Hamburg. Wachstumsraten von bis zu 40 Prozent. In Hamburg wird die Auswahl immer größer – aber nicht jeder ist vom Geschmack begeistert.
Ein gesunder und bewusster Lebensstil gehört zweifellos zu den Megatrends – zumindest bei jüngeren Großstadtbewohnern. Nicht nur der steigende Anteil der Vegetarier und Veganer belegt das, sondern auch die schnell zunehmende Verbreitung alkoholfreier Cocktails; sogar Gin, Whisky und Wodka gibt es immer häufiger ohne „Umdrehungen“.
Sekt und Wein ohne Alkohol sind nun auch in Hamburg angekommen. „Wir verkaufen davon sehr viel, seit einigen Monaten gibt es einen regelrechten Hype“, sagt Stephanie Döring, Geschäftsführerin vom Weinladen auf St. Pauli. „Die Nachfrage ist da“, bestätigt Sebastian Beuck vom Weinhaus & Feinkost Heidi Beuck in Eppendorf. „Gerade die jungen Menschen wollen nicht mehr so viel Alkohol trinken. Und bei Familienessen gibt es immer einen oder zwei Teilnehmer, die das auch nicht möchten oder nicht dürfen.“
Alkoholfreier Wein: "Nachfrage steigt seit einigen Jahren"
Schon vor etwa drei Jahren stellte sich Beuck zunächst alkoholarme Fruchtseccos mit Obst-Geschmacksrichtungen und später auch einzelne alkoholfreie Weine ins Regal. Inzwischen findet sich auch das Sortiment des Berliner Start-ups Kolonne Null, unter anderem ein Riesling, ein Verdejo und verschiedene Sektsorten, im Schaufenster.
Immerhin 18 alkoholfreie Weine sind bei Weinquelle Lühmann mit dem Shop in Hohenfelde im Angebot. „Die Nachfrage steigt seit einigen Jahren“, sagt Mitinhaber Jens Lühmann. „Wir weiten in dem Segment unser Portfolio immer stärker aus.“ Bei Hawesko, Deutschlands größtem Weinhändler mit Sitz in Hamburg, sind es 17 Weine und Sekte. „Wir sehen für diesen Produktbereich seit etwa drei Jahren ein zunehmendes Kundeninteresse und werden ihn in den nächsten Jahren noch stärker in den Fokus nehmen“, sagt Hawesko-Einkaufsleiterin Iris Petersen.
Null Prozent Späti bald auch in Hamburg?
Wie gefragt derartige Produkte hier mittlerweile sind, zeigt auch dies: Die Betreiber des ersten alkoholfreien Getränkekiosks in Deutschland, dem Null Prozent Späti in Berlin, planen die Expansion nach Hamburg und München. „Der 1. Oktober ist das Ziel“, sagt Isabella Steiner, Geschäftsführerin von Null Prozent Ventures. „In Hamburg sind wir in Altona und der Sternschanze auf der Suche nach Quadratmetern.“
Auch wenn der Trend zum bewussteren Umgang mit Alkohol noch nicht so alt ist, steht die Technik zur Herstellung des Rebensafts ohne dieses Zellgift seit Langem zur Verfügung. Bereits im Jahr 1908 erhielt der Weinhändler Carl Jung aus Rüdesheim am Rhein ein Patent für seine Methode zur Entalkoholisierung von Wein. Carl Jungs Nachfahren gehören heute zu den größten Anbietern in Deutschland. Sein sogenanntes Vakuum-Extraktions-Verfahren ist noch immer gängig: Bei sehr niedrigem Druck sinkt der Siedepunkt von Alkohol auf rund 30 Grad, er verdampft dann also schon bei solchen Temperaturen – aber mit ihm leider auch ein Teil der Aromen, die den Geschmack des Weins ausmachen.
Umsätze mit Wein ohne Alkohol legen um 40 Prozent zu
„Für Hardcore-Weintrinker ist das noch keine echte Alternative“, räumt Stephanie Döring ein. „In jüngster Zeit hat man die Produktionsmethoden aber so weit verfeinert, dass der Geschmack dem ‚normalen‘ Wein recht nahekommt und man die Rebsorte nun herausschmecken kann.“ Wie Sebastian Beuck findet, eignen sich Weißweine mit etwas mehr Säure, etwa aus der Riesling-Traube, besonders gut für die Entalkoholisierung, weil sie besser ihre Frische behalten.
Während die Umsätze mit alkoholfreiem Wein zuletzt bundesweit um 40 Prozent zulegten, rangiert der Marktanteil nach Angaben des Deutschen Weininstituts (DWI) erst bei ungefähr einem Prozent. Den weitaus meisten Menschen sei gar nicht bekannt, dass es dieses Produkt gibt, heißt es. Alkoholfreier Sekt hingegen ist schon länger gefragt, er kommt laut DWI auf einen Marktanteil von rund fünf Prozent. Es sei auch leichter, ihn ohne deutliche Geschmackseinbußen herzustellen, als das bei Wein meist gelinge, findet Iris Petersen.
Alkoholgehalt darf höchstens 0,5 Prozent betragen
Allerdings darf das fertige Getränk nicht als „Sekt“ beworben werden, diese Bezeichnung ist auch auf dem Etikett nicht erlaubt. Der Hintergrund: Laut Gesetz darf ein Produkt erst dann als Sekt bezeichnet werden, wenn eine zweite alkoholische Gärung stattgefunden hat. Dies ist bei der alkoholfreien Version nicht der Fall, daher muss auch die Kohlensäure künstlich zugesetzt werden. Wegen der gesetzlichen Definition steht „Schäumendes Getränk aus alkoholfreiem Wein“ auf den Flaschen.
Ebenfalls gesetzlich geregelt ist die Bezeichnung „alkoholfrei“: Sie darf verwendet werden, wenn der Alkoholgehalt höchstens 0,5 Prozent beträgt. Doch selbst in naturtrübem Apfelsaft können sich durchaus 0,3 Prozent Alkohol finden und nach Angaben des Bundesverbandes der Frauenärzte dürfen auch Schwangere alkoholfreien Wein und Sekt zumindest in Maßen trinken.
Alkoholfreie Weine besonders bei Schwangeren begehrt
Schwangere und stillende Frauen gehören nach den Erfahrungen von Stephanie Döring tatsächlich zu den typischen Konsumentinnen dieser Produkte, die jedoch auch häufig für Familienfeiern eingekauft würden. Parallel zur steigenden Nachfrage werde sich das Angebot ausweiten, so Döring: „Einige sehr bekannte Weingüter nehmen jetzt alkoholfreie Varianten in ihr Produktprogramm auf. In einem halben Jahr wird die Konkurrenz und die Auswahl schon noch deutlich größer sein.“
Auch die Rotkäppchen-Mumm-Gruppe, Deutschlands größter Sekthersteller, will das Sortiment in diesem Segment angesichts der mittlerweile hohen Wachstumsraten vergrößern. So hat das Unternehmen erst vor Kurzem angekündigt, neben alkoholfreiem Weiß- und Rotwein bald eine Rosé-Variante anzubieten. Sekt ohne Prozente gibt es schon länger auch für Rosé-Fans.
Alkoholfreier Wein: Geschäft wird weiter wachsen
Einer Prognose des auf alkoholische Getränke spezialisierten britischen Marktforschungsinstituts IWSR wird das Geschäft mit alkoholfreiem Wein zwischen 2021 und 2025 weltweit um neun Prozent pro Jahr wachsen. Nach Einschätzung von Fact.MR, einer anderen internationalen Marktforschungsagentur, werden die weltweiten Umsätze mit alkoholfreiem Wein bis zum Jahr 2027 auf zehn Milliarden Dollar (9,5 Milliarden Euro) steigen.
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Zielgruppe der Anbieter sind keineswegs nur Menschen, die auf „normalen“ Wein und Sekt dauerhaft verzichten müssen, etwa weil sie bestimmte Medikamente nehmen. Nach Erkenntnissen der Marktforscher vom IWSR leben nur 17 Prozent der Käufer von alkoholfreien Drinks vollständig abstinent. Ein großer Teil der Kunden solcher Produkte erwirbt sie, um nur bei bestimmten Gelegenheiten eine Alternative zu herkömmlichem Sekt oder Wein zu haben. Philipp Rößle, der Chef von Kolonne Null, drückt es so aus: „Man kann ja nicht jeden Tag Alkohol trinken, man will aber auch nicht bei Limo landen.“