Hamburg. Ob LichtBlick, Haspa oder Otto: Viele Firmen in der Stadt gestalten ihre Arbeitswelt um. Nicht alle Beschäftigten sind begeistert.
Wenn es um das Arbeiten von zu Hause aus geht, denkt wohl kein Hamburger Firmenchef so radikal wie Constantin Eis, Geschäftsführer des Ökostromanbieters LichtBlick. Die im Schnitt 7,5 Stunden pro Woche, die die Beschäftigten für den Weg ins Büro und zurück benötigten, seien „oftmals verlorene Zeit, die sie weder für sich selbst noch für ihre Familie oder das Unternehmen haben“, argumentiert Eis. Konsequenterweise hat er die Verpflichtung, ins Büro zu kommen, daher abgeschafft.
Arbeitswelt: LichtBlick zieht um
Zwar begannen schon 2018 Planungen für den Umzug an einen neuen Standort innerhalb Hamburgs. Aber während der Corona-Pandemie stand bei LichtBlick ernsthaft infrage, ob man überhaupt noch einen realen Firmensitz braucht. Auch Constantin Eis räumt jedoch ein, dass nicht alles per Videokonferenz genauso gut funktioniert: „Emotionalität bekommt man besser mit, wenn man sich in einem Raum gegenübersitzt. Und ein Gespräch auf dem Sofa, mit einem Kaffee in der Hand, hat sehr viel Wert – das ist einfach eine kreativere Atmosphäre.“
In diesen Tagen zieht LichtBlick vom Zirkusweg auf St. Pauli nach Hammerbrook in neue Räumlichkeiten um, die genau den passenden Rahmen für solche Gesprächssituationen bieten sollen. Auf den von dem Unternehmen genutzten Etagen des Neubaus „ConneXion Office“ nahe dem Hauptbahnhof finden sich Besprechungsräume ganz verschiedener Größe und Lounge-Bereiche mit bequemen Sitzmöbeln, die auf den ersten Blick gar nicht so sehr wie eine Arbeitsumgebung wirken.
Nur wenige Mitarbeiter haben „festen“ Schreibtisch
Dafür gibt es für den allergrößten Teil der LichtBlick-Beschäftigten keinen „eigenen“ Schreibtisch am immer gleichen Platz mehr. Den gut 470 Personen stehen 200 sogenannte „Flex-Plätze“ mit höhenverstellbaren Tischen und großen Monitoren zur Verfügung. Ein elektronisches Buchungssystem sorgt für die Verteilung. Nur noch wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Beispiel der Gehaltsabrechnung und der Buchhaltung haben einen „Stammplatz“ – und das auch nur, weil sie den Zugriff auf Akten benötigen, die aus rechtlichen Gründen eingeschlossen sein müssen, wie Eis erklärt.
Überall auf den Etagen sieht man offene Rückzugsecken zwischen schallschluckenden Polsterwänden und „Telefonboxen“ mit Glastüren. Rechnet man die Sessel und Stühle dort und in den Besprechungsräumen mit, kommt man auf insgesamt 330 Sitzplätze.
Nicht einmal Firmenchef hat eigenes Büro
Für sieben typische Arbeitssituationen, die in diversen Umfragen unter den Beschäftigten am häufigsten genannt wurden, hat man auf den LichtBlick-Flächen die jeweils passenden räumlichen Voraussetzungen geschaffen. Eines aber hat definitiv ausgedient: das klassische Einzelbüro. Selbst Firmenchef Eis teilt sich einen Schreibtisch mit anderen. Das ist auch bei anderen Hamburger Unternehmen so, die ihre Räumlichkeiten nach den Prinzipien des sogenannten „New Work“-Konzepts umgestaltet haben oder dies planen. So wird selbst Haspa-Chef in der künftigen Bankzentrale gegenüber dem Gänsemarkt kein traditionelles Vorstandsbüro mehr bekommen.
„Wir wollen hierarchiefreier arbeiten und viel stärker auf flexible Teams setzen, als in den klassischen Bereichs-Silos zu denken“, sagte Diana Bolle-Radszuhn, Projektleiterin der Haspa für den Ende kommenden Jahres geplanten Umzug. „Diese Ideen werden wir in der neuen Büroumgebung optimal verwirklichen und sichtbar machen können.“
Unternehmen sparen 20 Prozent der Bürofläche
Mittels neuer Büroplanungen, die auf den während der Pandemie gemachten Erfahrungen basieren, lässt sich der Raumbedarf nach Erkenntnissen von Nadine Bauer, Geschäftsführende Gesellschafterin des Architektur- und Beratungsbüros bkp Hamburg, häufig um 20 bis 30 Prozent reduzieren – bei LichtBlick schrumpft die Fläche von 11.000 auf 8000 Quadratmeter. Kern des Konzepts ist in der Regel das sogenannte „Desksharing“, also das Teilen der Schreibtische. Das stoße bei den Beschäftigten nicht selten zunächst auf Skepsis, sagt Bauer: „Manche wollen ihren Arbeitsplatz gern individuell gestalten. Viele tun sich anfangs damit schwer, weil es ungewohnt ist.“ Aber, so die Innenarchitektin: „Wenn wir ehrlich sind, sitzen wir ja gar nicht mehr so viel am Schreibtisch.“ Besprechungen und gemeinsame Videokonferenzen hätten deutlich an Bedeutung gewonnen.
Darauf stellt sich auch der Hamburger Versandhandelskonzern Otto ein. Hochmoderne Konferenztechnik wie Deckenmikrofone und Rundum-Kameras sollen künftig eine optimale Zusammenarbeit zwischen mobil und vor Ort arbeitenden Beschäftigten gewährleisten. Manches an der neuen Bürogestaltung trifft man in unterschiedlichen Unternehmen in fast gleicher Form an: „Thinktanks“, das sind kleine, verglaste Meetingräume, gibt es unter diesem Namen sowohl bei Otto als auch bei LichtBlick. Anderes hingegen ist einzigartig. So steht in den Otto-Räumlichkeiten eine Art Almhütte aus Altholzbalken, die innen mit einer umlaufenden Sitzbank versehen ist und von kleinen Gruppen für Besprechungen genutzt werden kann.
Besprechungstisch wird zur Tischtennisplatte
Mit den neuen Arbeitswelten verfolgen die Unternehmen aber noch ein anderes Ziel, wie Nadine Bauer erklärt: „Man will einen Ort schaffen, an den die ans Homeoffice gewöhnten Mitarbeiter gerne wieder zurückkommen.“ Dafür müssten sich die Planer dann schon etwas einfallen lassen – zum Beispiel Besprechungstische, die sich mit wenigen Handgriffen in eine Tischtennisplatte umfunktionieren lassen, oder auch Ruheräume für den Kurzschlaf in der Mittagspause.
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LichtBlick bietet in der neuen Zentrale unter anderem einen gut ausgestatteten Fitnessraum und einen speziellen Bürobereich, in dem man Hunde zur Arbeit mitbringen darf. „Die Hemmschwelle, überhaupt ins Büro zu kommen, ist durch die Pandemie sehr hoch geworden“, sagt Eis, zumal manche Mitarbeiter während der Pandemie in Wohnorte weit außerhalb Hamburgs umgezogen seien.
Daher müsse man erst einmal abwarten, wie hoch die Auslastung der neuen Arbeitsräume überhaupt sein werde. Für den Fall, dass es nicht gelingen sollte, so viele Beschäftigte wie erwartet ins Büro zurückzulocken, hat Eis schon einen Plan: „Wir können uns gut vorstellen, dann einen Teil unserer Flächen an Start-ups weiterzugeben.“