Hamburg. Petra von Strombeck, Vorstandschefin von New Work, warnt vor Tsunami auf dem Arbeitsmarkt. Radikale Änderungen stehen bevor.
Ihre wichtigsten Produkte sind das Netzwerk Xing und das Bewertungsportal Kununu für Firmen. Petra von Strombeck ist Vorstandsvorsitzende von New Work, einem Unternehmen mit rund 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der HafenCity, in einem der „schönsten Bürogebäude Norddeutschlands“, wie sie sagt. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht von Strombeck über den Arbeitsmarkt, der sich zugunsten der Arbeitnehmer verändert, den Wunsch nach Diversität und die Wirklichkeit – und hat eine erstaunliche Zahl mitgebracht. Das komplette Gespräch ist zu hören unter www.abendblatt.de/entscheider.
Das sagt Petra von Strombeck über …
… den Arbeitsmarkt, der sich radikal verändert:
„Alle Menschen, die einen Job suchen oder die jetzt ins Berufsleben starten, werden eine große Auswahl haben und sich aussuchen können, was sie machen. Denn unser größtes Problem wird nicht mehr die Arbeitslosigkeit sein, sondern eine Arbeiterlosigkeit. Die Unternehmen werden sich bei den Arbeitskräften bewerben müssen und ihnen sehr viel bieten, nicht umgekehrt.
Arbeitsmarkt der Zukunft: Lücken durch Weiterbildungen schließen
Wir stehen vor einem Tsunami auf dem Arbeitsmarkt, und der fängt jetzt erst an, denn die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, werden erst in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. In 2030 werden wir knapp fünf Millionen offene Stellen haben, und deshalb müssen wir uns auch dringend öffnen für Menschen, die aus anderen Ländern kommen. Wir müssen es denen endlich einfacher machen, für deutsche Unternehmen zu arbeiten.“
… die Frage, ob wir nicht alle länger arbeiten müssen:
„Wir lösen den Fachkräftemangel nicht nur über Ausbildung und die Jungen, sondern auch über Weiterbildung und die Älteren. Dass man die Arbeitszeit ausweitet, ist eine Möglichkeit, die aber gegebenenfalls auf wenig Begeisterung stößt. Mit allen, die weiterarbeiten wollen, und die jetzt mit 65 ungefragt in Rente geschickt werden, sollte man aber unbedingt noch einmal reden. Und was sich Firmen gar nicht mehr leisten können, ist, Menschen jenseits der 50 nicht mehr einzustellen, da werden alle umlernen müssen, je schneller, desto besser. Anders werden wir die Lücke auf dem Arbeitsmarkt nicht schließen können.“
… eine Kiez-Kneipe als Arbeitsplatz und Grund, zu New Work zu gehen:
„Wir stellen selbst sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, übrigens auch über Mund-zu-Mund-Propaganda. Das heißt, Kollegen empfehlen uns neue Mitarbeiter, und meist passen die dann auch sehr gut zu uns. Uns hilft bei der Suche nach Personal auch unsere neue Firmenzentrale in der HafenCity stark, die aus meiner Sicht eines der schönsten Bürogebäude in Norddeutschland ist.
Homeoffice: Fester Teil der Arbeit von morgen
Dort gibt es alle Möglichkeiten, um zu arbeiten, von Teamräumen bis zu einer Kiez-Kneipe und einer tollen Dachterrasse. Wenn Menschen heute ins Büro kommen, wollen sie etwas erleben. Ich selbst bin ein großer Verfechter von Arbeit und sozialer Interaktion im Büro, deshalb möchte ich gern, dass möglichst viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zumindest teilweise aus dem Homeoffice zurückkehren.“
… Homeoffice und erstaunlich viele Menschen, die ihre Unternehmen verlassen wollen:
„Es stimmt, dass durch Homeoffice Anfahrtswege wegfallen und die Produktivität größer ist. Aber die Grenzen zwischen Beruf- und Privatleben verschwimmen und die Leute kommen näher an den Burnout ran. Und das zweite Problem ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Draht zu ihrem Unternehmen verlieren.
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Die Wechselbereitschaft ist in Deutschland im Moment sehr hoch, von den Menschen bis 39 Jahren sagen 48 Prozent, dass sie in den nächsten zwölf Monaten ihren Job wechseln wollen. Da kommt eine Riesenwelle auf die Unternehmen zu, und das in einem sehr knappen Talentmarkt. Deshalb glaube ich eben nicht, dass ausschließlich Homeoffice das richtige Mittel ist – ohne es anzubieten, wird man aber auch große Schwierigkeiten haben, Arbeitskräfte zu finden.“
… die Frage, wie man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen hält:
„Entscheidend ist neben der Unternehmenskultur, ob ich als Mensch etwas beitragen kann zu einem größeren Ganzen. Macht mir das Spaß, und ist das, was ich gemacht habe, wahrnehmbar? Darauf kommt es an, und natürlich darauf, dass ich mich wohlfühle, mich mit den Kolleginnen und Kollegen und nicht zuletzt mit meiner Chefin oder meinem Chef verstehe.“
… den Wunsch nach Diversität:
„Meine Grundüberzeugung ist: Wir brauchen Diversität, weil die Welt da draußen immer diverser wird. Man tut gut daran, diverse Teams zu haben, weil man sonst seine Kunden aus einem falschen Blickwinkel sieht. Aber angesichts des Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklung werden viele Unternehmen gar keine Wahl mehr haben und können es sich gar nicht erlauben, auf einen perfekten Kandidaten zu warten. Wenn man heute jemanden gefunden hat, von dem man glaubt, dass er ins Team passt, sollte man nicht zögern und ihm so schnell wie möglich einen Vertrag vorlegen.
Der Fragebogen: „Nicht auf ausgetretene Pfade setzen“
Was wollten Sie als Kind werden und warum?
Tierarzt – ich war ein großer Tierfan.
Was war der beste Rat Ihrer Eltern?
Nicht Bauingenieur zu werden.
Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?
Der/die eine/n gibt es nicht. Viele. Aus den unterschiedlichsten Gründen.
Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?
Keine Ahnung, da müsste ich raten.
Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute machen?
Ich habe keine bewusste Entscheidung getroffen, einmal CEO in einem großen Unternehmen zu werden. Das ergab sich. Relevant war sicher die Entscheidung für internationale BWL nach meinem Vordiplom. Ich wollte die Welt sehen, im Ausland leben und nicht einfach mein Hauptstudium machen.
Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?
Meine Eltern.
Auf wen hören Sie?
Auf meine Teams und Kollegen.
Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?
Eine klare strategische Vision, Kommunikationsstärke und Leidenschaft für die Sache und Menschen.
Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?
Menschen kleinmachen.
Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?
Offenheit. Transparenz. Vertrauen in die Teams.
Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?
Geld bedeutet Unabhängigkeit und Freiheit. Sollte aber nicht überbewertet werden.
Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern?
Leidenschaft für das, was Sie tun.
Worauf achten Sie bei Bewerbungen?
Auf die Begeisterung der Menschen für das Thema, für das sie antreten.
Duzen oder siezen Sie?
Ich duze.
Was sind Ihre größten Stärken?
Positive Grundeinstellung und Resilienz. Begeisterung für Menschen und digitale Geschäftsmodelle.
Was sind Ihre größten Schwächen?
Ungeduld.
Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?
Jeff Bezos.
Was würden Sie ihn fragen?
Wie viele Jahre plant er im Voraus die Strategie von Amazon?
Was denken Sie über Betriebsräte?
Arbeitnehmervertretung ist wichtig. Ob das ein Betriebsrat sein muss oder ein anderes, maßgeschneidertes Gremium sein kann, sei dahingestellt.
Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?
Wie jeder Mensch mache natürlich auch ich Fehler. Das Ziel ist, zu lernen und viel mehr gute Entscheidungen als schlechte zu treffen.
Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?
Nicht auf ausgetretene Pfade und etablierte Geschäfte setzen, sondern auch mal ins Risiko gehen.
Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?
50
Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?
6 bis 7
Wie gehen Sie mit Stress um?
Der beste Ausgleich ist Gartenarbeit mit den Händen in der Erde. Oder Kochen mit Familie und Freunden.
Wie kommunizieren Sie?
Direkt und offen.
Wie viel Zeit verbringen Sie an ihrem Schreibtisch?
Wenig. Viel mehr tatsächlich in Meetingräumen.
Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?
Macht etwas, das euch begeistert, dann wird es richtig gut.
Was unterscheidet den Menschen von der Managerin Petra von Strombeck?
Sehr wenig.
Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?
Nichts. Ich sage meist sofort, was ich sagen will.