Hamburg. In den Filialen des Gebrauchtwaren-Kaufhauses in Hamburg sind viele Stellen offen. Was man dort als Einsteiger verdient.

Stöbern, Schnäppchen finden, schon nach Spielzeug für Weihnachten schauen. Die Kunden, die an diesem Vormittag bei Stilbruch unterwegs sind, haben die Qual der Wahl: In dem Gebrauchtwarenhaus gibt es günstige Möbel, tolle Sachen für die Kleinen wie Kinderroller oder Puzzles.

In Glasvitrinen werden Elektrogeräte ausgestellt, auf großen Tischen liegen Hunderte Bücher, vom alten Schinken bis zum modernen Bestseller. Die Hallen bei Stilbruch wirken wie ein Flohmarkt mit System. Verkauft wird hier alles, was noch irgendwie zu gebrauchen ist, und, auch im Falle von Plattenspielern oder Computern, wirklich noch funktioniert.

Stilbruch in Hamburg findet kein Personal

Stilbruch, eine Tochter der Hamburger Stadtreinigung, hat drei große Lieferanten: Das sind die sogenannte schonende Sperrmüllabfuhr, die in Hamburgs Haushalten brauchbare Produkte einsammelt, die Recyclinghöfe und schließlich Privatleute, die persönlich vor der Tür des Marktes in einem Wandsbeker Gewerbegebiet Dinge abliefern, die sie nicht einfach wegwerfen wollen. Der Kreislauf funktioniert seit Jahren bestens. Das Leben der Waren wird verlängert, Ressourcen werden gespart. Und Leute, die nicht so viel Geld ausgeben wollen oder können, freuen sich über den Esstisch für 60 Euro oder ein Buch für einen Euro.

Ein Thema allerdings bereitet Betriebsleiter Roman Hottgenroth großes Kopfzerbrechen: Er findet kaum noch Personal. Und das bei Jobs, die nur wenige Ansprüche an die Beschäftigten stellen.

„Dann kann ich nur mit dem Kopf schütteln“

Er erschrecke sich, wenn die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles (SPD), wie jüngst von steigenden Zahlen bei den Arbeitslosen spreche. „Dann kann ich nur mit dem Kopf schütteln“, sagt Hottgenroth. Denn bei ihm meldeten sich kaum noch Jobsuchende. Trotz der zahlreichen Kanäle, auf denen Stilbruch sucht, und die wie im Falle von Stepstone auch schon mal 1000 Euro für eine Stellenanzeige verlangten. „Und die wenigen Bewerber haben meist zu hohe Ansprüche“, kritisiert der Betriebsleiter. Viele wollten nur Teilzeit arbeiten, „dabei bekommen sie vom Amt doch auch Geld für Vollzeit“.

Die Menschen wollten das Leben nicht mehr von ihrer Arbeit bestimmen lassen. Wenn er dann im Vorstellungsgespräch Rückfragen stelle, „Warum Teilzeit?“, kämen wenige Begründungen, die er nachvollziehen könne. Eine Frau habe kürzlich geantwortet, sie habe einen Hund, berichtet Hottgenroth und schüttelt wieder den Kopf. „In meiner Vorstellung sind Teilzeitkräfte Leute, die jemanden zu Hause haben, um den sie sich kümmern müssen, ein Kind, einen älteren Angehörigen“, sagt der Hamburger, der seine eigene Freizeit gerne im St.-Pauli-Stadion verbringt.

Stilbruch: In beiden Filialen sind Stellen offen

In eine ähnliche Richtung zielte jetzt übrigens eine Stellenanzeige eines Edeka-Marktes, in der die Befindlichkeiten der Bewerber ironisiert wurden: Der Supermarkt Gebhardt aus Detmold suchte darin „einen Mitarbeiter in Vollzeit für den Getränkemarkt (m,w,d …usw usf.), der (…) nicht komplett verpeilt ist, eine Kiste Bier von einer Kiste Wasser unterscheiden kann, der nicht beim kleinsten Kratzen im Hals eine Woche krank feiert“, und „nicht alle 3 Minuten eine WhatsApp schreiben oder Insta checken muss“.

Bei Stilbruch wird naturgemäß niemand für den Getränkemarkt gesucht, aber es sind in beiden Filialen Altona und Wandsbek Stellen offen. Ein Bedarf besteht etwa an Elektrikern, die Geräte wie Staubsauger auf ihre Funktionstüchtigkeit hin überprüfen, denn das Haus übernimmt eine Gewährleistung. „Wenn der Fön explodiert, müssen wir beweisen können, dass er bei uns bis Verlassen des Ladens funktioniert hat“, sagt Hottgenroth.

Besonders Techniker werden gesucht

Gerade die Techniker sind Teil der so raren Fachkräfte, aber für etliche andere Jobs bei Stilbruch sind nur wenige Qualifikationen nötig. Gesucht werden auch Fahrer, die Möbelwagen steuern und die Sachen bei der Stadtreinigung abholen. „Wir unterstützen die Bewerber auch und finanzieren in Einzelfällen den Führerschein“, ergänzt der Betriebsleiter. Im Geschäft wiederum fehlen Frauen und Männer, die Ware wie Textilien, Glas oder Porzellan sortieren, verkaufen und an der Kasse sitzen.

Eine Ausbildung im Einzelhandel wäre dafür von Vorteil, aber nicht zwingend nötig. „Wir nehmen auch gerne Quereinsteiger“, sagt Hottgenroth, der hier selber das beste Beispiel bietet: Nach Jobs in der Musikbranche, die damals immer weniger Chancen bot, wurde er arbeitslos und fing bei Stilbruch als Ein-Euro-Jobber an. Er stellte viele Fragen, „warum sind die Bücher so billig?, Wieso kosten alle Lattenroste das gleiche?“ und nahm die Organisation in die Hand.

„Mit Herzblut kann man einiges schaffen“

Wenige Jahre später saß er auf dem Chefsessel. „Mit Herzblut kann man einiges schaffen“, ist der 51-Jährige überzeugt. Und schließlich biete die Arbeit auch Bestätigung, und die Gewissheit, etwas Nützliches zu tun. „Wenn Sie einem Kunden genau das verkaufen können, was er gesucht hat – ein schönes Gefühl“, findet der einstige Organisator des Fanclubs der Band „Die Ärzte“, der sich auch damals mit großem Engagement für die Sache eingesetzt hat.

In dem Gebrauchtwarenhaus fangen die Brutto-Verdienste bei einem Vollzeitjob nach dem mit der Gewerkschaft Ver.di ausgehandelten Tarifvertrag bei knapp über 2000 Euro an, für 38,5 Stunden in der Woche. Dazu kommen Weihnachtsgeld von 1000 Euro und anfangs 25 Tage Urlaub. Der Job ist unbefristet.

Alter spielt bei Stilbruch keine Rolle

Statt der Personen, die nach längerer Zeit der Arbeitslosigkeit wieder einen Job suchen und ihn bei Stilbruch finden (könnten), stellt Hottgenroth nun auch andere Neulinge im Handel ein. So wie eine 59-jährige Frau, die jetzt in seinem gut 60-köpfigen Team anfängt. Nach einem langen Berufsweg in der Pflege, eine Arbeit, die sie jetzt körperlich nicht mehr schaffe, argumentierte die Bewerberin. Hier sehe er Loyalität und Einsatz, freut sich Hottgenroth über den Neuzugang.

Das Alter spiele keine Rolle, wichtiger seien die Überzeugungen, und immerhin habe sich die Bewerberin auch schon freiwillig bei den Corona-Impfungen engagiert. Zudem komme eine Angestellte zurück ins Team, die zwischenzeitlich bei einem großen Handelshaus gearbeitet hat. Die Planbarkeit bei Stilbruch mit gut organisierten Schichtplänen und auch die familiäre Atmosphäre schätzten viele Mitarbeiter - und sie blieben deshalb bei dem Secondhandladen oder kehrten zurück.

Stilbruch: „Wo ist der Anreiz zum Arbeiten?“

Dass sich indes wenige ernsthafte Interessenten bei ihm meldeten, führt Hottgenroth auch auf die aktuellen Regeln des deutsche Sozialsystems zurück. Schließlich würden die Leute „fürs Nichtstun bezahlt“, sagt der in Barsbüttel mit seinem Sohn lebende Manager. „Wo ist der Anreiz zum Arbeiten?“