Hamburg. Geschäftsführer Poul Hestbaek: Kunden können Transporte durch die Luft ordern. Was “dicke, frische Kirschen“ damit zu tun haben.
Die Hamburger Reederei Hamburg Süd gehört seit Dezember 2017 zum dänischen Branchenprimus Maersk mit Hauptsitz in Kopenhagen. Ihr Geschäftsführer und Statthalter an der Elbe ist seit April 2021 Poul Hestbaek. Er ist einer der wenigen Topmanager in der Schifffahrt, der ein eigenes Kapitänspatent besitzt.
Hamburg Süd: Reederei will Lieferketten stärken – und setzt auf Flugzeuge
Im Interview mit dem Abendblatt erzählt Hestbaek, was er aus der Corona-Pandemie gelernt hat, wie es mit den gestörten Lieferketten weitergeht und warum Hamburg Süd nicht mehr nur Schiffe, sondern auch Flugzeuge mit Waren befüllt.
Hamburger Abendblatt: Herr Hestbaek. Alle reden von einer Energiekrise, spüren Sie diese auch?
Poul Hestbaek: Und wie. Haben wir einen Energiemangel? Ich weiß es nicht. Aber was wir auf jeden Fall haben, ist eine Energiepreis-Krise. Und die trifft jeden. Nicht nur die Bunkerpreise bei den Schiffen, auch die Häfen und der Weitertransport sind betroffen. Ich glaube, da stehen wir vor einem großen Problem.
Drehen Sie auch in der Hamburg-Süd-Zentrale die Heizung herunter?
Wir haben sogar das warme Wasser in den Toilettenräumen abgestellt. Und wir machen die Lichter aus. Ich bin neulich nach einem Konzert in der Elbphilharmonie noch einmal extra ums Haus herumgefahren, um zu gucken, dass auch alle Lichter aus sind. Wir haben noch zusätzlich ein Büro in der Katharinenstraße, überlegen aber, die dort angesiedelten Geschäftsbereiche ins Haupthaus mit herüberzuziehen, um im Winter die Energie zu sparen. Energiesparen ist eine mentale Sache. In meinem Heimatland Dänemark beginnt jetzt erst die ernsthafte Diskussion darüber. In Deutschland sind wir bereits darauf fokussiert, wie wir den Stromverbrauch senken können.
Kommen wir zu den Problemen in den Lieferketten. Der Hapag-Lloyd-Chef Habben Jansen geht von einer schnellen Normalisierung aus. Erwarten Sie das auch?
Wir erleben derzeit zwei Entwicklungen: Die extrem große Nachfrage nach Konsumprodukten nimmt ab, und die Verspätungen an den Terminals, die zu den Staus in der Schifffahrt geführt haben, gehen zurück. Die Wartezeiten zur Schiffsabfertigung in den USA und in China reduzieren sich ebenfalls. Deshalb gehen auch wir von einer Normalisierung des Hafenumschlags aus. Wir werden in den kommenden sechs Monaten miterleben, dass die Schiffe wieder pünktlicher in den Fahrplänen werden. Das merken wir auch an den Preisen: Die Spotpreise für Containertransporte aus Asien sinken wieder. Diese Normalisierung haben wir erwartet und denken, dass sie sich übers vierte Quartal und ins nächste Jahr weiter erstrecken wird. Wir haben aber seit dem Schiffsunfall im Suezkanal auch gelernt, dass eine einzige Störung dazu ausreicht, die globalen Lieferketten aus dem Takt zu bringen.
Wir haben aber immer noch erhebliche Probleme in der Deutschen Bucht. Dort warten beispielsweise immer noch 15 Schiffe auf ihre Einfahrt nach Hamburg.
Es wäre falsch, die Schuld dafür allein den drei deutschen Seehäfen zuzuschieben, weil alle Häfen miteinander verbunden sind. Muss ein Schiff in Rotterdam warten, bringt es die Verspätung für seinen Anlauf in Hamburg mit. Richtig ist aber, dass wir die größten Probleme insgesamt derzeit in den nordeuropäischen Häfen haben, weil sie in unseren logistischen Abläufen so eng miteinander vernetzt sind.
Ist das nur ein Problem der Häfen oder auch eines der Hinterlandverbindungen?
Die Corona-Pandemie hat uns einiges aufgezeigt. Als Erstes einen sprunghaften Anstieg der Konsumnachfrage. Dann gerieten die Terminals ins Straucheln, und zwar wegen personeller Ausfälle im Lockdown. Schiffe konnten keine ausreichende Menge Leercontainer mehr an Bord nehmen, weil die Liegezeiten durch die Verspätungen kürzer ausfielen. Dann kamen die Hinterlandtransporte mit Kapazitätsengpässen unter Druck, weil Züge ausfielen oder Lkw-Fahrer fehlen. Dadurch kam es zu weiteren Verspätungen. Und nun sinkt die Nachfrage der Konsumenten wieder. Die Lager sind jedoch überall noch voll. Was ist die Folge? Die Ladung bleibt länger im Container in den Häfen stehen, was dort wieder für eine zu hohe Auslastung der Containerlager und damit für eine niedrigere Produktivität sorgt.
Glauben Sie, dass es durch die Stauungen in der Deutschen Bucht zu dauerhaften Verschiebungen von Warenströmen in Mittelmeerhäfen kommt?
Nein. Koper, Triest und Rijeka (in Slowenien, Italien und Kroatien, d. Red) sind sicher gute Häfen, um Ladung nach Österreich, Bulgarien oder auch Ungarn zu transportieren. Das Gros wird aber weiter in die Nordseehäfen gehen. Und dort erleben wir Schwankungen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Wiedervereinigung profitierte vor allem ein Hafen: Hamburg. Der übernahm damals die meisten Verteilverkehre mit Feederschiffen nach Nordosteuropa. In den vergangenen Jahren verlor Hamburg diese besondere Stellung wieder an Rotterdam und Antwerpen. In diesem Jahr scheint das Pendel wieder in Richtung Hamburg umzuschlagen.
Die Schifffahrtsindustrie hat an den Staus und den geringeren Transportkapazitäten viel Geld verdient ...
... Das ist wahr.
Wie geht es Hamburg Süd finanziell?
Wir veröffentlichen, seit wir zu Maersk gehören, als Unternehmen keine Einzelergebnisse mehr. Ich kann aber sagen, dass wir dem allgemeinen Trend folgen, auch wir haben in den vergangenen zwei Jahren von den hohen Raten profitiert und waren sehr erfolgreich.
Das Unternehmen hat also viel Geld verdient, was macht es damit?
Viel Geld geht in die Nachhaltigkeit. Die größte Herausforderung in der Schifffahrt ist ein sauberer Antrieb. Die richtige Lösung gibt es noch nicht. Sie muss erst entwickelt werden, und es wird sicherlich nicht nur eine einzige Lösung geben. Wir hoffen, dass die großen Gewinne der vergangenen zwei Jahre die Entwicklung hin zu klimaneutralen Kraftstoffen beschleunigen wird. Wir setzen in der Maersk-Gruppe bei unseren Schiffen derzeit auf klimaneutrales Methanol. Das erste Schiff soll 2023 damit fahren. Wir forschen aber auch in Richtung Ammoniak, Wasserstoff und andere synthetische Brennstoffe, die klimaneutral und skalierbar hergestellt werden können. Wir haben das Ziel, bereits 2040, also zehn Jahre vor den Vorgaben von Paris, in allen Geschäftsbereichen klimaneutral zu sein.
Ist das nicht zu ehrgeizig?
Das ist eine große Herausforderung. Aber man braucht feste Ziele. Wenn die Amerikaner damals nicht gesagt hätten, wir fliegen zum Mond, wären sie heute noch nicht oben gewesen. Die A.P. Moller-Stiftung hat in Kopenhagen für 400 Millionen dänische Kronen (rund 54 Millionen Euro) ein firmenunabhängiges, großes Forschungszentrum für die Dekarbonisierung der Schifffahrt eingerichtet, an dem sich viele Motorenbauer, Brennstoffhersteller, öffentliche Stellen und Reedereien beteiligen – teils indem sie ihre Experten dorthin entsenden.
Es gibt ja schon klimaneutrale Kraftstoffe.
Ja, aber noch nicht in ausreichenden Mengen. Wir nutzen auf einzelnen Schiffen in der Flotte bereits klimaneutrale Bio-brennstoffe, die etwa aus alten Speisefetten hergestellt werden. Die sind aber nur begrenzt verfügbar, und das ist technisch auch nicht ganz einfach umzusetzen. Es bedarf großer Anstrengungen, um diese Herausforderung zu lösen. Das kann nicht eine Firma allein schaffen. Politik, Wirtschaft und Forschung müssen an einem Strang ziehen. Auch viele unserer Kunden fordern inzwischen emissionsfreie Transporte.
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Die Maersk-Gruppe versucht in allen Gliedern der Lieferkette Einfluss zu nehmen. Es heißt sogar, Hamburg Süd steige jetzt ins Luftfahrtgeschäft ein. Stimmt das?
Ja, das stimmt. Hamburg Süd ist eine starke Marke, die eine enge Bindung an ihre Kunden hat. Wir verstehen uns als eine Art Boutique-Hotel, in dem wir auf die individuellen Wünsche unserer Kunden eingehen. Dazu gehören auch Luftfrachttransporte. Wir profitieren als Maersk-Tochter von der Übernahme der Hamburger Spedition Senator International, die sehr stark im Luftfrachtgeschäft ist. Es gibt beispielsweise jedes Jahr in China zum chinesischen Neujahrsfest eine hohe Nachfrage nach Kirschen, dicken, frischen Kirschen. Die kommen aus Chile. Bisher fuhren wir sie mit dem Schiff nach China. Jetzt bringen wir sie auch durch die Luft. Die Kirschen kosten in China 40 bis 50 Dollar das Kilogramm, aber die Chinesen zahlen das. Wir haben auch kürzlich mit Hermes, die ja die Logistik für die Otto Group machen, einen mehrjährigen Vertrag geschlossen, der neben Schiffs- und Hinterlandtransporten oder der Zollabfertigung auch Luftfracht beinhaltet. Das erhöht die Stabilität von Lieferketten. Fällt ein Glied wegen einer Störung aus, können wir die Ladung noch auf anderem Wege zu den Kunden bringen.
Die Spediteure werfen Ihrem Unternehmen Hamburg Süd vor, es dränge sie bei der Ausweitung ihrer Logistikangebote aus dem Geschäft. Stimmt der Vorwurf?
Nein. Richtig ist, dass wir in der Corona-Pandemie festgestellt haben, dass wir eine Vereinfachung und engere Bindung der Lieferketten benötigen. Die Maersk-Gruppe will ein One-Stop-Shop werden, ein Logistikanbieter von der Fabrik bis zum Sofa zu Hause. Dazu benötigen wir eine starke, einheitliche IT und starke Glieder in der gesamten Transportkette, die möglichst aus einer Hand kommen. Die Behauptung, wir wollten nicht mehr mit den Spediteuren zusammenarbeiten, stimmt so nicht. Hamburg Süd als Teil der Maersk-Gruppe konzentriert sich nur auf bestimmte Kundengruppen, für die unser sehr persönliches und enges Service-Angebot besonders gut passt. Das gilt nicht für die gesamte Maersk-Gruppe, wo Spediteure etwa bei Maersk weiterhin buchen können.
HHLA und Eurogate haben ihre Fusionsbemühungen erst einmal auf Eis gelegt. Wären Sie dafür gewesen?
Das ist schwer zu beurteilen. Wenn die Terminalbetriebe zusammen effizienter und schneller werden, haben alle etwas von einer Fusion. Auf der anderen Seite benötigen wir natürlich einen fairen Preis, also muss der Wettbewerb funktionieren. Wenn so ein Zusammenschluss aber zum Wohle der Reedereien und damit auch unserer Kunden funktioniert, haben wir nichts dagegen.