Neuenfelde. Auf einem der größten Höfe Deutschlands, dem Bio-Hof Münch, wird eine außergewöhnliche Apfelernte erwartet. Wie diese funktioniert.

Ein Roboter greift die 300 Kilogramm schwere Obstkiste vom Boden und leert sie über einem Wasserbad. „Die Äpfel zunächst in Wasser zu bewegen ist die schonendste Art des Transports, um Druckstellen zu vermeiden“, sagt Marco Bartels vom Pack- und Logistikzentrum Bio Obst Münch. Der Frühapfel Delbarestivale ist neben Santana einer der ersten, der hier in Neuenfelde in der modernsten Packstation Nordeuropas abgepackt wird: in Acht-Kilogramm-Kisten oder in kleinen Pappschalen, bei denen die Folie durch ein Papierband ersetzt wird.

Noch sind erst zwei der insgesamt sechs Abpacklinien in Betrieb, aber das wird sich schon in der kommenden Woche ändern, wenn immer mehr Äpfel vom Bio-Hof Münch in Hollern-Twielenfleth und aus anderen Bio-Betrieben des Alten Landes angeliefert werden. Bereits in wenigen Tagen werden die ersten Elstar erwartet. Bis zu 30 Beschäftigte arbeiten hier.

Altes Land: Obstbauern erwarten sehr gute Apfelernte

Die Obstbauern an der Niederelbe, wozu auch das Alte Land als Kernanbaugebiet gehört, sind in Erwartung einer sehr guten Apfelernte – ob als Bioware oder aus dem konventionellen Anbau. Das Alte Land gilt als das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet Nordeuropas. Die Apfelernte an der Niederelbe wird die Marke von insgesamt 300.000 Tonnen in diesem Herbst überschreiten.

„Wir werden rund 320.000 Tonnen Äpfel ernten, ungefähr fünf Prozent mehr als im Vorjahr“, sagt Claus Schliecker, Vorsitzender der Fachgruppe Obstbau im Landvolk Niedersachsen. „Die Äpfel haben einen hohen Zuckergehalt, das sehen wir an Frühsorten wie Delbarestivale oder Sweet Tango. Sie schmecken lecker süß und haben ein tolles Aroma.“

Mildes Frühjahr verhilft zu der guten Ernte

Schon im Frühjahr wurden die Voraussetzungen für eine gute Ernte gelegt. „Ein verhältnismäßig mildes Frühjahr mit besten Blüh- und Befruchtungsbedingungen für die Bienen verhelfen den Obstbauern zu der guten Ernte“, sagt Matthias Görgens, stellvertretender Leiter der Obstbauversuchsanstalt in Jork. Die Obstblüte wurde kaum durch Nachtfröste beeinträchtigt. Denn sonst müssen die 550 Betriebe mit insgesamt 10.000 Hektar Fläche zwischen Cuxhaven und Hamburg – ab sechs Grad minus – Wasser zum Schutz auf die Knospen sprühen.

„In diesem Jahr mussten wir die Frostschutzberegnungsanlagen nur dreimal anschalten“, sagt Obstbauer Claus-Peter Münch, der Schwiegervater von Marco Bartels. Münch führt zusammen mit seiner Frau in Hollern-Twielenfleth einen der größten Biotafelobstbetriebe in Deutschland, sein Schwiegersohn Marco kümmert sich um Vertrieb und Logistik.

Äpfel mit Schorfflecken werden aussortiert

Vier Äpfel in einer Pappschale zu verpacken kommt einem Puzzlespiel gleich, denn die vier Früchte müssen zusammen 550 Gramm wiegen, nur wenige Gramm Toleranz sind erlaubt. Die vollautomatische Kartonschalenmaschine wiegt jeden Apfel einzeln und platziert dann vier mit dem passenden Gewicht auf einer Pappschale. „Für größere Gebinde verwenden wir Zellulosenetze statt Plastikbeutel“, sagt Bartels. Doch Kisten mit sieben oder acht Kilo Inhalt, die an die Bioläden und den Lebensmitteleinzelhandel geliefert werden, müssen noch per Hand befüllt werden.

Gleichzeitig können Äpfel mit Schorfflecken aussortiert werden. Für die Selbstbedienung im Supermarkt müssen die Äpfel noch automatisch als Bio-Ware gekennzeichnet werden, etwa mit einem kleinen Demeter-Aufkleber. Die Mitarbeiter an den Sortierlinien legen die Früchte in Kisten, die automatisch gewogen werden.

„Wir haben die Preise nicht erhöht"

Vollständig befüllt fädeln sich die Kisten automatisch in ein Transportsystem ein und landen am Ende auf der Palette, für die sie bestimmt. Strichcodeetiketten dienen als Wegweiser. Von hier aus wird dann der Lebensmitteleinzelhandel mit Edeka, Kaufland, Teegut sowie Alnatura und anderen Bioläden beliefert.

„Wir haben die Preise gegenüber unseren Abnehmern nicht erhöht, obwohl die Kosten gestiegen sind“, sagt Münch. Eine sinkende Nachfrage nach seinen Bioäpfeln spürt er nicht. „Wir setzen darauf, dass sich die Leute weiterhin gesundheitsbewusst ernähren wollen.“ Während der Corona-Pandemie war die Nachfrage nach Bioprodukten stark angestiegen.

„Unsere Logistik ist verlässlich"

„Wir haben einen Außendienstmitarbeiter eingestellt, der Supermärkte besucht“, sagt Bartels. „Denn wir haben festgestellt, je besser und vielfältiger die Äpfel präsentiert werden, desto größer ist dann auch die Nachfrage.“ Seit es mit Lieferketten aus dem Ausland Probleme gibt, sieht Bartels noch einen weiteren Vorteil: „Unsere Logistik ist verlässlich, Ware, die bis zum Nachmittag bestellt wird, wird am nächsten Tag ausgeliefert.“

Bis vor einigen Jahren lief der Packbetrieb noch in Hollern-Twielenfleth. Doch mit der Expansion des Bio-Hofes mussten größere Lösungen her. Der neue Standort in Neuenfelde ist auch verkehrsgünstiger gelegen. Eine vorhandene Halle wurde kernsaniert. „Wir haben einen mittleren einstelligen Millionenbetrag investiert“, sagt Bartels. Nicht nur die eigenen Äpfel werden hier sortiert, sondern auch die von anderen Höfen. Auf insgesamt 15 Prozent der Anbaufläche im Alten Land werden vorwiegend Bio-Äpfel angebaut. Die Halle mit großen Lagermöglichkeiten ist auf Wachstum ausgerichtet. „Wir nutzen erst 50 Prozent der vorhandenen Kapazität“, sagt Bartels.

Voll beladene Äste auf dem Münch-Hof

Wie gut die Apfelernte in diesem Jahr ausfällt, sieht der Besucher auf dem Münch-Hof an Bäumen, bei denen die Äste so voll hängen, dass sie fast brechen. „Wir rechnen in diesem Jahr mit einer Ernte von 3500 Tonnen, das sind 40 Prozent mehr als im Vorjahr“, sagt Münch. Die großen voll hängenden Bäume mit der Sorte Ingrid Marie stammen noch aus den 1960er Jahren. Nur mit Leitern können sie geerntet werden. Für Besucher ein nostalgischer Anblick, für einen Hof mit 120 Hektar Anbaufläche nur noch eine Liebhaberei aus der Vergangenheit auf einem winzigen Teil des Hofes.

Bis zu 2,5 Kilometer lang ziehen sich die Reihen mit den Apfelbäumen auf dem Hof von Münch. Jetzt in der Saison pflücken bis zu 80 Erntehelfer aus Rumänien die Äpfel. Die kleinen Traktoren ziehen fünf Großkisten mit je 300 Kilogramm hinter sich her – beladen mit Santana. „Je weiter man nach Süden kommt, umso süßer werden die Äpfel“, sagt Münch.

„Wir ernten 30 bis 35 Prozent weniger“

„Doch in diesem Jahr ist der Santana auch hier sehr süß geworden, hat ein sehr ausgewogenes Verhältnis zwischen Säure- und Zuckergehalt. Wir hatten ja vom Klima her hier schon norditalienische Verhältnisse.“ In der Baumreihe daneben hat der Topaz noch vier Wochen Zeit zum Reifen. Die Apfelernte erstreckt sich über insgesamt etwa acht Wochen.

Der biologische Anbau ist aufwendiger als der konventionelle, erfordert mehr Handarbeit und bringt zudem weniger Ertrag. „Wir ernten 30 bis 35 Prozent weniger“, sagt Münch. „Für die Schädlingsbekämpfung dürfen nur Mittel natürlichen Ursprungs wie Schwefel oder Schwefelkalk verwendet werden, aber sie sind nicht so wirkungsvoll wie chemische Mittel.“ Der Apfelwickler wird mit einem versprühten Virus bekämpft, das ohnehin in der Natur vorkommt. Wichtig für den Bioanbau sind auch schorfresistente Sorten wie Natyra oder Topaz.

„Ich habe mir alles selbst angeeignet"

Schon mit 21 Jahren als Philosophiestudent war Münch stolzer Besitzer eines kleinen Obsthofes mit 1,2 Hektar, geerbt von seinem Onkel. Münch kommt aus der Alternativbewegung und begann 1981 als einer der Ersten im Alten Land mit dem biologischen Obstanbau. „Ich habe mir alles selbst angeeignet“, sagt er. Anfangs belieferte er Reformhäuser mit der seltenen Ware. Nach der Familiengründung begann die Phase der Expansion.

„Wir pachteten Obstbauflächen und stellten sie auf biologischen Anbau um“, sagt Münch, der auch den Hof des Schwiegervaters übernahm, nachdem er bewiesen hatte, dass sich mit biologischem Anbau Geld verdienen lässt. Insgesamt wurden die Flächen von sechs angrenzenden Höfen gekauft oder gepachtet. Ein Glücksfall.

Altes Land: Unternehmen ist ein Familienbetrieb

„Wir sind zu einem Unternehmen geworden, das sich den Herausforderungen der Zeit stellt und viele Händler beliefern kann, aber immer noch ein Familienbetrieb geblieben ist“, sagt Schwiegersohn Marco. Wann immer es möglich ist, ziert ein Familienbild die Verpackung der Bioäpfel. So auch beim neuesten Produkt vom Bio-Hof Münch.

Es ist ein Apfelsecco, ein mit etwas Kohlensäure verperlter Wein. „Anfangs hatten wir nur eine alkoholfreie Variante, jetzt gibt es ihn auch mit Alkohol“, sagt Münch. Das Bioprodukt kommt vor allem in der Gastronomie gut an. Im Herbst soll erstmals auch ein Pflaumler und Birnler als Hochprozenter hinzukommen.