Hamburg. Hamburger Unternehmer Ulf und Lars Lunge investieren in die Fabrik in Düssin. Auch neue Geschäfte sind geplant.
Vor 16 Jahren wagten die Unternehmer Ulf und Lars Lunge den Sprung aus Hamburg ins Mecklenburgische. In Düssin kauften sie einen alten Kuhstall, um dort ihre eigenen Laufschuhe herzustellen. Rund acht Millionen Euro stecken bereits in dem Backsteinbau – und in den nächsten Monaten wird noch mal rund eine halbe Million Euro hinzukommen. „Im nächsten Jahr werden wir die kompletten 6600 Quadratmeter des Gebäudes bis auf den letzten Fitzel nutzen“, sagt Ulf Lunge im Gespräch mit dem Abendblatt. Angefangen hatten sie einst auf etwa nur einem Zehntel der Fläche. „Im Januar wollen wir mit der neuen Produktion starten“, sagt der 60-Jährige.
Die Voraussetzung dafür ist der Einbau eines Fahrstuhls. Der soll den Umzug des Lagers nach oben ermöglichen. Dafür werden im Erdgeschoss 1000 Quadratmeter frei, um die Fläche für die Herstellung zu verdoppeln. Bisher wird zeitaufwendig mit Zwischenlagerung der entstehenden Schuhe auf Rollwagen produziert, künftig soll der Prozess durch stärkere Automatisierung beschleunigt werden und in einem Kreislauf stattfinden. „Dasselbe Team von 30 Mitarbeitern wird mit dem künftigen Verfahren fast das Doppelte schaffen“, sagt Ulf Lunge und freut sich darüber, dass seine guten Fachleute von Nebentätigkeiten entlastet werden.
Beim Fräsen der Sohlen wird ein neues Verfahren angewendet, das Kleben erfolgt per Automat. Und beides wird räumlich getrennt, weil bisher mitunter Reste des Frässtaubs das Kleben behindern. Neue Maschinen und neue Computer sollen gekauft werden. Aus Sicht des Hamburger Marathonmeisters von 1983 könnte es so schnell wie möglich losgehen. Allerdings leide der Aufzugshersteller derzeit unter dem weltweiten Chipmangel, sodass sich der Einbau des Lifts wohl verzögern werde.
Einzelhandel hamburg: Laufschuhe Lunge - Sportartikel aus dem Kuhstall
In dem rund 15 Meter hohen, einst landwirtschaftlich genutzten Gebäude soll dann auf zwei Ebenen Platz für 100.000 Paar Schuhe sein. Die derzeitige Lagerkapazität liegt nur bei einem Viertel der Menge. Doch der Kaufmann, der sein Studium der Betriebswirtschaftslehre nach dem Grundstudium schmiss, hat noch größere Pläne. Er schaut von der Kamera des Geräts, über das das Videogespräch läuft, in Richtung Fenster hinaus aufs Feld in Düssin. Dort soll ein weiteres Lager gebaut werden, frühestens allerdings im Jahr 2024. Fünf Millionen Euro werde man wohl dafür brauchen, zumal man gleich ein automatisches Lagersystem einführen möchte. „Mit so einem Lager kann man auch eine Million Paar Schuhe liefern“, sagt Ulf Lunge: „Aber was ist das schon? Adidas verkauft mehrere Hundert Millionen Paar Schuhe pro Jahr.“
Von solchen Dimensionen sind die beiden Brüder allerdings noch weit entfernt. Mit 400 Paar Schuhen fing es 2007 an, vor drei Jahren waren es 20.000 Paar. Knapp 25.000 Paar Schuhe made im Kuhstall sollen in diesem Jahr in Kartons verpackt werden. Über die 120 Händler – auch in Ländern wie Schweiz, Holland, Dänemark, Kuwait, Japan und den USA trägt man im Kuhstall gebaute Lunges – soll der Großteil verkauft werden, ein Fünftel der Produktion wird zum Auffüllen des Lagers verwendet. Denn nur mit einem gut gefüllten Lager ließen sich neue Händler gewinnen.
Durch die neue, schnellere Produktionslinie sollen nächstes Jahr 35.000 Paar hergestellt werden und 2023 die 50.000-Schwelle angegangen werden – ursprünglich war für das Jahr die doppelte Menge avisiert worden. „Ich habe auch davon geträumt, dass wir in drei Jahren das schaffen, was wir jetzt in zehn Jahren geschafft haben“, sagt Ulf Lunge. „Das ist aber unheimlich viel Detailarbeit, bei der vieles nicht klappt. Jetzt haben wir den Baukasten fertig für die nächsten Schritte und kommen in ein geregeltes Wachstum hinein.“ Zuletzt sei man jedes Jahr um zehn bis 20 Prozent gewachsen, der Umsatz liege in diesem Jahr bei rund 2,5 Millionen Euro. Auch ein Gewinn „im niedrigstelligen Bereich“ werde mittlerweile erzielt.
Kunden werden in dem Fachgeschäft stets aufs Laufband gebeten
In den vergangenen 1,5 Jahren wirkte die Corona-Krise wie ein Bremsklotz. Zwei Drittel der Angestellten sind Frauen – immer wieder mussten Mitarbeiterinnen passen, weil das Kind krank, die Kita zu war oder Quarantäne angeordnet wurde. Die Fehlquote habe teilweise bei mehr als zehn Prozent gelegen. Das Problem: Bisher ist jede Position häufig nur einfach besetzt. An manchen Fehltagen ruhte die Fertigung der Schuhe daher, dafür wurden andere Arbeiten wie das Falten von Kartons oder das Verpacken der Schuhe erledigt. Künftig sollen mindestens drei Personen einen Arbeitsschritt machen können. Immerhin: Kurzarbeit gab es in Düssin nicht.
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Das sah in den vier Fachgeschäften der Brüder – drei in Hamburg, eines in Berlin – anders aus. Fast ein halbes Jahr lang waren sie wegen der Pandemie zwangsweise geschlossen. Die meisten der 40 Angestellten von Lunge – der Laufladen waren massiv in Kurzarbeit. „Wir haben das Onlinegeschäft hochgefahren, aber der Umsatz bewegte sich nur zwischen zehn und 15 Prozent des Normalen“, sagt Ulf Lunge: „Das ist auch völlig klar: Ohne Beratung einen Schuh kaufen, geht nicht.“
Kunden werden in dem Fachgeschäft stets aufs Laufband gebeten. Nur so kann eine Achsanalyse erfolgen und der typengerechte Laufschuh nach Beratung ausgewählt werden. Damit ließe sich prophylaktisch Beschwerden vorbeugen. Weil man Schuhe mit Einlagen und für Diabetiker verkaufe sowie Kompressionsstrümpfe anpasse, sehe man sich ohnehin eher als Sanitätshaus. Daher habe man das Sortiment nun unter medizinischen Gesichtspunkten bei den Behörden gemeldet und hoffe, künftige Schließungen bei Lockdowns zu umgehen.
„Laufen liegt weltweit im Trend"
Denn in der Pandemie hätten zwar die Sport- und Lauffachgeschäfte wie der Großteil des Einzelhandels für lange Zeit dicht gehabt, dafür durfte die Lunge-Eigenmarke bei Orthopädietechnikern und in Sanitätshäusern weiterverkauft werden. Das findet Ulf Lunge ungerecht, auch wenn die Verkaufszahlen der Düssiner Schuhe so fast auf dem Vor-Corona-Niveau blieben.
Dennoch ist er für die Zukunft optimistisch. „Laufen liegt weltweit im Trend. In der Pandemie begannen viele Menschen mit dem Laufen, weil Fitnessstudios geschlossen oder die Teilnehmerzahl in Kursen begrenzt war. Es gibt einen hohen Ausrüstungsbedarf, der Markt ist für uns gewachsen und legt weiter zu“, sagt Ulf Lunge. Daher soll das Filialnetz größer werden. Pro Jahr sollen zwei Geschäfte hinzukommen. Weil sich mit Runners Point ein Mitbewerber aus Deutschland zurückzog, sei das Einstellen von engagierten Filialleitern möglich. Standorte wurden schon unter die Lupe genommen. Der Süden Deutschlands mit Großstädten wie München, Stuttgart oder der Westen mit Köln und Düsseldorf gelten als interessant. Berlin könnte einen zweiten Laden vertragen, während das Netz in Hamburg mit den Geschäften in der Innenstadt, Barmbek und Bahrenfeld derzeit eher gesättigt sei – wobei man grundsätzlich in allen Läden in der Hansestadt noch zulege.
Verkauft werden in allen Geschäften neben der Hausmarke natürlich auch alle großen Hersteller, die meistverkaufte Marke ist Brooks. Das Sortiment der im alten Kuhstall hergestellten Artikel umfasst Schuhe mit extra breiten Leisten, Lauf-, Leder- und Bequem- sowie Reboundschuhe. Vor knapp zehn Jahren brachte Adidas den Boost heraus. Der Schuh soll dem Läufer besonders viel Energie zurückgeben. Die Sohle besteht aus rund 2500 Schaumstoffkügelchen, die Adidas vom Chemiekonzern BASF bezieht. Alle anderen namhaften Firmen zogen mit eigenen Modellen nach und revolutionierten den Laufschuhmarkt.
„Wir wollen in den nächsten zwei Jahren CO-neutral produzieren“
Die Lunges brachten ihren Reboundschuh auf den Markt. Den Reboundeffekt habe man weiter von 38 über 50 auf nun 55 Prozent gesteigert. Die Lunge-Modelle kosten zwischen 160 und 250 Euro. „Wir haben dieses Jahr 40 neue Schuhe auf den Markt gebracht“, sagt Ulf Lunge. Da man diese in 15 Größen herstelle, seien es 600 neue Produkte. Im nächsten Jahr soll ein Stiefel herauskommen und ein Bequemschuh, der mit einem Reißverschluss geschlossen wird. Auch eine Sandale aus echtem Gummi könne noch kommen, aber wohl erst in zwei Jahren. Schuhe aus dem 3-D-Drucker könnten perspektivisch interessant seien, allerdings kosteten die Geräte noch rund eine Million Euro, sagt Ulf Lunge: „Das Einzelstück, das da rauskommt, ist noch viel zu teuer.“
Derzeit wird an einer Verbesserung der Produktionsverfahren gearbeitet. So möchte man künftig möglichst auf Kleber verzichten und Sohle und Obermaterial verschweißen. Technisch sei das eine große Herausforderung. Zudem wird bereits recyceltes Polyethylenterephthalat (PET) verwendet. PET-Flaschen werden eingeschmolzen, daraus ein Faden gewonnen, der zu einem Stoff gesponnen wird. Es werde gebürstet und fühle sich an wie Leder. In Düssin wird das Material für die obere Seite der inneren Einlegesohle bereits verwendet. Künftig könne es auch für die Schuhoberflächen infrage kommen.
„Das Potenzial ist da, dass jedes einzelne Material ausgetauscht wird“, sagt Ulf Lunge: „Aber in der Formel 1 wollen sie ja auch Leistung erzielen. Heißt: Der Läufer soll die Runde oder das Rennen gewinnen. Unser Produkte bieten höchste Qualität, die bekommen wir im Moment mit Recyclingprodukten nicht hin.“ Man werde die Entwicklung aber aufmerksam beobachten. Weil bei Recyclingmaterialien die Reinheit des Stoffes schwierig zu erreichen sei, setzt er eher Hoffnungen auf den Anbau der Christuspalme – auch Wunderbaum genannt. Sie ist schnellwüchsig, übersteht Dürrezeiten, kommt mit wenig Wasser aus und kann daher im Ödland angebaut werden. Aus dem Samen lässt sich Rizinusöl gewinnen, das weiterverarbeitet als Polyamid-11 ein Hochleistungskunststoff ist, der für Fasern und Beschichtungen eingesetzt wird.
Mit der neuen Produktion hören die zeitnahen Investitionen in Düssin übrigens nicht auf. Auch eine Erdwärmeheizung und eine Solaranlage sind geplant – da verlangt der Denkmalschutz aber ein Mitspracherecht für die Veränderung des alten Gemäuers. Der Hamburger Ulf Lunge, der wie sein in Siek wohnender, fünf Jahre jüngerer Bruder Lars viermal die Woche ins Mecklenburgische pendelt, sagt: „Wir wollen in den nächsten zwei Jahren CO2-neutral produzieren.“