Hamburg. Der Effekt der Ausbaggerung ist schon verpufft. Schwere Schiffe müssen Ladung stehen lassen oder zickzack fahren – es hagelt Kritik.

Die Elbvertiefung war mit knapp 800 Millionen Euro eines der aufwendigsten Infrastrukturprojekte der jüngeren Hamburger Geschichte. Als im Januar dieses Jahres die Behörden die neuen Tiefgänge für Schiffe mit 14,50 Metern tideabhängig und 13,50 Metern tideunabhängig freigaben, galt dieses als wirtschaftlicher Aufbruch für den Hamburger Hafen, der wegen seiner eingeschränkten Zufahrt von den Konkurrenzhäfen direkt an der Küste mehr und mehr abgehängt worden war.

Doch nur acht Monate nach Bekanntgabe der Vollendung der Arbeiten, die Reedereien in aller Welt erreichte, herrscht schon wieder Katzenjammer. Die Schifffahrt auf der Elbe wird erneut von dem Problem behelligt, dass die Zufahrt in den Hamburger Hafen zuvor lange eingeschränkt hatte: Der Schlick ist zurück. Elblotsen und Kapitäne treffen im gesamten Strom von der Mündung bis in den Hafen auf sogenannte Mindertiefen. Der Fluss ist weniger tief als er sein sollte.

Elbvertiefung sorgt für zusätzliche Verschlickung

Bei Hamburgs Hafenunternehmen geht nun die Furcht um, das werde auf Dauer so bleiben. Die Firmen suchen jetzt den Kontakt zu Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). War die Elbvertiefung etwa ein teurer Fehlschlag?

Auf den ersten Blick sieht es so aus. Nach Peilfahrten zur Messung der Tiefe der Fahrrinne hagelt es seit dem Frühjahr schifffahrtspolizeiliche Anordnungen zur Umfahrung bestimmter Bereiche, an denen Mindertiefen festgestellt wurden. Zwei jüngere Beispiele: Am 29. August wies die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes alle Schiffe mit einem Tiefgang von 11,90 Metern und mehr an, einige Sektoren der Elbe zwischen St. Margarethen und Brokdorf künftig zu umfahren und alle angrenzenden Bereich mit äußerster Vorsicht und stark reduzierter Geschwindigkeit zu passieren.

Hafen Hamburg: Seeleute und Lotsen fühlen sich im Stich gelassen

Die Bundesbehörde hatte auf der Teilstrecke eine Abweichung von der Solltiefe von einem Meter festgestellt. An einigen Stellen waren es fast zwei Meter. Nicht viel besser ist die Lage bei Stade. Dort wurde erst vor einer Woche eine schifffahrtspolizeiliche Maßnahme erlassen, die Schiffen mit einem Tiefgang ab 12,40 Metern die Umfahrung bestimmter Gebiete vorschreibt. Das sind nur zwei Anordnungen.

Die Bundesbehörden haben jedoch seit Jahresbeginn annähernd 250 solcher Verfügungen herausgegeben. Viele davon wegen Schlick. „Wir können aber nicht mit einem 400 Meter langen Schiff Slalom auf der Elbe fahren“, sagt ein Kapitän, der nicht genannt werden möchte. Die Seeleute und die Lotsen fühlen sich von den Bundesbehörden im Stich gelassen. Doch wie konnte es überhaupt soweit kommen?

Hafen Hamburg: Zu wenig Bagger und Personal?

Werden wie bei der Elbvertiefung 40 Millionen Kubikmeter Sediment ausgebaggert, dauert es eine Weile bis sich das Flussbett darauf eingestellt hat. Der Fachbegriff lautet morphologischer Nachlauf. Man kennt das vom Buddeln am Strand. Vom Rand rutscht Sand in die Grube. Zwar hatten die Planer mit solchen Eintreibungen durchaus gerechnet und sie bei der Elbvertiefung auch einkalkuliert. Nur ist dieser Effekt offensichtlich viel stärker eingetreten als erwartet. Die Schlickablagerungen sind massiver als im Voraus berechnet.

Der Bund hat aber nur begrenzt Bagger und Personal zur Verfügung gestellt, um sie zu beseitigen. Derzeit sind zwei Bagger auf der Elbe im Einsatz, einer im Hamburger Hafen. Die arbeiten zwar rund um die Uhr, schaffen aber die unerwarteten großen Mengen nicht weg. Zudem fehlen Fachkräfte, um die Zusatzaufgaben abzuarbeiten. Die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) des Bundes leidet unter Personalmangel. Bereits 2019 wurden über alle Dienststellen hinweg mehr als 1000 unbesetzte Stellen gezählt. Es fehlt vor allem an Ingenieuren.

Offiziell will sich niemand zu dem neuerlichen Schlick-Problem äußern. Zu groß ist die Sorge, dass Reedereien Hamburg meiden, wenn sie erfahren, dass die Elbvertiefung in Teilen offenbar schon wieder Makulatur ist. Zudem ist man beim Bund wohl entschlossen, das Problem anzugehen: Nach Informationen des Abendblatts ist für Donnerstag ein Treffen der GDWS mit Vertretern des Bundesverkehrsministeriums angesetzt, um über einen Aktionsplan zur Schlickbeseitigung zu beraten. Der Unternehmensverband Hafen Hamburg will in einem Brief an Verkehrsminister Wissing auf die Dringlichkeit aufmerksam machen.

Hafen Hamburg: Meiden die Reedereien bald die Hansestadt?

Denn man war eigentlich schon auf einem guten Weg: Die Freigabe der größeren Tiefgänge wird von den Kunden des Hamburger Hafens gern genutzt. Seit Jahresbeginn ist die Zahl der Großcontainerschiffsanläufe ab einer Kapazität von 18.000 Standardcontainern um 9,3 Prozent gewachsen. Zudem transportieren die Schiffe auch mehr Ladung. Die Frachter erreichen den Hafen mit einem um mehr als 50 Zentimeter größeren Tiefgang als zuvor.

Die Gegner der Elbvertiefung sehen sich durch das neue Problem bestätigt: „Wir haben bereits bei der Gerichtsverhandlung 2012 deutlich gemacht, dass der morphologische Nachlauf viel massiver ausfallen wird als prognostiziert. Jetzt ist guter Rat teuer“, sagt Malte Siegert, Vorsitzender des Naturschutzbunds (Nabu) in Hamburg. Die Planer der Elbvertiefung sollten sich über die große Schlickmengen nicht wundern.

Das sei das Ergebnis, wenn man „bei der Bundesanstalt für Wasserbau ein Gefälligkeitsgutachten“ bestelle, und nicht prüfe, was aus naturschutzrechtlicher Sicht notwendig ist. „Man kann nicht gegen die Natur anbaggern. Das verschlingt Milliarden, bindet Ressourcen, aber die Elbe bekommt man nicht in den Griff“, so Siegert. Deshalb forderten die Umweltverbände den Rückbau der Elbvertiefung – zumindest aber das Einstellen der Baggerarbeiten.