler wie Weinquelle Lühmann und Weinhaus Gröhl haben den ersten Nordcraft ins Sortiment genommen, die Speicherstadt Kaffeerösterei und die Hobenköök ebenso. Beim für regionale Innovationen besonders aufgeschlossen Rewe-Markt Stanislawaski & Laas in Winterhude haben Hosie und Gallone zudem schon ein Bein im Lebensmittelhandel. Und noch in diesem Jahr sollen weitere Nordcraft-Produkte auf den Markt kommen. „Wermut, Aquavit, Gin – es gibt viele Ideen. aber was passieren wird, verraten wir nicht“, sagt Rainer Hosie.
Nordcraft ist derzeit wohl die Destillerie mit der größten Brennkapazität in der Stadt, aber sie ist nicht die einzige. Die Macher von Gin Sul, der äußerst erfolgreichen Gin-Marke aus Hamburg, veredeln ebenfalls Alkohol. Und in Bahrenfeld wird er sogar komplett hergestellt. „In diesen Tagen brennen wir erstmals Whisky, in den vergangenen Wochen war es Rum“, sagt Thorsten Frerichs, Inhaber der Bar Clockers auf dem Kiez und des Drilling am Friesenweg.
Das Lokal in der ehemaligen Marzipanfabrik ist tagsüber Café, nachts eine Bar – und zugleich Hamburgs einzige sogenannte Verschlussbrennerei. Dort wird – unter den gestrengen Augen des Zolls – seit dem vergangenen Jahr Hochprozentiges wie Clockers Gin und der Kräuterlikör Clockers Herb von A bis Z selbst hergestellt. Erstmals seit 1980, wie der Zoll den Machern bestätigt hat. Damals wurde die zuvor letzte Brennerei in der Stadt aufgegeben.
Ratsherren liefert den Whisky-Grundstoff
Frerichs und sein Brennmeister wagen sich jetzt in einer ungewöhnlichen Kooperation an die finanziell aufwendige Königsdisziplin der Spirituosenherstellung: Single Malt Whisky. Womöglich ist es der erste Hamburger Whisky überhaupt. Dass sich jemals zuvor ein Brenner in der Hansestadt die Spirituose mit schottischen Wurzeln hergestellt hat, ist zumindest nicht überliefert.
Die Ratsherren-Brauerei hat unlängst die ersten 4000 Liter des sogenannten Wash an das Drilling geliefert. Es ist eine Vorstufe von Bier aus Wasser und gemälzter Gerste, aber ohne Hopfen, mit einem noch geringen Alkoholgehalt. Daraus wird im Drilling mehr als 60-prozentiger Alkohol gebrannt. „Die beiden ersten Fässer mit je 220 Liter sind bereits gefüllt“, sagt Frerichs. Frühestens nach drei Jahren Reifung im Eichenfass wird er das Destillat als Whisky verkaufen dürfen.
Es ist ein Geschäftsmodell, das einen langen Atem und hohe Anfangsinvestitionen erfordert - und oft erst nach Jahren Einnahmen bringt. Frerichs hat Fässer gekauft, in denen zuvor Bourbon-Whiskey reifte, rauchiger schottischer Whisky oder spanischer Sherry. In einem kühlen Backsteinkeller wird in ihnen der künftige Hamburger Whisky lagern, reifen und Geschmack gewinnen. Etwas Geld kommt aber doch schon herein: Frerichs hat bereits ganze Fässer voll künftigem Hamburg Whisky an private Investoren verkauft, die ihn in seinen Kellern lagern.
Führungen, Tastings, Events
Ohnehin ist die Herstellung und Vermarktung der eigenen Spirituosen nur ein Teil des Geschäftsmodells. Die durch eine Wand aus Sicherheitsglas vom Gastraum getrennte Brennerei macht das Drilling zur Erlebnisgastronomie, auch Nordcraft wird zeitweise für Kunden geöffnet sein. Beide Destillen bieten Führungen, Verkostungen, Events an. Und in beiden können sich Kunden, die bereit sind, eine größere Zahl von Flaschen abzunehmen, eine eigene Spirituose kreieren, produzieren und abfüllen lassen.
Womöglich wird auch mancher von den zahlreichen Gins und Korns, die mit ihrem Namen eine regionale Herkunft aus der Hansestadt vorgeben, künftig tatsächlich in Hamburg hergestellt. Bislang werden sie ganz überwiegend in Destillerien außerhalb der Stadt produziert. „Es hat bereits Anfragen gegeben“, sagt Thorsten Frerichs. Er ist für solche Fremdproduktionen ebenso offen wie die Nordcraft-Macher.
Wann der erste Hamburg Whiskyabgefüllt wird, ist derweil noch offen. Frühestens im Frühjahr 2022 – aber nur, wenn er dann schon schmeckt. „In jedem Fall wollen wir auch einen 15-Jährigen auf den Markt bringen“, sagt Frerichs. Das wäre dann im Jahr 2034. Bis dahin allerdings ist wohl mindestens ein Drittel des Fassinhalts verdunstet.