Hamburg. In der Corona-Zeit haben Ökohändler noch gute Geschäfte gemacht. Jetzt leiden sie unter steigenden Preisen und Discounterkonkurrenz.
Vor dem Geschäft parken Fahrräder, daneben stehen Einkaufswagen. Auf der anderen Seite der Eingangstür kann man an kleinen Tischen Kaffee und Kuchen bestellen oder auch nur eine kurze Verschnaufpause einlegen, wie das gerade eine ältere Dame macht. Der Biomarkt Barmbek ist ein richtiger Nachbarschaftsladen.
Im Schaufenster steht eine Tafel, die über ökologische Pflanzenzüchtung aufklärt. Daneben hat Inhaberin Katrin Krause ein großes Plakat gehängt: „Mitglieder kaufen günstiger“. Drinnen gibt es Gemüse und Obst, Milch, Kaffee, Tee, Müsli, Nudeln in Holzregalen – alles was man zum Leben braucht. Und noch ein bisschen mehr. Brot und Kuchen von verschiedenen Bio-Bäckern sind im Angebot. In einer großen Kühltheke liegen mehreren Dutzend Käsesorten aus biologischer Produktion. „Bis vor einigen Monaten habe ich gut verkauft“, sagt Krause. Damit ist es vorbei. „Jetzt sinken die Umsätze dramatisch.“ Und es ist klar, dass es mehr ist als das jährliche Sommerloch.
Einzelhandel Hamburg: Bioläden "durch Corona-Zeit verwöhnt"
An diesem Vormittag ist der Verkaufsraum fast leer. Ein Mitarbeiter bedient an der Käsetheke. Die Chefin steht in der Obst- und Gemüseabteilung, räumt Kisten weg und drapiert Ringelrüben, Äpfel und Kartoffeln. Als ein Kunde mit seinem Einkaufskorb an die Kasse tritt, eilt sie nach vorne. Einige Paprika, ein Stück Käse, drei Flaschen Mineralwasser sind schnell abkassiert. Eine andere kauft Kräuter, Käse und veganen Kuchen. Immerhin.
„Wir waren durch die Corona-Zeit verwöhnt, als die Menschen mehr Geld für Lebensmittel ausgegeben haben“, sagt Krause, die sich vor 23 Jahren mit ihrem Geschäft an der Fuhlsbüttler Straße selbstständig gemacht hat und zehn Mitarbeiter beschäftigt. Aber seit die Menschen wieder mehr unterwegs sind, die Preise für Lebensmittel im Rekordtempo steigen und viele wegen der Gasknappheit in Sorge vor dem nächsten Winter sind, hat sich das Blatt gewendet. „Inzwischen verkaufe ich weniger als vor der Pandemie.“ Besonders bitter: Krauses Geschäftsmodell, das zu einem Teil auf Mitgliedschaft basiert, verliert mehr Mitglieder als dazu kommen.
Umsatz im Biofachhandel sinkt deutlich
So wie die Bio-Händlerin aus Barmbek trifft es im Moment viele. Die Umsätze im Biofachhandel sind im ersten Halbjahr 2022 um im Schnitt 15 Prozent gesunken. Das geht aus dem Biohandel-Umsatzbarometer des Bioverlags hervor. Im Schnitt liegen sie damit noch leicht über der Vor-Coronazeit. Aber, wie eine Stichprobe des Abendblatts bei Händlern in Neugraben, Winterhude, Othmarschen und Hamm ergab, ist bei vielen das Umsatzminus mit 20 bis 30 Prozent deutlich höher als der Schnitt – bei gleichzeitig steigenden Kosten.
Kleine Händler in Stadtteilen mit weniger solventer Kundschaft sind besonders unter Druck. „Unter dem Eindruck von Inflation und Ukraine-Krieg sowie steigenden Kosten bei Energie, Mobilität und Alltagsversorgung achten Verbraucherinnen und Verbraucher beim Lebensmitteleinkauf derzeit generell verstärkt auf den Preis“, sagt die Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN), Kathrin Jäckel, der bundesweit 200 Bio-Händler vertritt.
"Verbrauchertreue bei Bio ungebrochen" – Supermärkte profitieren
Das bedeutet nicht, dass die Menschen weniger Bio-Lebensmittel kaufen. „Die Verbrauchertreue bei Bio ist ungebrochen“, sagt Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bio-Spitzenverbandes BÖLW. Nach Zahlen der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI) haben die Deutschen in den ersten fünf Monaten 2022 rund 35 Prozent mehr für Bio-Frischeprodukte ausgegeben als im gleichen Zeitraum 2019. Aber offenbar greifen sie verstärkt zu den günstigeren Bio-Eigenmarken in Bio-Supermärkten sowie vor allem im konventionellen Lebensmittelhandel. Edeka, Rewe, Lidl, Aldi & Co haben ihr Angebot an Bio-Produkten hochgefahren und inzwischen in dem Markt mit einem Gesamtumsatz von knapp 16 Milliarden Euro einen Anteil von 62,3 Prozent.
„Die Folge ist, dass gesunde, mittelständische und regional verwurzelte Bio-Händler aktuell durchaus in Bedrängnis kommen können“, sagt BNN-Geschäftsführerin Jäckel. Es sei jetzt wichtig, die Bioläden zu unterstützen, die für Vielfalt im Lebensmittelhandel stünden. „Mit den kleinen Bioläden verhält es sich genauso, wie mit den kleinen Buchläden: Wenn man sie erhalten möchte, sollte man dort auch einkaufen gehen.“ Nach Angaben des BNN haben bereits die ersten Bioläden aufgegeben. Die Kette SuperBioMarkt aus Münster mit 30 Märkten in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen befindet sich in einem Schutzschirmverfahren. Die einzige Hamburger Filiale in Eimsbüttel ist seit Mai geschlossen.
Steigende Preise machen speziell kleinen Bioläden zu schaffen
Dass Bio-Kunden jetzt genauer aufs Preisschild schauen, merkt Katrin Krause vom Biomarkt Barmbek an der Fuhlsbüttler Straße jeden Tag. „Die Menschen stöhnen“, sagt die 54-Jährige. Die Unterschiede sind teilweise eklatant. Während bei ihr ein Liter Bio-Vollmilch im günstigsten Fall für 1,89 Euro (Mitgliederpreis: 1,79 Euro) im Kühlregal steht, kostet das Tetrapak im Budni-Drogeriemarkt nebenan ab 1,69 Euro. Bei Rewe und Aldi 400 Meter entfernt am Barmbeker Bahnhof gibt es Bio-Milch ebenfalls ab 1,69 Euro. Bei der Bio-Supermarktkette Denns, in Hamburg mit 16 Standorten vertreten, ist Bio-Vollmilch ab 1,59 Euro zu haben.
Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lag der Preiseinstieg für Bio-Milch noch bei 1,15 Euro. Auch bei anderen Artikel sind die Preisdifferenzen teilweise enorm. „Es stimmt, dass wir teurer sind“, sagt Krause, die im Moment die Preisschilder häufig ändern muss. Aber anders als größere Händler hat sie in ihrem kleinen Laden kaum Spielraum, die steigenden Erzeugerpreise auszugleichen oder um Sonderangebote zu machen.
Auch Bio-Supermarkt Tjaden's kämpft mit Umsatzrückgang
Betroffen von dem veränderten Kaufverhalten sind auch größere Anbieter, wie der Hamburger Bio-Supermarkt Tjaden’s. Das Unternehmen, das Inhaberin Petra Tjaden 2006 gegründet hatte, ist inzwischen mit neun Standorten im Stadtgebiet vertreten. „Wir merken, dass die Kunden deutlich preisbewusster sind und teilweise auch wegbleiben“, sagt Marvin Tjaden, Sohn der Gründerin und stellvertretender Geschäftsführer. Die Umsatzrückgänge beziffert er auf gut 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und damit vergleichbar mit 2019.
- App „Too good to go“: Geld sparen und Lebensmittel retten
- Biomarkt-Raubserie mit Karnevalsmaske – doch Haftbefehl
- Lidl, Edeka, Rewe &: Traditionsmarke verschwindet komplett
„Es ist problematisch, weil parallel die Kosten steigen.“ Zwar habe er 2021 noch einen günstigen Stromvertrag abschließen können, aber es kommen plötzlich unerwartete Posten dazu. „Der Großhändler verlangt wegen der hohen Treibstoffkosten jetzt eine Transportpauschale“, nennt Tjaden Junior ein Beispiel. Das Familienunternehmen hat reagiert und Personal reduziert. Jede fünfte Stelle wurde abgebaut. Aktuell sind es noch 130 Frauen und Männer.
Bio-Lebensmittel teils günstiger als konventionelle
Einen Hoffnungsschimmer für die Branche gibt es durch eine andere Entwicklung: Bei einigen Bio-Waren sind die Preise zwar gestiegen, aber nicht so stark wie die konventionellen Alternativen. Ein Beispiel ist Butter: Bei Aldi kostet das 250-Gramm-Paket der Eigenmarke Gut Bio aktuell 3,29 Euro. Daneben liegt das Konkurrenzprodukt von Kerrygold aus konventioneller Tierhaltung – für 3,49 Euro.
Ähnliche Beispiele gibt es auch in anderen Produktkategorien. Beim Biomarkt Denns etwa gibt es Spaghetti der Eigenmarke Dennree für 1,19 Cent – günstiger als manche Markenartikel im Supermarkt. „Generell fallen in der Bio-Lebensmittelwirtschaft die aktuellen Preissteigerungen geringer aus als bei konventionellen Lebensmitteln. Das liegt neben kürzeren Lieferketten unter anderem daran, dass der Ökolandbau auf die Verwendung von energieintensiven Dünge- und Spritzmitteln verzichtet“, sagt Joseph Nossol, Denns-Geschäftsführer und Mitglied im Vertriebsausschuss beim BioMarkt Verbund, dem 500 Bio-Märkte angehören.
Biohof Gut Wulfsdorf: "Verkauf um ein Viertel eingebrochen"
Trotzdem: In einer Art Kettenreaktion haben inzwischen auch die mehr als 35.000 Bio-Höfe in Deutschland mit dem veränderten Kaufverhalten zu kämpfen. Georg Lutz, Inhaber von Gut Wulfsdorf direkt hinter der Hamburger Landesgrenze auf Ahrensburger Stadtgebiet, findet seit Jahresbeginn immer schwerer ausreichend Abnehmer für seine Produkte.
Der Demeter-Betrieb mit Hofladen und eigenen Marktständen produziert Fleisch, Brot und Molkerei-Produkte. Ein wichtiger Bereich ist der Gemüseanbau. Das Angebot reicht von Möhren über Salate bis zu Gurken, Tomaten und Spargel. „In der Urlaubszeit seit Anfang Juni ist es noch mal weniger geworden. Der Verkauf über den Großhandel ist um ein Viertel eingebrochen“, sagt der 65-Jährige Bio-Pionier, der seit 40 Jahren in der Branche ist.
Einzelhandel Hamburg: So wollen kleine Läden punkten
Um die Kosten im Rahmen zu halten, hatte er im Juli von den ersten Salatsätzen im Freiland die Hälfte untergepflückt – trotz bester Qualität. „Da blutet dem Landwirt das Herz“, sagt Lutz. „Aber die Naturkost-Großhändler haben nur 25 Prozent der mit ihnen abgesprochenen Menge abnehmen können, da die Nachfrage in den von ihnen belieferten Läden stark eingebrochen ist.“ Auch für die nächsten Chargen rechnet er nur mit einer Verkaufsquote von 40 bis 60 Prozent – rentabel wird es ab 80 Prozent. Auch er muss Kosten reduzieren. Aber die schwierige Situation der Branche müsse den Kunden bewusst gemacht werden. „Essen ist politisch“, appelliert er mit Blick darauf, dass die Bundesregierung bis 2030 30 Prozent Anbauflächen auf Bio umstellen will.
Auch im kleinen Bioladen von Katrin Krause ändert sich einiges. Sie muss Kosten reduzieren und hat schon Arbeitsstunden gekürzt. Jetzt will sie mit neuen Ideen Kunden gewinnen. „Das Besondere bei uns ist die persönliche Beziehung und die Fachberatung. Außerdem gibt es immer wieder neue Produkte“, sagt die 54-jährige Ökotrophologin, die viele Stammkunden hat. Sie habe die Hoffnung, dass es auch in Zukunft genug Menschen gibt, die ihr Angebot zu schätzen wissen. „Ich bin zuversichtlich, es zu schaffen. Aber man weiß im Moment nicht, wo es hingeht.“