Hamburg. Zu den Investoren des Hamburger Start-ups gehört Carsten Maschmeyer. Bald könnte er finanziell nachlegen. Expansion in Europa geplant.

Der Investor Carsten Maschmeyer, bekannt aus der Show „Die Höhle der Löwen“, muss sich demnächst überlegen, ob er dem Hamburger Start-up Nect weitere Millionen zur Verfügung stellt. Denn das im Jahr 2016 gegründete Unternehmen, das eine automatische Identitätsprüfung per Video-Selfie anbietet, steht vor einer neuen Finanzierungsrunde, um die Expansion ins Ausland und das rasante Wachstum stemmen zu können.

Bereits 2020 ist Maschmeyers Beteiligungsfonds Alstin Capital mit einem mittleren siebenstelligen Betrag bei Nect eingestiegen, daneben hat unter anderem der Wagniskapitalgeber Dieter von Holtzbrinck Ventures dort investiert. Bald hätten sie die Chance, nachzulegen. „Wir wissen, dass die bestehenden Gesellschafter voll hinter uns und dem Unternehmen stehen“, sagt dazu Benny Bennet Jürgens, Gründer und Geschäftsführer von Nect.

Künstliche Intelligenz: ADAC nutzt Gesichtserkennungs per App

Zu den Nutzern der von Nect entwickelten Softwarelösung gehören nach Unternehmensangaben 90 Prozent der deutschen Krankenkassen, darunter die Techniker Krankenkasse aus Hamburg, sowie die Telekom und der ADAC. Wenn deren Kunden personenbezogene Dienstleistungen in Anspruch nehmen wollen, müssen sie mit dem Smartphone nur die Vorder- und Rückseite ihrer Ausweiskarte mit den Sicherheitsmerkmalen abfilmen und abschließend ein Selfie-Video aufnehmen. Mittels Künstlicher Intelligenz (KI) erkennt die Nect-App, ob der Ausweis echt ist und ob es sich tatsächlich um die Person auf dem Passfoto handelt.

Seit kurzer Zeit ist das Unternehmen auch in Polen und in Spanien aktiv. „Als Start-up müssen wir beweisen, dass unser Geschäftsmodell über Ländergrenzen hinaus funktioniert“, sagt Jürgens. Nicht zuletzt mit Blick auf die Kosten der Expansion in Europa soll bei der kommenden Finanzierungsrunde ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag eingesammelt werden. Zudem werden neue Funktionen entwickelt. Zum Beispiel ermöglicht die Nect-App seit Mai auch die sogenannte qualifizierte elektronische Signatur. „Die ist auch für Arbeits- und Kreditverträge gültig“, erklärt Jürgens.

Von 50 auf 150 Mitarbeiter in weniger als zwei Jahren

Während sich Nect bisher auf die digitale Identifikation von Privatkunden konzentriert hat, kommt jetzt noch eine spezielle Lösung für den Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen hinzu: Innerhalb weniger Minuten wird durch einen Abgleich mit dem Handelsregister überprüft, ob eine Person, die einen Vertrag elektronisch unterschreibt, dazu berechtigt ist.

Um all dies realisieren zu können, nimmt die Mitarbeiterzahl von Nect rasant zu. Von rund 50 Beschäftigten im Spätsommer 2020 ist die Kopfzahl inzwischen auf etwa 150 gewachsen – und so soll es weitergehen. „Zum Jahresende werden wir voraussichtlich schon 200 Beschäftigte haben“, sagt Jürgens. Für die Konzeption der KI-Methoden werden Wissenschaftler wie Physiker und Mathematiker benötigt, einige der Nect-Mitarbeiter haben in diesen Fächern promoviert. Umgesetzt werden die Verfahren dann jedoch von Software-Entwicklern, die auf den inländischen Arbeitsmarkt schon seit Jahren äußerst knapp sind.

Billardtisch soll die Beschäftigten wieder ins Büro locken

„Mehr als die Hälfte unserer Software-Entwickler haben wir nicht in Deutschland gefunden“, sagt Jürgens – sie kommen unter anderem aus Spanien, Argentinien, Brasilien, Tunesien, Indien und Pakistan. „Aber zum Glück ist Hamburg ein attraktiver Standort, sodass wir keine Probleme haben, sie hierherzuholen.“ Auch wenn sich die Arbeit prinzipiell gut aus dem Homeoffice erledigen lässt, können die Beschäftigten dies nicht zum Beispiel von Indien aus tun, sondern müssen wegen des Datenschutzrechts in Deutschland wohnen.

Mit neuen Räumen am Großen Burstah will man zudem dafür sorgen, dass künftig auch wieder mehr Mitarbeiter ins Büro kommen. Viele Rückzugsbereiche, abgetrennt mit gepolsterten Stellwänden, und kleine Zellen mit Glaswänden sollen die aus dem Homeoffice gewohnte Ungestörtheit gewährleisten, es gibt aber auch einen wohnlichen Gemeinschaftsbereich mit Billardtisch.

Hamburger Start-up Nect bringt Rezept aufs Handy

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  • Datenschutz spielt nicht nur für den Arbeitsort der Beschäftigten eine Rolle: Im Unterschied zu vielen anderen IT-Unternehmen nutzt Nect für die Datenspeicherung nicht die Dienste von Internet-Giganten wie Google oder Amazon. „Wir greifen nicht auf internationale Server-Kapazitäten zurück, sondern speichern die Daten ausschließlich auf eigener Hardware in drei Rechenzentren in Hamburg, Bremen und Hannover“, sagt Jürgens. Die drei parallel genutzten Standorte sollen für hohe Ausfallsicherheit sorgen und die eigenen Computer für langfristige Verlässlichkeit – schließlich müssen die mit einer elektronischen Unterschrift versehenen Dokumente auch in 30 oder 50 Jahren noch ihre Rechtsgültigkeit behalten.

    Im Hinblick auf die nächste Finanzierungsrunde ist Jürgens zuversichtlich, auch wenn Wagniskapital-Investoren zuletzt vorsichtiger geworden sind. „Im Jahr 2020 haben wir unter dem Strich einen Gewinn erzielt“, sagt der Nect-Chef. „2021 ist uns das nur wegen des kräftigen Wachstums nicht gelungen, operativ haben wir aber ebenfalls schwarze Zahlen geschrieben.“ Für 2022 peilt Jürgens einen Umsatz im zweistelligen Millionenbereich an. Er kann sich durchaus vorstellen, dass Nect später sogar noch über Europa hinaus expandiert. Die Voraussetzungen dafür seien gut: „In manchen Regionen der Welt ist Datenschutz ‚made in Germany‘ ganz klar ein Wettbewerbsvorteil.“