Hamburg. Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste, wirft dem asiatischen Eigentümer nach der Insolvenz schwere Versäumnisse vor.

Es ist eine der größten Werftenpleiten der deutschen Geschichte: Am Montag meldeten die MV Werften im Mecklenburg-Vorpommern Insolvenz an. Das Abendblatt sprach mit dem Bezirksleiter der IG Metall Küste, Daniel Friedrich, über die Gründe und über die Lage der Schiffbauer insgesamt.

Hamburger Abendblatt: Erst ging die Werft Nobiskrug in die Insolvenz, dann Pella Sietas, jetzt die MV Werften. Steckt der zivile deutsche Schiffbau in einer schweren Krise?

Daniel Friedrich: Ja. Wir haben schon eine Krise, die an vielen Stellen deutlich wird. Gerade im Passagierschiffbau ist die Lage derzeit sehr problematisch. Es gibt aber auch positive Signale. Denken Sie an Emden, wo jetzt sechs neue Schiffe gebaut werden, und auch im Marine-Bereich sieht es ganz gut aus.

Ist Corona an allem schuld?

Friedrich: Nicht an allem. Aber es ist schon so, dass infolge von Corona gerade der Bereich der Werftindustrie, der in den vergangenen Jahren gewachsen ist und für Beschäftigung sorgte, nämlich der Kreuzfahrtschiffbau, eingebrochen ist – und dass die Reedereien weniger Geld in der Kasse haben. So auch Genting, weshalb die MV Werften jetzt stehend k. o. sind.

Hinter Nobiskrug stand Privinvest, eine Gruppe aus Abu Dhabi, bei Sietas war es die russische Pella Gruppe, bei MV Werften der malaysische Vergnügungskonzern Genting. Sind die ausländischen Investoren für Sie noch immer die einst gefeierten weißen Ritter der deutschen Werften?

Friedrich: Das Bild hat auf jeden Fall einen Kratzer. Es hat sich nämlich gezeigt, dass in dem Moment, in dem Probleme auftreten, ausländische Investoren weit weg sind. In der Corona-Krise konnte man nicht mal eben nach Asien fliegen und Dinge von Angesicht zu Angesicht besprechen. Aber daran sind die MV Werften nicht zugrunde gegangen.

Sondern?

Friedrich: Genting ist kein klassischer Schiffbauer. Deren Geschäftsmodell heißt: Glücksspiel auf Kreuzfahrten. Dazu benötigte der Konzern Schiffe, und da der Markt sie ihm nicht ausreichend geben konnte, hat das Unternehmen entschieden, sich die Schiffe selber zu bauen. Das war das Grundproblem. Eine Werft sucht sich ihre Kunden und will Schiffe bauen.

Genting hat sich in Mecklenburg-Vorpommern komplett an den Bau von Kreuzfahrtschiffen geklammert. Nun hat man ein halb fertiges Schiff und keine weiteren Aufträge. War der Einstieg also ein Fehler?

Friedrich: Es ist immer ein Fehler, nur auf eine Monostruktur zu setzen. Das hat die Corona-Krise noch mal mehr gezeigt. Wir haben in den vergangenen anderthalb Jahren immer wieder deutlich gemacht, dass man nicht nur auf dieses eine Pferd setzen darf und Zukunftsperspektiven haben muss, aber Genting hat sich in dieser Hinsicht nicht bewegt.

Mecklenburg-Vorpommern ist mit Sicherheiten über 300 Millionen Euro in der Haftung. Genting verlangt jetzt 78 Millionen Euro zusätzlich. Auch die IG Metall hat mit Blick auf die Jobs für Unterstützung gekämpft. Den Steuerzahler kann das jetzt teuer zu stehen kommen. War das falsch?

Friedrich: Die Grundsatzentscheidung war richtig. Die Werften im Mecklenburg-Vorpommern benötigten dringend eine neue Perspektive. Genting hat anfangs alle Zusagen eingehalten. Das Unternehmen hat gewaltige Summen in den Bau von neuen Kreuzfahrtschiffen und in die Beschäftigung gesteckt. Infolge der Krise wandelte sich Genting von einem Musterknaben zu einem egoistischen Konzern, der nur an sich selbst denkt. Das Unternehmen hat es nicht nur versäumt, nach anderen Schiffbauaufträgen zu schauen, sondern auch neue Perspektiven für die Standorte Stralsund und Bremerhaven zu entwickeln. Ich sage: wer Steuergelder einfordert, muss auch bereit sein, den Menschen vor Ort etwas zurückzugeben. Aber Genting ist sich selbst der Nächste. Den Vorwurf muss sich das Unternehmen gefallen lassen.

Genting hat die Lloyd Werft in Bremerhaven übernommen und dann vernachlässigt. Eigentlich sollten die Kreuzfahrtschiffe dort gebaut werden. Wie bewerten Sie das?

Friedrich: Auch hier hat das Unternehmen nur an sich selbst gedacht und der Region und den Beschäftigten die Zukunft kaputt gemacht. Im ersten Halbjahr 2021 wurde ein Verkauf beschlossen. Es gab Gespräche mit Investoren, wie eine Zukunftsperspektive für den Traditionsbetrieb aussehen könnte. Und dann entschied Genting plötzlich, vom Verkauf abzusehen mit der Begründung, man wisse ja noch nicht, ob man den Standort nicht noch benötige. So geht man nicht mit Menschen um. Genting hat den Standort Bremerhaven auf dem Gewissen.

Die Insolvenz
Der Konzern Genting Hongkong hat die Werften Wismar und Warnemünde im Jahr 2016 gekauft und mit dem Standort Stralsund zusammengeführt, um dort eigene Kreuzfahrtschiffe bauen zu lassen.  Zuvor hatte der Konzern bereits die Lloyd Werft Bremerhaven übernommen. Ursprünglich sollten die Schiffe dort entstehen. Die Arbeit ging dann aber nach Mecklenburg-Vorpommern, wo die für den asiatischen Markt konzipierte „Global Dream“ für bis zu 9500 Passagiere entstand. Doch immer wieder kam es zu Zahlungsproblemen, nicht zuletzt, weil Genting aufgrund der Corona-Krise selbst in finanzielle Bedrängnis geriet. Der Bund und das Land Mecklenburg-Vorpommern sollten den Weiterbau mit Staatshilfen stützen.  Am Ende  konnte man sich nicht einigen, weil Genting kein weiteres eigenes Geld gab. Bei der Insolvenzanmeldung am Montag war das Schiff zu 75 Prozent fertiggestellt. 1900 Arbeiter bei den MV Werften und mehr als 300 bei der Loyd Werft Bremerhaven bangen nun um ihre Jobs. 

Für den Bau von Kreuzfahrtschiffen benötigt man auch viele Zulieferbetriebe. Reden wir also nicht über 2000, sondern womöglich über 20.000 Jobs, die gefährdet sind?

Friedrich: Ob es 10.000 oder 20.000 Jobs sind, weiß ich nicht. Viele Zulieferbetriebe hängen an den MV Werften. Wir haben sogar Extra-Ansiedelungen in Wismar von kleineren Betrieben gehabt, die von Genting voll eingespannt wurden und jetzt gefährdet sind. Deshalb muss die „Global Dream“ auch dringend fertiggestellt werden. Sie darf nicht zur Investitionsruine werden. Es wird die große Aufgabe des Insolvenzverwalters sein, einen Investor zu finden. Und dann benötigen die Werften neue Perspektiven. Etwa im Bereich der emissionsfreien Schifffahrt kommt auf den Schiffbau vieles zu. Und mit dem wieder an Fahrt aufnehmendem Ausbau von Offshore-Windkraft braucht man neue Schiffe und Umspannplattformen, die von deutschen Werften hergestellt werden könnten. Schließlich müssen Stralsund und Bremerhaven möglichst schnell verkauft werden. Da die Werften dort noch im Eigentum von Genting sind, darf das Unternehmen das nicht blockieren.

Blicken wir nach Hamburg: Wie bewerten Sie, dass die Lürssen Gruppe als Mutterkonzern von Blohm+Voss auf der Werft 133 weitere Stellen abbauen will?

Friedrich: Angesichts der Tatsache, dass die Auftragslage im militärischen Schiffbau gut ist und es auch im zivilen Schiffbau weitere Aufträge gibt, kann man angesichts des bevorstehenden Fachkräftemangels Lürssen nur zurufen, die Leute zu behalten. Sie werden jeden Mann brauchen.

Für Pella Sietas ist endgültig Schluss?

Friedrich: Ich fürchte, dass es so kommt. Das ist ganz schmerzlich, dass Deutschlands älteste Werft geschlossen wird. Vom Senat fordern wir aber, die Flächen für die Industrie zu erhalten.