Hamburg. Das Start-up Sea Me gewinnt mit Babor den ersten Kunden aus dem Kosmetikbereich. Wo man die Produkte in Hamburg kaufen kann.
Die Holzaufsteller sind kaum zu übersehen. Mannshoch stehen sie in rund 200 Drogerien der Ketten Budni und Müller. „Natürlich Mehrweg“ steht auf dem Fuß, der Name des Unternehmens Sea Me auf der Blende am Kopf. Dazwischen ist Platz für 96 Flaschen des Start-ups mit Sitz an der Reeperbahn. Hand- und Bodylotion, Entspannungsbad, Handseife, Desinfektionsgel und Spülmittel stehen auf den Holzbrettern. Und jetzt ist mit einem After-Sun-Gel das siebte Produkt nach eigener Rezeptur frisch auf dem Markt.
Im Dezember 2020 schaffte Gründer Lars Buck mit seinen Artikeln den Sprung in eine gute Handvoll Edeka-Märkte. Das Besondere: Der 47-Jährige verzichtet auf Plastik. Der Inhalt kommt in eigens kreierte Glasflaschen, für die ein Pfand von 50 Cent erhoben wird. Das gebe es in der Branche sonst nicht, werde sich aber ändern, sagt Buck: „Mit Babor haben wir den ersten Fremdkunden aus dem Kosmetikbereich gewonnen.“
Einzelhandel Hamburg: Sea Me schließt Deal ab
Babor ist im Luxussegment angesiedelt. Im Herbst 2021 habe es den ersten Kontakt gegeben. Es gab viel Abstimmungsbedarf, aber man wurde sich handelseinig. Babor erhielt von den Hamburgern Flaschen mit Etiketten und füllte sein Reinigungsöl selbst in die 250 Milliliter fassenden Glasflaschen, die säuremattiert optisch etwas aufgepeppt wurden.
Ab August sollen sie sowohl in den Flagshipstores zum Verkauf als auch in den Kosmetikkabinen zur Anwendung erhältlich sein. Mit einem zweiten Unternehmen sei der Deal in trockenen Tüchern, aber er dürfe den Namen des Kunden noch nicht nennen, sagt Buck: „Wir sind mit zehn etablierten Marken im Gespräch.“
Leere Flaschen in den Leergutautomaten
Sea Me versteht sich also nicht nur als Kosmetikhersteller, sondern auch als Plattform für das Mehrwegsystem. Dafür wurde die Tochter Zerooo gegründet. „Wir bieten alles an, was mit der Rückführung und dem Spülen der Flaschen zu tun hat sowie das Verpackungsmaterial wie Flaschen, Pumpen, Etikettenmaterial und Umkartons“, sagt Buck.
Bei den unter eigenem Namen verkauften Produkten läuft das Mehrwegsystem so ab: In den Filialen von Edeka, Rewe und Globus, in denen Sea Me gelistet ist, wandern die leeren Flaschen in den Leergutautomaten. Bei Budni und Müller werden sie an der Kasse abgegeben. Das sei in allen Filialen der Ketten möglich, auch wenn sie nur in einem Teil der Geschäfte verkauft werden. Bei der Warenbelieferung werden die leeren Behältnisse in Mehrwegkartons vom Lkw mitgenommen und in die Zentrallager gebracht. Wenn dort eine Europalette mit Leergut voll ist, wird es zu einer von mehreren Spülstraßen gefahren.
Flaschen sollen 30-mal wiederverwendet werden
Bis zu 30-mal soll eine Flasche verwendet werden können. Unter dieser Annahme dürfe man auch die eigene Ökobilanz erstellen, sagt Buck. Dabei arbeite man eng mit der Deutschen Umwelthilfe und dem Arbeitskreis Mehrweg zusammen. Am Anfang musste Buck bei beiden Organisationen den Verdacht ausräumen, nur Greenwashing betreiben zu wollen. Mittlerweile habe man aber als erstes Non-Food-Produkt das Extrasiegel Mehrweg für die Umwelt erhalten.
Derzeit sind rund 75.000 Flaschen im Umlauf, aber nur ein geringer Teil kam bisher zurück. Grund: Flaschen mit Spülmittel oder Seife stehen deutlich länger neben dem Waschbecken als schnell geleerte Getränkeflaschen im Haus verbleiben. Der Ausschuss bei den runden Flaschen mit dem dicken Boden sei gering. Buck: „Vielleicht eine von 1000 Flaschen geht kaputt – aber nur, wenn sie runterfällt. Das ist stabiles Glas.“
Drei Pilotprojekte geplant
Auf Wunsch des Kunden übernimmt die für das Mehrwegsystem zuständige Tochter Zerooo auch das Abfüllen der Flaschen bei Lohnabfüllern oder kümmert sich um Entwicklung und Herstellung von Rezepturen. Für dieses Jahr seien drei Pilotprojekte geplant, fürs nächste Jahr hofft Buck auf deren deutschlandweites Ausrollen und weitere Pilotierungen. „Wenn die Glasflasche dreimal zirkuliert, ist die Umweltbilanz bereits besser als bei Einwegplastik“, sagt Buck.
Mit Kunststoff setzt sich die Firma aber auseinander. Zusammen mit der TU Harburg und dank Geld der Investitions- und Förderbank forscht man an einer Plastikverpackung, die mehrere Leben hat. Im September sollen Versuche mit einer serienfertigen Verpackung aus PET starten, die bis zu zehnmal gespült werden kann. Dabei werde die Ökobilanz ermittelt und das Gold-Siegel der Kreislaufwirtschaft (cradle to cradle) angestrebt. Allerdings gilt Glas gemeinhin als weniger umweltschädlich als Plastik – warum sollte Plastik künftig Glas ersetzen? „Plastik per se ist nicht schlecht. Anfangs wird zwar Öl eingesetzt, aber bei Glas verbraucht man viel Energie“, so Buck.
„Und Glas ist zehnmal teurer als Plastik“
Wenn man ein Produkt entwickle, dass mehrfach wiederverwendet und wiederverwertet werden könne, habe man einen guten Wertstoff. „Und Glas ist zehnmal teurer als Plastik“, so der studierte Mathematiker. „Wenn wir möglichst viele Marken auf das Mehrwegsystem hieven wollen, können es sich viele Hersteller zum Beispiel von Spülmittel nicht leisten, mit Glasflaschen zu hantieren.“ Zudem wollen viele Verbraucher kein Duschgel und Haarwaschmittel in Glasflaschen in der Dusche stehen haben aus Angst vor Scherben.
Als sich Buck im Sommer 2019 das Wasser auf den Kopf prasseln ließ, kam die Idee zu seiner Firmengründung auf. Warum gibt es Seife und Co. nicht in der Mehrwegflasche, fragte sich der Geschäftsführer der Unternehmensberatung Nord Nord in den Tanzenden Türmen. Im Herbst 2019 gründete er sein Start-up. Der Name soll auf die Verschmutzung mit Plastik der Meere (englisch sea) hinweisen, und darauf, dass jeder, also man selbst (me), etwas tun kann.
„Der Umsatz pro Filiale ist derzeit etwas rückläufig"
Anfang 2021 nahm Budnikowsky die beiden ersten Produkte Desinfektionsgel und Seife in zehn Geschäften auf. Im Juni waren es schon 80 Filialen. Die Drogeriekette habe ermittelt, in welche Läden die Produkte von der Käuferschicht gut passen würden. Denn die Sea-Me-Artikel gehören preislich zum gehobenen Sortiment. Als unverbindliche Preisempfehlung für 250 Milliliter Seife gibt das Unternehmen dem Handel 5,49 Euro zuzüglich Pfand mit auf den Weg, dieselbe Menge Desinfektionsgel kostet 7,49 Euro. In Zeiten hoher Inflationsraten schauen die Verbraucher mehr aufs Geld und versuchen zu sparen.
Das spüre man, sagt Buck: „Der Umsatz pro Filiale ist derzeit etwas rückläufig. Das merken aber alle Wettbewerber.“ Im Geschäftsjahr 2021 habe man rund 200.000 Euro umgesetzt. Dieses Jahr sollen es rund 650.000 Euro sein – weil man in viel mehr Geschäften gelistet ist. Müller kam im März 2022 dazu. „Mittlerweile haben wir ungefähr 350 Verkaufspunkte sowie erste eCommerce-Plattformen wie Avocadostore und Alpakas aufgeschaltet“, sagt Buck. In Hamburg gehören zu den stationären Geschäften einige Edeka-Märkte von Struve und Niemerszein und das Rewe-Center in Winterhude.
Preise werden vorerst nicht erhöht
Vom Erreichen der Gewinnzone sei man noch entfernt. Das hat verschiedene Gründe. „Die Rohstoffe werden teurer, aber wir erhöhen die Preise nicht, weil sie schon oben angesiedelt sind – auch wenn das zulasten unserer Marge geht“, sagt Buck. Zudem stehe da mit zehn Mitarbeitern ein hoher Block an Personalkosten. Allerdings seien die Strukturen so aufgestellt, dass fürs künftige Wachstum dieser Posten nicht aufgestockt werden müsste.
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Rund 1,5 Millionen Euro seien bisher in das Unternehmen geflossen. Darunter fallen auch rund 250.000 Euro, die bei einem aktuellen Crowdinvesting eingenommen wurden. Grundsätzlich handelt es sich bei solchen Investments um Risikokapital, das auch zum Totalverlust führen kann. Das Geld wird benötigt, weil bei dem Projekt mit der TU Harburg eigene Mittel gebraucht werden, sagt Buck. Bei einem Umsatz von 2,5 Millionen Euro käme man in die Gewinnzone.
Einzelhandel Hamburg: Handseife ein Verkaufsschlager
Zum Verkaufsschlager entwickelte sich beim Start-up übrigens die Handseife – der Türöffner für den Handel im März 2020 läuft hingegen nur noch schleppend. Desinfektionsmittel waren zu Pandemiebeginn gefragt, Sea Me konnte schnell liefern. Mit Corona als Normalzustand flaut die Nachfrage ab, sagt Buck: „Desinfektionsgel ist zurzeit ein Ladenhüter. Aber das betrifft auch alle anderen Anbieter.“