Hamburg. Roman Hottgenroth, Chef des Gebrauchtwarenkaufhauses, verrät, welche Produkte am beliebtesten sind und worauf Kunden achten sollten.

Roman Hottgenroth hat bei dem Unternehmen, das er heute leitet als Ein-Euro-Jobber angefangen, ist also vom Arbeitslosen zum Chef geworden – und hat seinen Traumjob gefunden. Er leitet das Gebrauchtwarenhaus Stilbruch, bei dem Hamburgerinnen und Hamburger persönliche Dinge abgeben können (und sollen!), bevor sie sie wegwerfen.

In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht Hottgenroth über seine ungewöhnliche Karriere, die am stärksten nachgefragten Produkte – und warum Videorekorder wieder im Kommen sind.

Das sagt Stilbruch-Chef Roman Hottgenroth über den Ein-Euro-Job, mit dem alles begann:

„Ich bin 1999 nach Hamburg gekommen, um in der Musikbranche zu arbeiten, die damals sehr schnelllebig war. Irgendwann habe ich meine Stelle verloren und es ist mir nicht mehr gelungen, wieder Fuß zu fassen. Aus der Not heraus habe ich dann einen Ein-Euro-Job gesucht, und bin auf Stilbruch gestoßen. Einerseits wäre ich nach meinem ersten Arbeitstag dort am liebsten gleich wieder gegangen, weil die Abläufe sehr chaotisch waren. Andererseits habe ich das Potenzial und den Charme erkannt, die in dem Unternehmen steckten, und hatte nach anderthalb Jahren Arbeitslosigkeit auch genug Energie, mich dort reinzuknien.

Ich bin relativ schnell an die damalige Geschäftsführung herangetreten, um ihr Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten, und die hat mich machen lassen. Ich habe in kürzester Zeit Verantwortung übernommen, und als ich dann eine Jobangebot aus Berlin erhielt, sind meine Geschäftsführer unruhig geworden, weil sie mich unbedingt behalten wollten: So habe ich meinen ersten Vertrag als Festangestellter bekommen.“

… seinen Aufstieg zum Betriebsleiter bei Stilbruch:

„Die damalige Betriebsleiterin hatte angekündigt, dass sie aufhören wollte, und wir sind mit ein paar Führungskräfte in einen Workshop gegangen. Jeder musste auf eine Karte schreiben, was sein Ziel bei Stilbruch sei. Ich war der jüngste, ich war am kürzesten dabei, und trotzdem war mir klar, dass ich irgendwann den Betrieb leiten möchte. Deshalb habe ich genau das auf die Karte geschrieben. Am Ende war ich der einzige, der diesen Wunsch hatte, und ich glaube, dass hat die Geschäftsführung beeindruckt: Ich konnte ihnen das Gefühl vermitteln, dass ich den Job unbedingt wollte.“

… die wichtigsten Lieferanten für Stilbruch:

„Wir haben drei große Lieferanten: Das sind die sogenannte schonende Sperrmüllabfuhr, die in Hamburgs Haushalten brauchbare Produkte einsammelt, die Recyclinghöfe und eben Privatleute, die bei uns persönlich Dinge abliefern, die sie nicht einfach wegwerfen wollen. Und ich kann sagen: Die meisten dieser Dinge können wir gut gebrauchen, es gibt nur sehr wenig, was wir nicht im Warenkreislauf halten können. Es wird heute nichts mehr weggeschmissen, was in irgendeiner Form noch zu gebrauchen ist.“

… den Wert der gebrauchten Waren und wer ihn bestimmt:

„Welche der Dinge, die bei uns abgegeben werden, in den Verkauf kommen, wie wir sie dort präsentieren und was wir dafür nehmen, entscheiden die Kolleginnen und Kollegen, die die Produkte annehmen, saubermachen und reparieren. Die Verantwortung, den Preis selbst festzusetzen können, ist dabei entscheidend. Wenn man sieht, dass ein Produkt sofort verkauft wird, lernt man, dass der Preis offensichtlich zu niedrig war, das gleiche gilt, wenn es vier Wochen im Regal steht.

Diese Eigenverantwortlichkeit aller Mitarbeiter ist der Schlüssel zu unserem Erfolg, und sie führt dazu, dass wir anders als andere Gebrauchtwarenkaufhäuser nicht nur defizitär arbeiten, sondern in der Regel Gewinne an unser Mutterunternehmen, die Stadtreinigung, abführen können.“

… die Kunden:

„Pro Jahr haben wir mehr als eine halbe Million Kaufvorgänge. Unsere Kunden sind Bedürftige genauso wie Schnäppchenjäger, Kenner, die wissen, dass etwa unsere Buch- oder unsere Textilabteilung ziemlich viel bieten, auch in Sachen Qualität. Dann haben wir die Überzeugungstäter und die Sammler beziehungsweise Händler, die sonst auf Flohmärkten unterwegs sind. Wenn man es genau betrachtet, ist Stilbruch ja ein überdachter Flohmarkt, der außer sonntags immer geöffnet hat.“

… die am stärksten nachgefragten Produkte:

„Es gibt fünf große Warengruppen, die bei uns besonders gut laufen. Nach den Möbelstücken im Allgemeinen sind Glas- und Porzellan richtige Renner, um Platz zwei und drei streiten sich Elektroartikel und Textilien, dann kommen Bücher und Multimedia-Produkte, zum Beispiel Videokassetten. Auch Videorekorder sind wieder total gefragt, allmählich erreichen die offenbar Kultstatus.“

… die teuersten Produkte:

„Die teuersten Dinge, die wir jemals verkauft haben, dürften so um die 2500 Euro gekostet haben, das waren ein echter Perserteppich und ein sehr gut erhaltenes Cembalo. Kürzlich ist für einen Preis in dieser Größenordnung eine sehr edle Couchgarnitur weggegangen. Es gibt auch die Geschichte, dass jemand bei uns ein Bild für 45 Euro gekauft hat, das er dann bei einem uns allen nicht unbekannten Auktionshaus für 15.000 Euro oder so versteigert hat. Darüber müssen wir uns aber nicht ärgern, so etwas passiert sehr selten, und wenn es passiert, ist es ja auch Werbung für uns.“

Wem der Stilbruch-Chef gern zum Meistertitel gratulieren würde

Was wollten Sie als Kind werden und warum?

Als Kind wollte ich wie viele andere vielleicht auch Baggerfahrer werden. Das hat mich schon sehr beeindruckt, welche Kraft dahintersteckte. Als Jugendlicher wollte ich unbedingt Krankenwagenfahrer werden. Das hatte tatsächlich weniger mit sozialem Engagement zu tun, vielmehr wollte ich durch die Stadt rasen können, über rot fahren und alle machen auch noch freiwillig Platz.

Was war der beste Rat Ihrer Eltern?

Mein Vater hat mich permanent mit dem Spruch „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ konfrontiert. Ich muss schon sagen, dass dies spätestens nach einigen eigenen Erfahrungen einen recht hohen Wahrheitsgehalt hatte/hat.

Wer war oder ist Ihr Vorbild?

Meist waren es etwas extrovertierte Menschen, die fest an eine Sache geglaubt haben. Ich könnte Sportler nennen, Dennis Rodman – heute eher fragwürdige Ansätze, aber immer noch konsequent – oder George Best, dessen Lebensstil nicht unbedingt in eine Schublade passt, die gesellschaftlich vorbildlich wäre. Farin Urlaub und Bela B. als 2-Komponenten-Existenz, Intelligenz, Witz, scharfsinnig und fast 40 Jahre straight. Aber auch Menschen wie Annemarie Dose. Sie kennenlernen zu dürfen war eine große Ehre und hat mich in meinem eigenen Handeln gestärkt.

Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?

Roman hat eine schnelle Auffassungsgabe, kann dem Unterricht aber nur schwer folgen. Er lässt sich leicht ablenken und stört häufig den Unterricht.

Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute machen?

Erst als ich ihn gemacht habe. Aus der Not während meiner Arbeitslosigkeit im Jahr 2004 habe ich eine Beschäftigung gesucht, welche mich in irgendeiner Form wieder in Lohn und Brot bringen würde. Dass aus dem 1-Euro-Jobber mal ein Betriebsleiter wird, war ja nicht absehbar oder gar geplant.

Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?

Förderer sind Menschen, die vorhandenes Potenzial erkennen und bereit sind dort eigene Energie zu investieren. Das schließt eine ganze Menge Menschen bereits aus, heißt aber auch zum Glück nicht, dass es diese nicht gab. Eltern und Familie sind das zwangsläufig, die Gründer von Stilbruch, Jens Ohde und natürlich Jörg Bernhard, meine Geschäftsführer, die mich auf dem Karriereweg komplett begleitet haben, mir viel Vertrauen schenkten, aber auch Freunde, auf die man sich bedingungslos verlassen kann.

Auf wen hören Sie?

Das kommt darauf an, um was es geht. Ich gebe mir stets Mühe Dinge und Entscheidungen zu hinterfragen. Wenn ich mir dabei unsicher bin, gibt es auf verschiedenen Ebenen Menschen, deren Meinung ich sehr schätze und gelegentlich dann auch darauf „höre“. Meine Mama ist sicherlich ein Paradebeispiel, die Schwester, die Partnerin, die Kollegin und natürlich auch mein Kind.

Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?

Mut!!!

Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?

Zweifel an der Fähigkeit haben, es (wieder) besser zu machen!

Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?

Gerechtigkeit, Offenheit, Transparenz und Zuverlässigkeit sind Dinge, die ich von jeder Person in meinem Unternehmen erwarte, da dies auch Dinge sind, die von mir erwartet werden dürfen.

Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

Als ich jung war, wollte ich gern Millionär werden. Ruhm und Reichtum hatten schon eine gewisse Faszination. Mit zunehmender Reife änderte sich die Sicht der Dinge für mich. Geld ist wichtig, weil ich damit Dinge finanzieren kann, welche ich zur Gestaltung meines Lebens benötige. Damals hätte ich mir sicherlich eher einen Sportwagen gekauft – heute würde ich mir Zeit, Ruhe und Entspannung kaufen und vor allem meinem Sohn einen Start in die Selbstständigkeit ermöglichen wollen.

Was erwarten Sie von Mitarbeitern?

Siehe Führungsstil! Ich glaube, dass jeder Mensch eine Fähigkeit hat, die irgendwo gebraucht wird.

Worauf achten Sie bei Bewerbungen?

Zuallererst versuche ich herauszufinden, ob es sich um eine Massenbewerbung handelt. Klasse sind immer solche Bewerbungen, welche auf meinem Tisch eintrudeln und mit „Sehr geehrter Herr Schneider …“ beginnen. Das zieht sich dann häufig wie ein roter Faden durch den Rest, wenn z.B. Floskeln wie „ich beobachte schon lange die Entwicklung Ihres Unternehmens“ auftauchen. Bedeutet im Gegenzug, dass ein Anschreiben mit Bezug zum Unternehmen und der Tätigkeit schon fast die Eintrittskarte zu einem persönlichen Gespräch sind.

Duzen oder siezen Sie?

Letztlich beides, als Vorgesetzter darf man mich duzen. Ich kenne die Mythen, welche sich darum ranken. Ich denke, da gibt es kein gut oder schlecht. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Es ist letztlich eine individuelle Umgangsweise. Ich habe mich halt fürs Duzen entschieden und fahre im Allgemeinen sehr gut damit.

Was sind Ihre größten Stärken?

Mutiges und lösungsorientiertes Handeln. Ich kann sehr charmant, aber auch hartnäckig sein.

Was sind Ihre größten Schwächen?

Ungeduld und Emotionalität.

Welche anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?

Frank Otto und Oke Göttlich – auch wenn die in einer anderen Liga spielen, kann ich mir gut vorstellen, dass der Stil als Entscheider ähnlich ist.

Was würden Sie fragen?

Da ich in der Nachhaltigkeitsbranche unterwegs bin, suche ich immer nach Optimierungen. Sicherlich würde ich beide nach möglichen Kooperationen fragen, aber ganz bestimmt würde ich mir Ratschläge holen wollen, wie man sozialverantwortlich und gleichzeitig erfolgreich handelt und dabei abends noch in den Spiegel schauen kann.

Was denken Sie über Betriebsräte?

Arbeitnehmervertretungen sind für anständig aufgestellte Unternehmen unverzichtbar. Leider fehlen diese oftmals in den Betrieben, wo man Sie dringend brauchen würde. Im Übrigen fände ich Antworten seitens der Arbeitnehmer auf diese Frage viel spannender.

Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?

Ich mache immer wieder mal Fehler. Wichtig ist doch nur, diese schnellstens zu beheben und/oder vor allem dazu zu stehen, dass man sie gemacht hat.

Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?

Das ist sich mitunter recht unterschiedlich. Ich habe vertraglich 38,5 Stunden in der Woche festgeschrieben und sehe schon zu, dass ich meine Aufgaben in diesem Zeitrahmen erledigt bekomme. Als Alleinerziehender muss ich dementsprechend noch organisierter sein und habe dank der mir anvertrauten Aufgaben viel Flexibilität bei der Einteilung.

Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?

6 bis 8 Stunden schaffe ich schon. Ich ertappe mich jedoch immer häufiger dabei, dass ich nach der Arbeit eine Art verspäteten Mittagsschlaf abhalte.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Ich würde mich selbst schon als impulsiv und emotional beschreiben. Glücklicherweise habe ich Menschen in meinem direkten Umfeld, die dann als Regulativ einschreiten. Für mich selbst hat Musik die Kraft, den Stress zu kanalisieren. Ich gehe dann in den Keller zu meiner E-Gitarre und schrammel wilde Punk-Songs oder malträtiere mein Schlagzeug, wenngleich ich gar nicht spielen kann. Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen? Gratulation an den FC St. Pauli zur ersten deutschen Meisterschaft