Hamburg. Der Hamburger Händler verfolgt strengere Klima- und Umweltziele. Dabei spielt das Thema für die Kunden kaum eine Rolle.
In Bramfeld zerbricht man sich bereits länger den Kopf über Umweltthemen, der Gedanke an ein nachhaltiges Wirtschaften hat hier, in der gläsernen Zentrale von Otto, eine lange Tradition. „Schon in den 90er-Jahren wurde der Verkauf von Pelzen gestoppt“, sagt der heutige Otto-Chef Marc Opelt mit Blick auf die Philosophie der gleichnamigen Gründerfamilie, die aus einem Modeversender mit 28 Paar Schuhen bis heute einen der größten Onlinehändler geschaffen hat.
„Und dann wurden bald auch Tropenhölzer aus dem Sortiment genommen“, ergänzt der Manager, der am Donnerstag, lässig in Jeans und Pullover, den weiteren Weg des Handelshauses in Sachen Umwelt vorstellte: Die neueste Nachhaltigkeitsstrategie von Otto.
Otto will bis 2030 klimaneutral sein
Die Ziele sind ehrgeizig: Bis spätestens 2030 will Otto in seinen Geschäftsprozessen klimaneutral sein. Den Plan, möglichst nicht zur weiteren menschengemachten Erderwärmung beizutragen, will die Firma durch viele Einzelmaßnahmen erreichen: Bereits bis 2025 sollen die Eigen- und Lizenzmarken, die auf Otto.de verkauft werden, komplett auf nachhaltige Produkte umgestellt werden. Die Versandverpackungen will der größte deutsche Onlineshop mit mehr als elf Millionen Kundinnen und Kunden in drei Jahren auf entweder recycelte, biologisch abbaubare oder mehrwegfähige Alternativen begrenzen.
Außerdem werden die Standards für den Otto-Marktplatz, auf dem Verkäufer ihre Artikel im eigenen Namen und auf eigene Rechnung anbieten, deutlich erhöht: Die Marktplatz-Partner sind künftig verpflichtet, soziale und ökologische Kennzahlen offenzulegen, etwa zu CO2- Emissionen und Verpackungsmüll.
Otto setzt auf kreislauffähige Lösungen
Trotz strengerer Regeln soll die Anzahl nachhaltiger Artikel auf Otto.de konsequent anwachsen – auf über eine Million bis 2025. Stand heute wäre Otto dann die Plattform mit dem größten nachhaltigen Sortiment Deutschlands. Aktuell sind auf Otto.de rund 500.000 als nachhaltig gekennzeichnete Artikel verfügbar; also Produkte, die beispielsweise FSC- oder Blauer-Engel- zertifiziert sind.
Für eine längere Lebenszeit von Artikeln und Rohstoffen setzt Otto verstärkt auf kreislauffähige Lösungen, etwa Reparaturservices und wiederverwertbare Textilien. Eine erste zirkuläre Modekollektion war im vergangenen Frühjahr gestartet, berichtete am Donnerstag Tobias Gruber. Der Bereichsleiter Nachhaltigkeit bei Otto machte bei der Pressekonferenz schmunzelnd auch auf seine eigene Jeans aufmerksam und sagte, dass die Hose aus wiederverwerteten Fasern bestehe und aus der neuen Otto-Reihe stamme. Schon 2023 komme eine Nachfolge-Kollektion auf den Markt, kündigte Gruber an.
Otto arbeitet mit Hamburger Start-up Traceless zusammen
Um die im Onlinehandel als besonders umweltschädlich beklagten Verpackungen nachhaltiger zu gestalten, erprobt Otto in diesem November biologisch abbaubare Versandtaschen, die sich etwa für T-Shirts und Kinderkleidung eignen. Bei dem Test mit vorerst 1500 Tüten arbeitet Otto mit dem Hamburger Start-up Traceless zusammen. Die neuen Packungen bestehen aus Papier, das aus Grasresten gewonnen wird und einem biobasierten Plastikersatz, der die Versandtaschen robuster gestaltet – und den Traceless erfunden hat: Anders als bei herkömmlichen Papiertüten werden für Traceless keine Ressourcen wie Holz genutzt, sondern Abfälle aus der Agrarindustrie, etwa aus Brauereien oder aus der Stärkeproduktion.
Das Material ist innerhalb von zwei Wochen vollständig abgebaut. „Die Offenheit des Otto-Teams, diesen Weg mit uns gemeinsam zu gehen, ist mehr als wertvoll für uns. Wir lernen unglaublich viel an diesem Projekt und freuen uns auf weitere Erkenntnisse aus dem Pilottest“, sagt Traceless-Mitgründerin Anne Lamp über die Kooperation.
Zusammenarbeit auch mit dem Start-up Wildplastic
Auch das Hamburger Start-up Wildplastic bekommt bei Otto eine Chance: Die Firma hatte die Idee, herumfliegende Kunststofffolien in der Natur einzusammeln, zu sortieren und zu recyceln, um einen Wertstoff zu gewinnen, der wieder für die Herstellung neuer Produkte eingesetzt werden kann. Das Material wird nach Angaben der Firma in Ländern, die keine funktionierende Abfallwirtschaft haben, etwa in Haiti, Nigeria und Indien, unter „sozialen Lohnbedingungen“ gesammelt und mit dem Schiff nach Portugal transportiert.
Dort wird das eingesammelte Plastik gesäubert, recycelt und zu Granulat verarbeitet. Aus diesem Granulat werden die Wildplastik-Tüten für Otto hergestellt. Verpackungen spielen bei der Klimabilanz der Bestellungen eine große Rolle, da der Versand bekanntlich keine Einbahnstraße ist: Noch immer ist die Zahl der Retouren hoch, bei Mode wird die Hälfte zurückgeschickt.
„Preis schlägt Nachhaltigkeit“
Die Rahmenbedingungen für die Nachhaltigkeitsstrategie bei Otto, die sich langfristig zwar auszahlen soll, aber kurzfristig hohe Investitionen erfordert, sind nicht gerade optimal. Nach einer aktuellen Umfrage achten die Kunden kaum auf Klima und Umwelt. Durch den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine hätten die Konsumenten vorrangig eines im Blick, sagte Opelt: ihre Kosten. Wichtigstes Kriterium bei Kaufentscheidungen sei derzeit der Preis, habe die Umfrage ergeben. Auch die Auswahl oder die Verfügbarkeit seien wichtig für die Verbraucher.
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Erst an achter Stelle stehe beim Konsum die Nachhaltigkeit. „Preis schlägt Nachhaltigkeit“, fasste Opelt die Ergebnisse der Analyse zusammen. Und dennoch: „Die Dringlichkeit des Themas ist so hoch, dass es richtig ist, hier keine Kompromisse zu machen“, sagt der Chef der Otto-Einzelgesellschaft zu den Plänen des Handelshauses, große Anstrengungen in Sachen Nachhaltigkeit zu unternehmen und die Pläne nicht wegen der aktuellen Stimmung auszusetzen. Zu den Kosten wollten sich die Manager nicht äußern. Gruber betonte, es seien viele Bereiche betroffen und es falle daher schwer, eine Summe zu nennen.
Otto: Kunden derzeit beim Konsum zurückhaltend
Klar ist: Nicht nur die Kunden sind derzeit zurückhaltend beim Konsum, auch die Firmen werden belastet durch die hohe Inflation und unsichere Konjunkturaussichten. Bereits zwischen März und August, was bei der Konzernmutter Otto Group dem ersten Geschäftshalbjahr entspricht, waren bei Otto.de die Bestellungen zurückgegangen. Die Verbraucher achteten auf jeden Cent, hatte Konzernchef Alexander Birken schon Mitte Oktober gewarnt. Und eine Trendwende sei nicht absehbar.