Hamburg. Hans-Joachim Flebbe spricht über veränderte Gewohnheiten, die Krise der Branche und die Situation seiner eigenen Lichtspielhäuser.

Seit rund 50 Jahren lebt Hans-Joachim Flebbe für das Kino – und bis vor Kurzem gab er sich stets zuversichtlich, was die Zukunftsaussichten der Lichtspielhäuser angesichts der Konkurrenz aus dem Internet angeht. Doch über die jüngsten Branchenzahlen kann auch der Hamburger Kinounternehmer nicht hinwegsehen. Im ersten Halbjahr 2022 sind die Besucherzahlen bundesweit um 38 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum aus dem Vor-Corona-Jahr 2019 zurückgegangen. In Hamburg kamen in den ersten sechs Monaten 1,15 Millionen Menschen, 2019 waren es noch 1,86 Millionen Gäste.

Nach der Corona-Krise mache sich nun die Strukturkrise der Kinos in aller Schärfe bemerkbar, glaubt Flebbe: „Die Menschen haben sich in den beiden vergangenen Jahren an Streaming-Dienste wie Netflix gewöhnt“, sagt er. „Einen Großteil des jüngeren Publikums haben wir wohl dauerhaft an die Online-Wettbewerber verloren.“

Kino Hamburg: Astor-Eigentümer befürchtet "Kino-Sterben“

Hinzu komme die „nach wie vor latent vorhandene Angst vor einer Ansteckung in großen Räumen“, auch wenn die sich im Hinblick auf Kinos als unbegründet erwiesen habe. Die Besucherrückgänge seien für etliche Filmtheaterbetreiber jedenfalls „existenzbedrohend“, so Flebbe. „Ich befürchte zum Jahresende ein großes Kino-Sterben.“

Über seine eigene Kino-Gruppe – ihm gehören die Astor Film Lounge in der HafenCity und das Savoy am Steindamm sowie acht weitere Premium-Lichtspielhäuser in Berlin, München, Frankfurt, Köln, Braunschweig und Hannover – sagt er allerdings: „Wir sind die Ausnahme in der Branche.“ Die Astor-Häuser schneiden nach seinen Angaben mit einem Besucherrückgang von 18 Prozent in den ersten sechs Monaten deutlich besser ab als die Konkurrenz insgesamt.

„Bei uns soll der Kinobesuch etwas Besonderes sein“

„Unseres ist offensichtlich das Konzept, das den Rückgängen am besten trotzen kann“, sagt Flebbe. So sind in den Astor-Filmtheatern unter anderem ein Begrüßungsdrink, ein kostenloser Garderobenservice und Bedienung am Platz üblich: „Bei uns soll der Kinobesuch etwas Besonderes sein.“ Dafür kostet ein Ticket immerhin zwischen 12,50 und 18,50 Euro (für 3-D-Filme).

Zwar räumt Flebbe angesichts der zuletzt drastisch gestiegenen Lebenshaltungskosten ein, dass ein Kinoabend bei vielen Menschen zunehmend als „Luxusgut“ gelte, an dem man sparen könne. Von „Dumpingangeboten“ großer Wettbewerber wie den 5,99-Euro-Tickets bei Cinemaxx – bis 2008 war Flebbe dort Vorstandschef – unter anderem am Dammtor hält er dennoch nichts.

Auch die Mieten sind gestiegen

Denn schließlich legten auch die Kosten im Kinogeschäft aktuell kräftig zu. Das betreffe nicht nur die Energie. Mieten seien zumeist an einen Inflationsindex gekoppelt. „Und ich habe im Moment täglich Lieferanten und Dienstleister in meinem Büro, die mir erklären, sie müssten ihre Preise nun leider um zehn bis 14 Prozent anheben“, berichtet Flebbe. Darüber hinaus steigen die Personalkosten durch die Anhebung des Mindestlohns.

Zwar gibt es inzwischen keinen Doorman mehr, der die Gäste am Eingang begrüßt, und auch der Parkservice ist eingestellt worden. Aber am Grundkonzept in den Astor-Kinos soll sich nichts ändern, sagt Flebbe. „Wir haben uns vorher mehr Personal geleistet als andere und das wollen wir auch durchziehen.“ Eine Preiserhöhung werde sich „irgendwann aber nicht mehr vermeiden lassen.“

"Tickets waren am Wochenende häufig ausverkauft"

Flebbe setzt darauf, dass es seinen Gästen nicht so sehr auf einen Euro mehr oder weniger für ihr Kinoerlebnis ankommt. Bisher habe sich das Konzept bewährt: „Vor Beginn der Pandemie mussten wir viele Buchungswünsche ablehnen, weil die Tickets am Wochenende häufig ausverkauft waren. Jetzt sind wir immer noch gut gebucht.“

Eines zeichnet sich nach der Beobachtung des Lichtspiel-Unternehmers deutlich ab: Sogenannte Blockbuster-Filme wie etwa der jüngste „James Bond“-Streifen oder „Top Gun: Maverick“ laufen noch immer vergleichsweise gut. „Alles, was etwas anspruchsvoller ist, leidet dagegen massiv.“ Zu den Hoffnungsträgern der nächsten Monate gehören laut Flebbe unter anderem die in der kommenden
Woche startende Hollywood-Komödie „Ticket ins Paradies“ mit Julia Roberts und George Clooney: „Das ist klassisches Gute-Laune-Kino.“

„Das sind tolle Dialoge"

Ebenfalls noch in diesem Monat kommt „Tausend Zeilen“ von Michael „Bully“ Herbig – ein Film, der auf der Affäre um die teils erfundenen Reportagen des früheren „Spiegel“-Redakteurs Claas Relotius beruht und daher nach Einschätzung von Flebbe gerade für das Hamburger Publikum interessant sein kann. Ende Oktober steht die Komödie „Der Nachname“ von Sönke Wortmann an. „Das sind tolle Dialoge, ich habe mich köstlich amüsiert“, sagt Flebbe. Besonders große Erwartungen ruhen aber auf dem Science-Fiction-Epos „Avatar 2“, das im Dezember in die Kinos kommt. Der Vorgänger aus dem Jahr 2009 war immerhin der erfolgreichste Film aller Zeiten.

Ticketpreise gesunken
Trotz der Corona-Krise hat sich die Zahl der Kinoleinwände in Deutschland seit 2019 praktisch nicht verändert. „Den staatlichen Hilfen sei Dank, die haben in dieser Hinsicht gut funktioniert“, sagt dazu Peter Dinges, Vorstand der Filmförderungsanstalt. Wie es nach dem Auslaufen der Hilfen weitergehe, müsse sich aber erst zeigen. Für das zweite Halbjahr könnten „schmerzliche Entwicklungen realistischerweise leider nicht ausgeschlossen werden“, so Dinges. Während bundesweit der durchschnittliche Eintrittspreis gegenüber dem ersten Halbjahr 2019 um sieben Prozent auf 9,21 Euro zulegte,  ist er in Hamburg um acht Prozent auf 9,07 Euro gesunken. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Kinos in Hamburg von 32 auf 33 Filmtheater.

„Meine Hoffnung ist, dass sich der neue Film als Werbung für das Kinoerlebnis mit der großen Leinwand und beeindruckenden Soundeffekten erweist“, so Flebbe. Allerdings läuft zum Kinostart noch die Fußballweltmeisterschaft: „In diesem Jahr kommt wirklich alles an Belastungen zusammen.“

Kino Hamburg: Neues Projekt im Übersee-Quartier

Doch auch mittelfristig muss sich die Kinobranche nach Einschätzung von Flebbe auf magerere Zeiten einstellen. „Früher hatten wir pro Jahr ungefähr 120 Millionen Kinobesucher in Deutschland. Mehr als 70 bis 80 Millionen Gäste werden wir künftig wohl nicht mehr erreichen.“ In Hamburg verteilt sich das Publikum zudem in absehbarer Zeit auf noch deutlich mehr Sessel: Schließlich soll im Frühjahr 2024 im Übersee-Quartier das größte Kino der Stadt eröffnen, ein „Premium-Multiplex“-Standort mit insgesamt mehr als 2300 Sitzplätzen. Betreiber ist die Kinopolis-Gruppe aus Darmstadt.

Flebbe hatte sich selbst darum beworben, dort ein weiteres Lichtspielhaus eröffnen zu können, aber das war kurz vor der Pandemie. Um ein solches Projekt auch unter den aktuellen Bedingungen noch zu realisieren, sagt er, „braucht man schon ziemlich viel Mut“.