Hamburg. AGA-Chef Kruse verlangt Weiterbetrieb „für bis zu zwei Winter“. Auch Industriechef hält Kaltreserve nicht für ausreichend.

Immer mehr Hamburger Betriebe sehen die aktuelle Energiekrise als existenzbedrohend an. Jetzt gehen die hiesigen Wirtschaftsverbände mit der Energiepolitik von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hart ins Gericht: Sowohl Handel als auch Industrie fordern eine längere Laufzeit der Kernkraftwerke. Sie reagieren damit auf Habecks Beschluss, am Ausstieg aus der Atomenergie festzuhalten und lediglich zwei Kraftwerke als Kaltreserve behalten zu wollen.

„Die Vernunft fordert den Weiterbetrieb aller Kernkraftwerke für bis zu zwei Winter“, sagte der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbands AGA, Hans Fabian Kruse, dem Abendblatt. „Wenn Ideologen um jeden Preis keinen Weiterbetrieb wollen, sollen sie es klar sagen. Ein undefiniertes Hinausschieben durch die aktuelle Entscheidung bringt niemandem etwas.“

Energiekrise: Status der „Kaltreserve“ nicht machbar

Auch der Vorsitzende des Industrieverbands Hamburg (IVH), Matthias Boxberger, hält von der Versetzung zweier Kernkraftwerke in den Reservestatus nichts: „In Anbetracht der aktuell angespannten Situation ist die Ankündigung, die noch verfügbaren Kernkraftwerke in Betracht zu ziehen, längst überfällig“, sagte er dem Abendblatt. Aber es bedürfe schneller, entschlossener Schritte, den angespannten Energiemärkten Liquidität zur Verfügung zu stellen.

„Wir erwarten, dass die Bundesregierung ideologiefrei und pragmatisch alle verfügbaren Optionen möglich macht, die zu einer preislichen Beruhigung der Märkte führt. Die jetzige Entscheidung einer Kaltreserve der Kernkraftwerke wird dazu kein ausreichendes Signal sein“, mahnt Boxberger. Zusätzlichen Druck erhielt die Diskussion am Mittwoch durch einen aktuellen Brief der Betreiberfirma Preußen Elektra an Habeck, wonach die Versetzung eines Kernkraftwerks in den Status der „Kaltreserve“ nicht machbar sei.

Kritik auch von FDP-Landeschef

„Ganz offenkundig ist der Vorschlag von Wirtschaftsminister Habeck nicht mit den Betreibern der Kernkraftwerke abgestimmt“, monierte der Bundestagsabgeordnete und Hamburger Landesvorsitzende der FDP, Michael Kruse. Das sei äußerst bedauerlich, denn schon der zweite Stresstest sei das Ergebnis einer Prüfung seitens des Wirtschafts- und Umweltministeriums, die die fachliche Expertise der Kraftwerksbetreiber ignoriert habe. „Robert Habecks Vorschlag hält einer vertieften fachlichen Prüfung offenkundig nicht stand“, kritisierte Kruse, dessen Partei der Ampelkoalition angehört.

Wie berichtet sehen sich einer Umfrage der Handelskammer zufolge 42 Prozent der Hamburger Betriebe aufgrund der Strom- und Gaspreisanstiege in ihrer Existenz gefährdet. Im produzierenden Gewerbe betrifft dies sogar 62 Prozent der befragten Firmen. „Die Regierung muss sofort alle verfügbaren Energiequellen aktivieren“, mahnt AGA-Präsident Kruse.