Hamburg. Chips, Flips & Co. ohne künstlicher Aromen und Chemie. Jetzt starten die Hamburger Gründer im Ausland richtig durch.

Es ist ein bisschen wie am Anfang. Als Maurice Fischer und Aryan Moghaddam ihr erstes eigenes Knabbergebäck an den Mann und – wichtiger noch – an die Frau bringen wollten, haben sie sich auf den Isemarkt gestellt. Das war vor acht Jahren. „Der Stand war mit Pappkartons total improvisiert und es war bitterkalt“, sagen die Gründer des Hamburger Start-ups Heimatgut. Als einziges Produkt hatten sie Wirsingchips im Angebot, ohne künstliche Zusatzstoffe, in Bio-Qualität, anfangs eigenhändig in ihrer Küche produziert. Damals etwas Neues.

Jetzt wollen die beiden Unternehmer wieder auf den Wochenmarkt unter der U-Bahn-Brücke. „Dieses Mal ist der Stand professioneller“, sagt Maurice Fischer und grinst. Es ist wieder ein Test, zurück in die Zukunft sozusagen. Trockenfrüchte und Nüsse unter dem Namen Basics, die seit Kurzem im Onlineshop der Snack-Experten erhältlich sind. Insgesamt 40 Sorten. „Wir bieten den besten Preis in Bio-Qualität“, sagt Aryan Moghaddam. Nachdem sie sich bislang vor allem um Snackgelüste am Abend gekümmert haben, mischt Heimatgut mit der neuen Produktkategorie jetzt auch im Frühstücksbereich mit. „Wir wollen ein Angebot schaffen, mit dem man durch den ganzen Tag kommt“, sagen Fischer und Moghaddam.

Start-Up Heimatgut startet mit gesunden Knabbereien durch

In Supermärkten und bei Drogeriewarenhändlern sind die Hamburger inzwischen in Deutschland flächendeckend vertreten. 16 Millionen Tüten Chips, Flips & Co haben sie im vergangenen Jahr verkauft – ein Viertel davon in ihrer Heimatstadt Hamburg. Der Umsatz lag bei elf Millionen Euro. Auch in diesem Jahr wollen sie weiter wachsen. „Die beiden Corona-Jahre waren für den Lebensmittelhandel goldene Zeiten, jetzt wird sich viel ändern“, sagt Maurice Fischer. Trotzdem ist die Erwartung hoch: Mindestens 20 Millionen Tüten sollen bis Ende des Jahres verkauft werden. Erstmals auch im fremdsprachigen Ausland – dann unter der Namen Heartful, übersetzt aus dem Englischen bedeutet das „herzlich“.

Mit ihren Knabberangebot treffen die Heimatgut-Chefs offenbar den Zeitgeist. „Immer noch haben viele Snacks im Supermarkt schlechte Zutaten und stecken voller künstlicher Aromen und Chemie“, sagt Aryan Moghaddam. „Bei uns gibt es ein gleiches Geschmackserlebnis, aber mit natürlichen Inhaltsstoffen.“ Knabbern ohne schlechtes Gewissen, nennen Fischer und Moghaddam das. Die Verbraucher konsumierten inzwischen bewusster. Dass alle Heimatgut-Produkte auch vegan sind, sei für den Erfolg des Geschäfts mit den „besseren Snacks“ ein weiterer Pluspunkt. Inzwischen arbeiten in den Büroräumen in der Neustadt 14 Beschäftigte in den Bereichen Produktentwicklung, Marketing, Vertrieb, Finanzen, zudem sind zwischen Flensburg und Füssen sechs Außendienstmitarbeiter über das Knabber-Start-up unterwegs. „Wir haben gut zu tun. Im Sommer kommen vier weitere Mitarbeiterinnen dazu“, sagt Maurice Fischer. Dabei war es alles andere als sicher, dass die Idee vom besseren Knabberzeug funktionieren würde.

Gründer kennen sich noch aus der Schule

Im Jahr 2012 hatten die Schulfreunde, heute 34 und 35 Jahre alt, angefangen, in der heimischen Küche mit unterschiedlichen Gemüsesorten zu experimentieren. Das Ziel der Gründer – einer mit Abschluss in Geschichte und Erfahrungen in der Finanzberatung, der andere Wirtschaftswissenschaftler – waren Snacks, die ihre Vitamine, Mineral- und Ballaststoffe bei der Herstellung behalten, zudem frei von Zusatzstoffen und unnötigen Fettzusätzen sind – und auch noch schmecken. Der Firmenname Heimatgut war Programm. In der ersten Zeit steckten sie die Wirsingblätter sogar noch eigenhändig in einen selbstentwickelten Dörrautomaten. „Das war unsere Erfindung. Quasi ein Produkt 3.0“, sagt Maurice Fischer. Im Jahr 2015 gehörten sie zu den ersten Hamburgern, die bei TV-Gründershow „Die Höhle der Löwen“ einen Deal holten – 125.000 Euro für 15 Prozent der Firmenanteile. Das Geschäft mit Unternehmer Jochen Schweizer, der damals als Investor in der Sendung dabei war, kam aber letztlich nicht zustande.

„Wir haben es aus eigener Kraft geschafft. Und buchstäblich jeden Cent in die Firma gesteckt“, sagt Maurice Fischer. Inzwischen haben sie zwei Investoren ins Unternehmen geholt, zusammen halten diese weniger als 20 Prozent der Anteile. Das Sortiment umfasst jetzt 86 verschiedene Artikel: Chips aus Kartoffeln und Linsen, Flips aus Hafer und Quinoa, Popcorn salzig und süß. Es gibt Tortilla-Rolls mit passendem Dip und Salzstangen aus Hafer. Produziert wird das Angebot von zehn Spezialbetrieben an mehreren Standorten innerhalb Europas. Es gibt auch Nussmus in verschiedenen Varianten oder vegane Gummibärchen. Ihren Firmennamen Heimatgut, entstanden aus dem regional bezogenen Wirsing für ihre Chips, haben die Gründer inzwischen umgedeutet: Sie wollen jetzt „die Snack-Landschaft in deiner Heimat ein wenig besser machen“.

1000 Filialen kommen dazu

Der nächste große Wachstumsschritt soll der Eintritt in weitere europäische Märkte sein. Bislang gibt es die Heimatgut in Österreich, der Schweiz und Norditalien. Gerade haben die Unternehmer einen Vertrag mit einer großer niederländischer Supermarktkette mit mehr als 1000 Filialen geschlossen, die auch in Belgien und Luxemburg präsent ist. Dort werden sie mit dem Markennamen Heartful auftreten. „Heimatgut versteht man im Englischen nicht.“ Auch mit einer großer Handelskette aus Frankreich liefen Verhandlungen. „Es gibt auch erste Anfragen aus außereuropäischen Ländern“, sagt Moghaddam.

Parallel zu den Expansionspläne treffen die Hamburger wie viele andere Nahrungsmittelhersteller auch Rohstoffengpässe und Lieferprobleme durch Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. „Alles wird teurer“, sagt Maurice Fischer. Gerade testet Heimatgut mit einem Produzenten bei der Herstellung von Kartoffelchips statt Sonnenblumenöl andere Pflanzenöle einzusetzen. Wie sich das langfristig auf die Preise auswirken wird, lassen die Heimatgut-Chefs offen. Schon jetzt liegen die Produkte im mittleren bis höherem Segment. Eine Tüte Paprika-Kartoffelchips mit 125 Gramm gibt es für 1,99 Euro im Supermarktregal, Gemüse-Chips (100 Gramm) kosten 2,99 Euro und Erdnuss-Flips (115 Gramm) 1,79 Euro. „Bislang haben wir viele die Preise halten können und verzichten dafür auf Marge“, betont Aryan Moghaddam.

Dabei setzen die Heimatgut-Chefs weiterhin auf die eigene Kreativität bei der Entwicklung neuer Produktideen für Alternativen zu bekannten Knabberartikeln. Die Wirsing-Chips, mit denen alles mal angefangen hat, gibt es schon länger nicht mehr. Zu speziell, zu teuer. „Die Perspektive ändert sich“, sagt Maurice Fischer, inzwischen Vater einer einjährigen Tochter. Das könnte also noch was ganz Anderes kommen.

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