Hamburg. Im Vorfeld der Leitmesse des Schiffbaus SMM wird deutlich: nicht Digitalisierung, Klimaschutz und Energiepreise sind das Hauptproblem.

In der vergangenen Woche hat erstmals ein Minenjagdboot der Marine im Werfthafen des im Aufbau befindlichen Marinearsenals in Rostock-Warnemünde festgemacht. Der Bund hat das Gelände nach der Insolvenz der MV Werften gekauft. In Zukunft sollen hier Marineschiffe gewartet und repariert werden. Bis zu 500 Menschen hätten dann wieder Arbeit. Es ist ein Lichtschimmer an einem ansonsten tiefschwarzen Horizont in der deutschen Schiffbauindustrie.

Vor der Insolvenz, die der asiatische Tourismuskonzern Genting im Januar verkündete, waren an den Standorten Wismar, Warnemünde und Stralsund weit mehr als 2000 Mitarbeiter beschäftigt. Hinzu kamen 300 Beschäftigte bei der Lloyd Werft in Bremerhaven, für die Genting ebenfalls das Aus verkündete. Der Konzern hatte sich verspekuliert. Er wollte in Deutschland riesige Kreuzfahrtschiffe wie die „Global Dream“ für den asiatischen Markt bauen. Dann kam Corona.

Schiffbau in seiner Existenz bedroht

Das Ende der MV Werften ist exemplarisch für den Zustand, in dem sich die Branche hierzulande befindet. In der Bewertung der Lage des deutschen Schiffbaus sind sich Industrie und Gewerkschaften einig: Er ist in seiner Existenz bedroht. „Ohne durchgreifende Veränderung der politisch definierten Rahmenbedingungen wird Europa in den kommenden zehn Jahren die Fähigkeit zum zivilen Seeschiffbau in signifikantem Umfang verlieren“, sagte Harald Fassmer, Chef der familieneigenen Fassmer Werft und Präsident des Verbands Schiffbau und Meerestechnik (VSM), bei einer Verbandskonferenz vor einigen Wochen.

Der Bezirksleiter der IG Metall Küste, Daniel Friedrich, benennt die Gründe: „Wir kommen in die existenzgefährdende Situation, dass die Basis des Schiffbaus abgeht. Wir haben Standortschließungen und einen Abbau bei der Beschäftigung. Wir steuern darauf zu, dass wir in der Branche eine so geringe Größe einnehmen, dass wir Forschung und Entwicklung nicht mehr selbst gestalten können.“

Zahl der Schiffsbauer stark gesunken

Das war mal anders. Das Wirtschaftswunder und das Anspringen der Globalisierung hatte dem deutschen Schiffbau zwischen 1960 und Anfang der 1990er-Jahre eine Blütezeit beschert. 1960 waren allein auf den großen Werften in Hamburg etwa 30.000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt, weitere 10.000 auf den vielen mittleren und kleineren Werften. 1961 wurde in der Hansestadt die Weltleitmesse des Schiffbaus ins Leben gerufen, die heutige SMM (siehe Infokasten). Dass sie auch in dieser Woche wieder in der Hansestadt stattfindet, ist dieser Tradition geschuldet, nicht der tatsächlichen Bedeutung des Standorts. In Hamburg gibt es nur noch einige 100 Schiffbauer.

Denn die für Werften glückliche Zeit ist vorbei. Führte man den Niedergang der Bremer Vulkan Werft Mitte der 1990er-Jahre noch auf Managementfehler zurück, so zeigte sich doch, dass chinesische und koreanische Werften ihren deutschen Konkurrenten im Frachtschiffbau den Rang abgelaufen hatten. Auch die erste Insolvenz der Hamburger Sietas Werft hatte in dieser Verschiebung der Gewichte ihren Grund – ebenso der schleichende Niedergang von Blohm+Voss.

Aufträge gehen an Werften in China und Korea

Dieser Prozess ist weiter fortgeschritten. Mit 54 Schiffen im Gesamtwert von 15 Milliarden Euro ist der Auftragsbestand des zivilen deutschen Schiffbaus nach Verbandsangaben zum Ende des Jahres 2021 auf den niedrigsten Wert seit sechs Jahren gefallen.

Schiffbaumesse SMM
In den Hamburger Messehallen findet von Dienstag bis Freitag die international größte Schiffbaumesse statt, die SMM. Messechef Bernd Aufderheide erwartet 2000 Aussteller aus 70 Nationen und 40.000 Fachbesucher aus aller Welt. Alle Hallen seien komplett belegt, sagte er. Im Mittelpunkt der Branchen-Veranstaltung stehen Lösungen für die Energiewende in der Schifffahrt und für die digitale Transformation. Gezeigt werden unter anderem Schiffsmotoren, die auch mit Methanol betrieben werden können. Großen Raum nehmen Innovationen in der Ausstattung von Kreuzfahrtschiffen ein.

Die Zahlen des VSM zeigen: Im weltweiten Schiffbau spielen Deutschland und Europa nur noch eine untergeordnete Rolle. 2021 nahmen die Schiffsbestellungen in Europa im Vergleich zum ex­trem schlechten Vorjahr noch einmal um 20 Prozent ab. Und das bei einer gleichzeitigen Verdopplung der globalen Schiffbaunachfrage. Inzwischen gehen 85 Prozent aller Aufträge weltweit an Werften in China und Korea. Europas Marktanteil im Schiffbau ist auf unter vier Prozent gefallen. „Dabei hatten wir einmal 45 Prozent“, so die nüchterne Analyse von Verbandspräsident Fassmer.

Schiffbauer fühlen sich im Stich gelassen

Zunächst konnten sich deutsche Werften gegenüber Asien nach dem Verlust der Frachtschiffe noch auf dem Feld des Spezialschiffbaus behaupten, doch auch dieses Segment wird ihnen inzwischen streitig gemacht. Und Corona löste die Krise im Passagierschiffbau aus. Der Grund für die massive Bedrohungslage ist nach Ansicht von Industrie und Gewerkschaften die hohe Subventionierung des Schiffbaus in China und Korea, die es in Deutschland und Europa so nicht gibt. Von Brüssel und Berlin fühlen sich die Schiffbauer im Stich gelassen.

„Ich glaube, weite Teile der Politik und der Industrie haben noch nicht verstanden, dass es nicht nur um die Rettung der Wirtschaft geht ,sondern um die Frage, wie wir unsere Zukunftsfähigkeit in der globalen Wirtschaft erhalten“, sagt IG-Metall-Bezirksleiter Friedrich. „Die Kompetenz für den Bau von Handelsschiffen an China zu verlieren ist das eine: China expandiert aber auch über die Seidenstraßenstrategie in viele Häfen weltweit. Dieses zusammen könnte dazu führen, dass China uns diktiert, wo und wie der globale Handel abläuft und was wir über die Weltmeere beziehen. “

„Wir müssen die Wertschöpfung wieder zurückholen"

Schon heute ist die maritime Wirtschaft in Deutschland überdurchschnittlich stark von Lieferungen aus der Volksrepu­blik abhängig. Deutsche Reeder haben im vergangenen Jahr Schiffsneubauten im Wert von vier Milliarden Euro bestellt. 55 Prozent davon gingen nach China, 44 Prozent nach Korea. „Wir müssen die Wertschöpfung wieder zurückholen, das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa, denn wir als Nation sind zu klein, um uns mit China zu messen“, sagt Friedrich.

Das ist für ihn nicht nur ein Auftrag an die Politik, sondern an die Werften selbst. Und auch an andere: „Hapag-Lloyd und andere deutsche Reedereien verdienen sich gerade eine goldene Nase. Warum müssen die ihre Schiffe im Ausland bauen lassen? Wenn man sich anschaut, wie der deutsche Staat die Reeder in der Vergangenheit unterstützt hat, ist es jetzt mal an der Zeit, davon etwas zurückzugeben. “

Bau von Megayachten durch Krieg gebremst

Ein weiteres Standbein – der Bau von Megayachten – wird durch den Ukraine-Krieg und die Russland-Sanktionen ausgebremst. Für viele russische Oligarchen sind Neubau-, Umbau- und Reparaturaufträge an deutsche Werften erst einmal keine Option. Die Hamburger Traditionswerft Blohm+Voss hat 123 Stellen abgebaut. „Wir können nur hoffen, dass der Konflikt schnell beigelegt wird und sich der Markt wieder normalisiert“, sagt VSM-Präsident Fassmer.

Gewerkschafter Friedrich sieht die Lage im Bereich Megayachten weniger bedenklich:„Grundsätzlich werden trotz oder gerade mit der Krise die Reichen noch reicher. Deshalb glaube ich nicht, dass der Markt für Superyachten zusammenbricht, selbst wenn er durch den Wegfall der russischen Oligarchen eine kleine Delle erlebt.“

Schiffbau: Zahlen sollen bei der SMM vorgelegt werden

16.700 Mitarbeiter zählten Deutschlands Werften nach der Schiffbauumfrage der IG Metall Küste im vergangenen Jahr. Es dürften in diesem Jahr nicht mehr geworden sein. Bei der Messe SMM will die Gewerkschaft am Freitag die Zahlen einer aktuellen Branchenstudie vorlegen. Friedrich: „Sollten wir bei den Beschäftigtenzahlen zumindest eine Stabilisierung hinbekommen, wäre mir um die Zukunft der Branche weniger bange.“