Hamburg. Die Zeiten als Werber und Agenturgründer sind vorbei. Trautmann suchte den Sinn in der eigene Arbeit und fand das Thema „New Work“.

Michael Trautmann, einer der renommiertesten Köpfe der Hamburger Werbeszene, erfindet sich gerade neu. Die Zeiten, als der heute 57-Jährige bei Springer & Jacoby für den Etat von Mercedes-Benz verantwortlich war, sind lange vorbei. Auch die Arbeit mit den Kreativen bei der von ihm mitgegründeten Agentur thjnk (die aus der Agentur kempertrautmann hervorgegangen ist), hat er auf einen Tag pro Woche reduziert.

Inzwischen beschäftigt sich der in Blankenese lebende Vater von zwei erwachsenen Söhnen vornehmlich mit der Frage, wie Arbeiten mit Sinn und Freude gelingt. Dazu hat er vor fünf Jahren einen erfolgreichen Podcast mit dem Unternehmensberater und Filmemacher Christoph Magnussen gestartet und Anfang 2020 die Beratungsfirma NWMS GmbH (New Work Masterskills) für Coaching und Workshops ins Leben gerufen.

Interview: Trautmann über die neue Art zu Arbeiten

Gemeinsam mit Mitgründerin Swantje Allmers und seinem Podcast-Partner Christoph Magnussen ist er zudem Autor des Buches „On the Way to New Work – Wenn Arbeit zu etwas wird, was Menschen stärkt“, das gerade erschienen ist. Über Scheitern, die Zukunft des Homeoffice und das Leben in der digitalen Welt spricht der promovierte Wirtschaftswissenschaftler im Abendblatt-Interview.

Hamburger Abendblatt: Sie haben mit kempertrautmann und thjnk zwei erfolgreiche Agenturmarken gegründet, der Werbung heute aber weitestgehend den Rücken gekehrt. Warum?

Michael Trautmann: In beiden Agenturen ist es mit den Partnern zu Sand im Getriebe gekommen. Mit André Kemper ging es oft darum, sich an den Schwächen des anderen abzuarbeiten, bei Karen Heumann und Armin Jochum im Führungsteam von thjnk habe ich oft eine andere Perspektive eingenommen. Ich habe nach wie vor ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu André Kemper. Und auch bei thjnk haben wir gemeinsam einen neuen Weg entwickelt, der für alle Beteiligten besser ist. Meine Stärken liegen eher darin, Ideen zu entwickeln und Neues zu starten, als etablierte Geschäftsfelder über lange Zeit weiterzuführen.

Werbung in der digitalen Welt – wie ist Ihr Blick auf dieses Thema, mit dem sich jetzt wieder die Online-Marketing-Macher beim OMR Festival beschäftigen?

Trautmann: Die Werbung wird datenbasierter, schneller und kleinteiliger. Ein Beispiel: Die Macher der Unilever-Marke Dove haben schon vor Jahren bei einer Datenanalyse von Twitter herausgefunden, dass es dort pro Jahr fünf Millionen Beiträge von Frauen gibt, die negativ über ihr eigenes Äußeres oder das von anderen Frauen schreiben. Gut 20 Prozent dieser Beiträge kamen an den Tagen rund um die Oscar-Verleihung. Mithilfe eines Algorithmus wurden diesen Frauen Mut machende individuelle Antworten auf ihre Äußerungen gegeben. Schönheit liegt eben im Auge des Betrachters. Diese Kampagne wurde zu einem großen Erfolg.

Soziale Medien: Bestätigung von außen für die eigene Unsicherheit

Sie selber sehen die sozialen Medien heute kritischer als früher?

Trautmann: Ja, und zwar vor allem meinen persönlichen Umgang damit. Ich habe lange Jahre vornehmlich im Außen gelebt. Ich habe die Bestätigung über Vorträge, über die Bühne und über die sozialen Medien gesucht. Aber diese Darstellung nach außen kann Ausdruck dafür sein, dass man im Innern nicht so sicher ist.

Zeit meines Lebens hatte ich damit zu tun, wenig anzuecken, Everybody‘s Darling zu sein und möglichst vielen Menschen zu gefallen. Dabei kamen andere Bedürfnisse wie Nähe und Freundschaft oft zu kurz und auch andere Dinge, die mir wichtig waren, wie zum Beispiel das Thema Musik. Das versuche ich gerade zu ändern.

Sie waren bereits im Alter von 37 Jahren jüngster Topmanager bei Audi und darüber hinaus über eine sehr lange Zeit ein erfolgreicher Werber. Nun konzentrieren Sie sich auf neue Aufgaben. Worin sehen Sie Ihr Talent heute?

Trautmann: In einem Persönlichkeitsseminar, das ich vor fünf Jahren absolviert habe, ist mir mal attestiert worden, dass ich ein Talent habe, Menschen, Chancen und Räume so zusammenbringen, dass die Menschen in diesen Räumen über sich hinauswachsen und mich dann nicht mehr brauchen.

Mit dem Podcast und noch mehr mit unserem Buch und unserem neuen Unternehmen versuche ich diese Stärke noch besser zu nutzen. Wir wollen Menschen, Teams und Unternehmen dabei helfen, stärkenbasierter und sinnorientierter zusammenzuarbeiten.

Mit Moritz Fürste haben Sie seit Jahren ein enges Verhältnis, haben den Hamburger Hockey-Olympiasieger schon im dualen Studium bei kempertrautmann und später dann auch bei thjnk gefördert und arbeiten nach wie vor mit ihm zusammen in der von Ihnen mitgegründeten Upsolut Sports GmbH. Die Hamburger Firma veranstaltete früher Events wie die Hamburg Cyclassics und nach der Neugründung dann Hyrox, ein Fitness-Event. Während der Corona-Krise organisierte Upsolut Sports dann Corona-Tests in großem Stil, als die Sport- massenveranstaltungen nicht mehr erlaubt waren. Eine radikale Veränderung des Geschäfts mit Mut zum Risiko …

Trautmann: Zusammen mit Moritz und Christian Toetzk­e habe ich im April 2017 die Firma Upsolut Sports neu gegründet. Unter demselben Namen hatten Christian und sein alter Partner unter anderem die Cyclassics entwickelt, bevor sie das Unternehmen verkauften und der Name für einige Jahre nicht genutzt wurde. Moritz geht die Dinge mit viel Elan, Leidenschaft und wenig Angst an. Es war seine Idee, das Thema Corona-Tests anzugehen. Mit dem guten Argument, wir hätten das Know-how in Sachen Events und auch die Leute.

In einer Zeit, wo wir mit unserem Fitness-Event-Format Hyrox coronabedingt ein Berufsverbot hatten, konnten wir mit den Testzentren unsere Leute weiterbeschäftigen und gleichzeitig etwas Sinnvolles tun. Mittlerweile liegt der Fokus wieder auf dem Sport, und zusammen mit unserem fantastischen Team entwickeln Moritz und Christian mit Hyrox eine internationale Marke, die schon in vielen europäischen Ländern und auch den USA vertreten ist.

Für welche Veränderungen stehen die jüngeren Leute im Beruf?

Trautmann: Sie wollen sich nicht mehr in ein Hamsterrad begeben, viele legen weniger Wert auf Karriere. Einige haben bei ihren Eltern gesehen, dass diese unzufrieden im Job waren. Stattdessen steht die Suche nach dem Sinn, nach einer persönlichen Weiterentwicklung, nach Gestaltungsspielraum und Gesundheit auf ihrer Liste ganz oben. Sie suchen Freiheit und Flexibilität, es stimmt aber nicht, dass sie nicht mehr hart arbeiten wollen. Ich kenne etliche Jüngere, die viel leisten, aber eben zu anderen Bedingungen.

Das Thema „Neue Arbeit“ begeistert Trautmann

Sie eröffnen Ihre Podcasts mit den Worten: Wie bist du der Mensch geworden, der du heute bist? Wie würden Sie diese Frage für sich selbst beantworten?

Trautmann: Ich bin als Kind eines Marineoffiziers und einer Lehrerin aufgewachsen, die sich unterschwellig immer gewünscht haben, dass ich Arzt werde. Als Sanitäter bei der Bundeswehr habe ich gemerkt, dass ich kein Blut sehen kann, dass mir die Resilienz und die intrinsische Motivation dazu fehlen. Dann bin ich auf das Thema Werbung als Berufsfeld gekommen. Ich habe meine beruflichen Entscheidungen viele Jahre reaktiv gefällt.

Jemand hatte ein gutes Angebot, und ich habe schließlich zugegriffen. Durch meine große Begeisterungsfähigkeit ist mir das aber kaum aufgefallen, ich funktionierte in unterschiedlichsten Kontexten gut. Doch es gab im Unterbewusstsein eine Unzufriedenheit. Erst mit dem Podcast, der Beschäftigung mit dem Thema der „Neuen Arbeit“ habe ich ein Thema gefunden, das mich intrinsisch motiviert. Dazu musste ich 57 Jahre alt werden.

Kaum ein Thema wird derzeit so heiß diskutiert wie die Zukunft des Homeoffice. Ihre Meinung dazu?

Trautmann: Die Corona-Krise zwang uns dazu, und es hat sehr schnell gut funktioniert. Es hat einige Vorteile. Homeoffice führt dazu, dass nicht alle um sieben Uhr morgens und dann um fünf Uhr nachmittags ins Auto springen und den Verkehr überlasten. Dass Stadtränder und das Land als Wohnort aufgewertet werden. Die Herausforderung besteht nun darin, hybri­d zu arbeiten. Wenn ein Teil der Leute im Büro ist und ein Teil zu Hause. Insbesondere in Meetings, die zu großem Anteil hybrid sein werden, geht es jetzt darum, die Menschen, die nicht im Meeting-Raum sitzen, diskriminierungsfrei an Konferenzen zu beteiligen.

Und die Nachteile?

Trautmann: Das Büro wird aus meiner Sicht bleiben. Kreative Prozesse, ungeplante Innovationen und Themen, bei denen Emotionen im Spiel sind, erfordern letztlich eine physische Zusammenarbeit. Dazu gibt es zahlreiche Studien und auch viele praktische Beispiele. An der Spitzenuniversität Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston gab es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein in die Jahre gekommenes Gebäude, wo früher Raketenwissenschaftler untergebracht waren, das sogenannte Building 20.

Das Gebäude sollte eigentlich abgerissen werden. Es wurde aber dann aus Platzgründen für die Unterbringung von Beschäftigten aller Fakultäten genutzt, die sich dort in der Folge immer wieder über den Weg liefen. Es wurde am Ende zu einem der meistzitierten Beispiele für Innovationen, und es war ein Vorläufer der heute so beliebten Co-Working Spaces.

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Auch das Thema Bildung behandeln Sie in Ihrem Buch. Sie kritisieren die herrschende Praxis stark.

Trautmann: Ja, denn unser Bildungssystem geht davon aus, dass die gleichen Inhalte für alle gut sind. Grob vereinfacht: Mathematik ist wichtig, Kunst unwichtig. Doch diese Art der Bildung stammt aus einer Zeit, in der so der Bedarf an Arbeitskräften für die Industrialisierung sichergestellt wurde.

Auch die Rolle der Lehrer muss neu definiert werden. Warum erzählen sie in allen Klassenzimmern hundertmal das Gleiche? Wie wäre es, wenn die Unterrichtsstunden als Filme zur Verfügung stünden, die sich die Kinder zu Hause in ihrem Tempo anschauen können? Und in der Schule würden dann gemeinsam Aufgaben gelöst werden und die Inhalte diskutiert.